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Syrien - Kann der Militäreingriff noch verhindert werden?

In die Syrien-Krise ist diplomatische Bewegung gekommen. Wenn Assad tatsächlich seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle stellt, könnte ein Militärschlag verhindert werden. Nun sind die entscheidenden Köpfe gefragt. Wer spielt dabei welche Rolle?       

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

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Russlands Präsident Wladimir Putin als Friedensnobelpreisträger? Ganz abwegig sei der Vorschlag nicht, fanden sogar kritische Experten in Moskau, als Syrien der Chemiewaffenkontrolle zustimmte. Immerhin hat Moskau damit erst mal einen Militärschlag gegen Syrien abgewendet, für den Friedensnobelpreisträger Barack Obama geworben hatte.

Es ist Moskaus größter diplomatischer Erfolg seit dem Ende der Sowjetunion. Oberster Krisenmanager in der Syrien-Frage sind wieder die UN, in deren Sicherheitsrat Russland als Ständiges Mitglied über Vetorecht verfügt – das Einzige, was das postkommunistische Russland vom Supermachtstatus der Sowjetunion gerettet hat. Erstmals seit deren Ende gelang Putin auch das Kunststück, die USA als derzeit einzige Supermacht in die Defensive zu drängen.

Nun will Putin diesen Erfolg ausbauen. Nichts eignet sich dazu besser als eine eigenständige Iran-Politik. Zumal nach Moskaus Syrien-Teilsieg auch Kritiker der russischen Diplomatie in der Defensive sind. Putin will daher den Lieferstopp für russische Luftabwehr an Iran, wie ihn sein Platzhalter auf Zeit, Dmitri Medwedew 2011 mit Rücksicht auf Israel verfügte, aufheben. Schon am heutigen Freitag, am Rande des Gipfels der Schanghai-Organisation im kirgisischen Bischkek, will er seinem neuen iranischen Amtskollegen Hassan Rohani Ersatz anbieten: Raketenwerfer-Systeme des Typs S-300 VM Antej-2500, eine Weiterentwicklung der stornierten S-300, die noch besser in der Lage sind, potenzielle Aggressoren wirkungsvoll abzuschrecken. Denn Putin weiß um den Druck der Falken auf Obama und fürchtet, die Gefahr eines Militärschlags sei noch nicht vollständig gebannt. Dann aber würde Iran in die bewaffneten Auseinandersetzungen eingreifen müssen, der Konflikt auch auf seinem Territorium ausgetragen werden. Die Folge: Flächendeckende politische Verwerfungen in der von Russland kontrollierten Kaspi-Region.

Wenn Du erst einmal die Hunde des Krieges von der Leine gelassen hast, weißt Du nicht, wohin sie Dich führen“, hat US-Präsident Barack Obama dem Journalisten und Buchautor Bob Wodward 2010 als Begründung für seine Zurückhaltung im Irak und in Afghanistan gesagt. Töne, die jene gerne hören, die in Obama den Friedenspräsidenten entdeckt zu haben glauben. Er holte die US-Soldaten aus dem Irak und aus Afghanistan zurück. Er hat versprochen, wenn auch nicht gehalten, Guantanamo zu schließen. Sie wünschen sich einen Präsidenten, der mit dem interventionistischen Weg der US-Außenpolitik bricht. Jetzt verachten sie ihn für seine Bereitschaft, Syrien zu attackieren.

Aber nicht rein zufällig führte die Sicherheitsberaterin des Präsidenten, Susan Rice, am Montag die Entscheidung eines Amtsvorgängers, Ronald Reagan, 1986 die libysche Hauptstadt Tripolis als Reaktion auf einen Bombenanschlag zu bombardieren, als Vorbild für eine Intervention in Syrien an. Reagan, hat Obama einmal befunden, sei der „vielleicht größte Politiker dieser Zeit“ gewesen. Das dürfte mehr nach dem Geschmack derer sein, die das Assad-Regime vernichtend bestraft sehen wollen. Sie werfen dem Präsidenten nun vor, nicht entschieden genug zu handeln. Sie kritisieren sein Zögern, wünschen sich einen Präsidenten, der handelt.

Doch verwundert blickt die internationale Gemeinschaft in diesen Tagen der Syrien-Krise auf den Führer der mächtigsten Nation der Welt, der beide Optionen wählt, um in Wahrheit keine auszuführen.

Wenn US-Außenminister Kerry am Wochenende nicht mit leeren Händen aus Genf zurückkommt, bietet sich Obama vielleicht ein Ausweg aus seinem Dilemma. Er müsste dem amerikanischen Volk keine militärische Verwicklung aufzwingen, die es nicht will. Er bräuchte keine Zustimmung aus einem US-Repräsentantenhaus, mit dem er schon bisher nur wenig Gemeinsamkeiten finden konnte

Der russische Außenminister Sergej Lawrow ist ein erfahrener Karrierediplomat, der sein Handwerk zu Sowjetzeiten von der Pike auf lernte. Einschließlich Tipps und Tricks, wie man Breschen in die meist russlandkritische Front der abendländischen Wertegemeinschaft schlagen kann und deren rivalisierende Interessen zum Nutzen von Mutter Heimat gegeneinander ausspielt. Wie das geht, demonstrierte der heute 63-Jährige schon als UN-Botschafter in der Jelzin-Ära nach allen Regeln der Kunst. Nicht mit Getöse, wie die Kremlherrscher, sondern mit fundierten Argumenten. Sergey Lawrow kann mit einem einzigen Satz tief verletzen, ohne sich in der Form zu vergreifen, er kann – wie alle Musikliebhaber – aber auch zuhören. Er kann seinen Partnern goldene Brücken bauen, wie er es beim Antrittsbesuch des damals auf diplomatischem Parkett noch nicht sehr sicheren Bundesaußenminister Guido Westerwelle tat. Oder umnebelt vom Rauch einer Zigarette genüsslich verfolgen, wie der Gegenspieler sich allmählich in den von ihm gelegten taktischen Leimruten verfängt.

Der Vorschlag, syrische Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, raunen Kenner der Materie, stamme von Putin oder aus der Kremladministration, Strategie und Taktik der Umsetzung dagegen habe Lawrow geliefert. Es könnte so gewesen sein. Zufällig war der syrische Außenminister gerade in Moskau. Lawrow dürfte ihm nochmals klar gemacht haben, was die Alternative bei einer Ablehnung wäre: das Ende, womöglich auch das physische, von Assad und dessen Ministerriege. Verschwörungstheoretiker behaupten sogar, Russland habe dafür gesorgt, dass bei der Pressekonferenz von Lawrows Amtskollegen John Kerry ein Journalist die „richtige“ Frage stellte: Was geschehen müsse, um in letzter Sekunde einen Militärschlag noch zu verhindern.
 

John Kerry war kaum einen Monat im Amt als US-Außenminister, schon hatte die Welt einen neuen Staat: „Kyrzakhstan“. Ein Außenminister kann schon einmal Kasachstan und Kirgistan durcheinander bringen. Unvergessen ist aber auch die komplizierte Haltung des damaligen Senators zur Finanzierung des Irak-Krieges. „Ich habe in der Tat für die 87 Millionen Dollar gestimmt, bevor ich dagegen gestimmt habe.“ Wenig später meinte Kerry dazu, dies sei „einer dieser undeutlichen Momente“ gewesen.

Am Montag hatte John Kerry offenbar einmal mehr einen dieser unartikulierten Momente. Auch wenn die genaue Genese seiner später relativierten Aussage, Damaskus könne einen US-Militärschlag noch verhindern, wenn das Assad-Regime sein Chemiewaffenarsenal abgebe, noch Gegenstand der Diskussionen ist; Kerry hat ausgesprochen, was hinter den Kulissen schon im Entstehen war – und damit zumindest vorerst einen neuen Pfad in der Syrien-Krise gewiesen. Sollte die Initiative zum Erfolg in Syrien führen, das Ergebnis würde das ungeschickte Agieren des US-Außenministers nachträglich legitimieren.

John Kerry bringt eine Historie sich widersprechender Äußerungen und überraschender Bemerkungen mit in sein Amt. Während er für seine Gegner deshalb ein leichtes Angriffsziel bietet, ist genau dieser Aspekt seiner Persönlichkeit aber vielleicht das größte Potenzial des Diplomatensohns aus Boston, gerade in solch verfahrenen Situationen. Wegbegleiter, Berater und Diplomaten beschreiben ihn als einen Mann, dem der Inhalt über die Wirkung geht. Ein Politiker, der sich wie kaum ein Zweiter in die komplizierten internationalen Prozesse einarbeitet und verbissen an einer Lösung arbeitet, bis sie denn erreicht ist. Und der auch einmal ehrlich redet. Auf die Frage, ob er gemeint habe, was er zu Syrien gesagt hat, antwortete der Außenminister im Kongress: „Ja das habe ich.“ Man neigt dazu, es ihm zu glauben.

Sein Selbstbewusstsein scheint ungebrochen. „Ich sollte der Hoffnungsträger für die Syrer sein“, brüstete sich Syriens Präsident Baschar al Assad Anfang der Woche in einem langen Interview mit dem US-Sender CBC. Und dann bemühte der gelernte Mediziner erneut seinen schon so oft benutzten zynischen Vergleich zwischen der Lage im Land und dem Tun eines Arztes. „Wenn ein Doktor einem Patienten ein Bein mit Wundbrand amputiert, dann beschimpft man ihn nicht als Schlächter, sondern man dankt ihm für die Rettung des Lebens“, dozierte Assad. Mit seiner spektakulären Giftgasofferte spielt der Tyrann auf Zeit.

Ob er wirklich bereit ist, seine Depots unter internationale Kontrolle zu stellen, steht in den Sternen. Denn die militärische Lage rund um Damaskus scheint für ihn prekärer als bisher propagiert. Seit Monaten versucht die Armee ohne Erfolg, die Rebellen aus Stadtvierteln nahe ihrer Luftwaffenbasen zu vertreiben. Und so operierten Assads Kampfjets diese Woche sofort wieder am syrischen Himmel, seit die akute Drohung eines amerikanischen Militärschlags vorerst vom Tisch ist.Das Regime und seine Generäle wissen, dass sie US–Luftangriffe um jeden Preis verhindern müssen.

Ungeachtet dessen hat der 48-jährige Diktator, der am Mittwoch Geburtstag feierte, die Zügel offenbar fester denn je in der Hand, auch wenn seine Macht auf Gedeih und Verderb vom Militär- und Sicherheitsapparat abhängt. Viele seiner engsten Vertrauten kommen aus der eigenen Verwandtschaft. Sein Bruder Maher al Assad, obwohl bei einem Attentat schwer verletzt, kommandiert die Elitetruppen. Sein Cousin Rami Makhlouf zieht die Drähte in Wirtschaft und Staatsfinanzen, dessen Bruder Hafez Makhlouf ist Chef der Staatssicherheit in Damaskus. „Er hört die Meinungen seiner Berater an", meint ein Kenner des Regimes. „Aber am Ende entscheidet er allein.“

Ratlos und abgekämpft, so präsentiert sich Lakhdar Brahimi seit Wochen. Der 79-jährige Sondergesandte der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga für Syrien scheint resigniert zu haben. „Ich denke jeden Morgen darüber nach, zurückzutreten“, sagt er ganz offen. Der Grund liegt auf der Hand: Brahimi, früherer algerischer Außenminister und bestens verdrahtet in der arabischen Welt, soll eine friedliche Lösung für den Bürgerkrieg finden. Seit einem Jahr müht er sich ab, bislang ohne greifbaren Erfolg. Am Donnerstag unternahm er einen weiteren Anlauf: Er sollte in Genf mit US-Außenminister John Kerry über den Syrien-Konflikt reden.
 
Kerry seinerseits war in die UN-Stadt gereist, um mit seinem russischen Kollegen Lawrow über Syriens Chemiewaffenarsenal zu beraten. Brahimi wollte mit Kerry vor allem die Chancen für die seit langem geplante große internationale Friedenskonferenz für Syrien in Genf erörtern. Sieht er dafür überhaupt noch eine Chance? Ich weiß es nicht“, sagt Brahimi. Er habe aber die Zusicherung der USA und Russlands, dass sie weiter hinter den geplanten Gesprächen stünden.
 
Brahimi weiß: Nur wenn die beiden Großmächte an einem Strang ziehen, wird die große Konferenz starten. Aber seit Beginn des Konflikts vor weit mehr als zwei Jahren liegen beide über Syrien im Clinch. Brahimi verlegte schon mal sein Büro vom UN-Hauptsitz in New York nach Genf. Offizieller Grund: So könne er die Syrienkonferenz besser vorbereiten. Doch er wollte auch nach Genf, weil es von der Westschweizer Stadt nicht so weit zu seinem Wohnort Paris ist.

Erfolg hat bekanntlich viele Väter; nur der Misserfolg ist ein Waisenkind. Die Urheberschaft der diplomatischen Initiative zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist nun offenbar geklärt, auch wenn ihr geistiger Vater bisher wenig öffentliches Lob bekam: Polens Außenminister Radoslaw Sikorski.

Nach Recherchen internationaler Medien gab Sikorski die Anregung am 29. August im Telefonat mit US-Außenminister Kerry – und der nahm sie gerne auf, da er ohnehin zum Gespräch mit Russlands Außenminister Lawrow verabredet war. Am selben Tag begründete Sikorski, der mit der Kolumnistin der „Washington Post“, Anne Applebaum, verheiratet ist, den Ansatz in „Le Monde“: Syriens Chemiewaffen stammten zum Großteil aus Russland, da sei es nur folgerichtig, Moskau eine zentrale Verantwortung für deren Beseitigung zu übertragen.

Wenige Tage später sprachen die Präsidenten Obama und Putin unter vier Augen am Rande des Gipfels in Petersburg. Beim Treffen der EU-Außenminister mit Kerry in Vilnius am 7. September stellte Sikorski die Initiative in breiterem Kreis vor, bestätigt Elmar Brok, der als Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament dabei war, dem Tagesspiegel. Am 9. September wurde der Ansatz öffentlich – angeblich durch eine ungeschickte öffentliche Äußerung Kerrys, die Lawrow sofort aufnahm. Im Rückblick wirkt es sorgsam eingefädelt. Sikorski sagt bescheiden, er sei „zufrieden, dass meine Anregung aufgenommen wurde“.

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