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Imam gegen den Terror - Warum konservative Muslime unsere Verbündeten sind

Der Großimam von Kairo, Ahmad al-Tayyeb, gehört zu den Vertretern einer strikten, sehr konservativen Auslegung des Islam. Trotzdem lehnt er jede Form von islamistischem Terror ab und ist deshalb ein wichtiger Bündnispartner im Kampf gegen den „Islamischen Staat“

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Der Islam hat damit nichts zu tun. Das sagt sich nach den Anschlägen von Brüssel natürlich nicht leicht. Es liegt nahe, diesen Glauben zu verfluchen, vielleicht Religionen insgesamt, aber eben diese besonders – weil sich die Mörder auf sie berufen.

Es wirkt abgedroschen, wenn unsere führenden Politiker nun mahnen, nicht den Islam für die Taten verantwortlich zu machen. Als bäten sie nach einer tödlichen Sturmflut darum, nicht das Wetter zu verfluchen.

Großimam al-Tayyeb ist Vertreter einer strikten Auslegung des Islam
 

Die Einsicht fällt schwer. Doch die stereotype Bitte um Differenzierung und Besonnenheit macht Sinn. Entsprechend dem Rat nach einer Sturmflut, Deiche zu festigen. Die islamische Welt ist vielfach selbst in tiefer Verzweiflung. Denn sie kann es nicht verhindern, dass Täter sich durch den Islam legitimiert sehen.

Sechs Tage vor dem Attentat sprach ich für das ZDF lange mit einem der weltweit höchsten Sunniten: Ahmad al-Tayyeb, Großscheich und einflussreicher Imam, ist als Chefgelehrter der renommierten Al-Azhar-Universität in Kairo qua Amt eine Art Ministerpräsident Ägyptens. Der Scheich glaubt daher, für die reine Lehre der Sunniten zu sprechen. Die große Mehrheit aller Muslime zählen zu den Sunniten – etwa 1,7 Milliarden Menschen. Auch der mörderische sogenannte Islamische Staat, der sich zu den Brüsseler Anschlägen bekennt, nennt sich sunnitisch.

Al-Tayyeb gilt als jemand, der den Koran strikt und konservativ auslegt. Er ist in seiner Heimat politisch umstritten und wird von Kritikern als Opportunist gesehen, weil er einerseits ein treuer Anhänger Mubaraks war, sich nun aber mit Präsident Sisi arrangiert hat.

 „Frieden“ kommt im Koran hundertmal öfter vor als „Schwert“
 

Als höchste religiöse Instanz ist er jedoch stets gegen den IS aufgetreten, den er eine „Bestie“ nennt. Sieht man das ZDF-Gespräch nun unter dem Eindruck des Attentats von Brüssel, wird eines deutlich: Der Großscheich sprach in seinen Antworten zu allen Gewaltbereiten, die sich auf den Islam berufen.

Warum gibt es bei uns so viel Angst vor dem Islam? Das sei „vollkommen unbegründet“, behauptet der Gelehrte. Es liege wohl daran, dass Islam mit der Gewalt in Zusammenhang gebracht werde, die wir täglich im Fernsehen sähen. Was ignorant und wie ein Vorwurf klingt, richtet sich ausschließlich an die Islamisten: „So glauben vielleicht einige Menschen, dass Muslime dem Terror zugeneigt sind. Hinzu kommen verzerrte Bilder von Kriegen, die zwischen Orient und Okzident stattgefunden haben. Diese Kriege sollten eigentlich längst beendet sein. Sie werden aber weiter in vielen Büchern und Schriften verbreitet, wie zum Beispiel in arabischen Büchern über die Kreuzzüge.“

Mit anderen Worten: Vergesst den Schrott, ihr selbst ernannten Dschihadisten! Kommt nach Hause in den Frieden unserer Religion. Ja, er nennt den Islam friedlich, das Wort „Schwert“ komme im Koran nur einmal vor, das Wort Frieden weit über einhundert Mal.

Kontroverse Koran-Verse geben Extremisten Nahrung
 

Nun gibt es allerdings Koran-Suren, die alles andere als friedlich klingen: „Und tötet sie, wo immer ihr sie trefft und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben.“ (Sure 2, Vers 191) oder „Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Gott und nicht an den Jüngsten Tag glauben…und nicht der Religion der Wahrheit angehören.“ (Sure 9, Vers 29). Ist das nicht Futter für den IS?

Der Imam hält die Auslegung für das große ideologische Problem. Die Al-Azhar-Universität ist eine Art Glaubenskongregation der islamischen Welt, nur doppelt so alt. Ihr Vordenker wird nach seiner Uni auch Scheich al-Azhar genannt, weil dort schon mehr als eintausend Jahre lang islamisches Recht gelehrt wird.

Im Kampf gegen den IS seien an Al-Azhar längst konkrete Maßnahmen ergriffen worden, sagt ihr Chef. Es gehe darum, falsches Verständnis der religiösen Texte zu korrigieren. Eine „Elektronische Beobachtungsstelle“ spüre die Propaganda radikaler Islamisten auf und setze eigene Positionen entgegen – und das in acht Sprachen. Ein „Gelehrtenrat“ verbreite die „Friedensbotschaft“ des Islam. Eine „Friedenskarawane“ ziehe durch brüchige Staaten, „um anderes Gedankengut zu verbreiten“ und „vor Radikalisierung zu schützen“. Es sei die Hauptaufgabe der Al-Azhar-Universität, „abweichenden Ideen entgegenzutreten“.

Al-Tayyeb mahnt Glaubensbrüder in Europa zu Gesetzestreue
 

Das klingt alles bemüht, aber nicht nach Ausrede. Der konservative Sunniten-Lehrer verlangt anzuerkennen, dass der Westen, dass Deutschland den vielen muslimischen Flüchtlingen hilft, ganz im Sinne des Propheten: Wer kann, der trage des anderen Last. Das habe schon Mohammed gesagt.

Er verlangt von seinen Glaubensbrüdern unbedingte Akzeptanz der europäischen Regeln. Er selbst lehne Homo-Ehe ab, sie sei nicht mit dem Islam vereinbar. Aber: „Das Gesetz gilt für alle in der Gesellschaft!“ Muslime müssten sich an europäische Gesetze halten und somit auch die Homo-Ehe trotz innerer Ablehnung hinnehmen.

Al-Tayyeb sagt stur, Aufklärung brauche der Islam nicht. Anders als einst das Christentum kenne der Islam keinen Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Für 90 Prozent aller Lebensbereiche gebe seine Religion keine Regeln vor, der Islam sei „vereinbar mit den Werten der Gegenwart und der Gleichberechtigung“. Auch das mag anmaßend klingen, wenn man die Begründungen der islamistischen Hetzer für Islam hält.

Ihnen gilt der weiseste Satz des Imams: „Der Islam hat ein inneres Potenzial, sich anzupassen und zu verändern. Deshalb besteht nicht die Notwendigkeit, ihm seine Grenzen aufzuzeigen.“ Nicht dem Islam. Aber all jenen, die ihn missbrauchen für Terror.

Das sollten auch Nicht-Muslime im Westen mitnehmen: Wenn sie diesen Deich zwischen den muslimischen Konservativen und den islamistischen Radikalen einreißen, dann erhöhen sie nur für alle die Gefahr.

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Eva Petri | So., 31. Juli 2016 - 09:29

Ich wünsche mir eine symbolische Friedenskette um den Globus in dem sich wichtige Vertreter aller Religionen gemeinsam solidarisieren gegen den Terror und Menschen sich gleichzeitig an vielen Orten der Welt versammeln und für den Frieden einsetzen. Das ist ein Zeichen welches die Welt braucht, denn Frieden beginnt beim jedem einzelnen zuerst. Die Kraft dieser gemeinsamen Gedanken, Gebete von möglichst vielen Menschen auf diesem Globus wird sehr groß sein.