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(picture alliance) Aus der Krise des Euro erwächst ein neues Denken für Europa.

Debatte - Steuern wir auf Vereinigte Staaten von Europa zu?

In der Koalition wird heftig über Europa diskutiert. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen prescht provokant voran.

Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa“, verkündet die stellvertretende CDU-Vorsitzende, Ursula von der Leyen, im neuen „Spiegel“ und nennt die föderalen Systeme in den USA, der Schweiz und Deutschland als Vorbilder. Horst Seehofer hingegen hält sich eher bedeckt. „Wir sind eine Partei Europas und wir bleiben sie“, sagt der CSU-Vorsitzende am Montag nach einer Präsidiumssitzung. Eigentlich wollten die Christsozialen das in einem Papier noch etwas genauer erklären. Doch die Vorlage, die unter Leitung des bekennend europaskeptischen Generalsekretär Alexander Dobrindt erarbeitet worden war, stieß auf zu viele Einwände. Dobrindt muss es überarbeiten – Wiedervorlage in zwei Wochen. Was in der Union als scheinbar rein technische Diskussion über die Euro-Rettung begann, weitet sich zusehends zu einer Debatte über die Zukunft Europas aus.

Droht der schwarz-gelben Koalition jetzt ein Grundsatzstreit?
Tatsächlich ist der Grundsatzstreit längst im Gange. Die Frage zum Beispiel, ob man Schuldenstaaten wie Griechenland notfalls pleite gehen lassen und aus der Euro-Zone ausschließen soll oder eben nicht, wird zwar oft technisch debattiert - geht das überhaupt, wenn ja, welche Folgen für das Bankensystem hätte es? Aber dahinter lauern Fragen nach dem Europa-Verständnis, dem Wert von Solidarität und der Unbedingtheit, mit der Europa seine Sünder retten sollte.

Spätestens seit den kritischen Einwürfen von Altkanzer Helmut Kohl ist das Grundsätzliche wieder sichtbar auf der Tagesordnung. Alte Debatten schimmern auf: Staatenbund oder Bundesstaat? Geleitzug oder Europa der zwei Geschwindigkeiten? Jahrelang schien niemand mehr diese Fragen umzutreiben; Europapolitik unter Merkel war genau so wie ihre Politik im Inneren eher zur pragmatischen Problemlösung in kleinen Schritten geworden. Doch die Euro-Krise bringt die vergessenen Fragen zurück. Kein Zufall, dass ein längst aus der aktiven Politik ausgeschiedener Herzenseuropäer wie der frühere CDU-Außenpolitiker Karl Lamers sich gerade jetzt wieder zu Wort meldet. Die politische Führung, fordert Lamers in der „Süddeutschen Zeitung“, „muss sagen, dass Europa gerade der Weg ist, um politische Handlungsmacht wiederzugewinnen.“

Gefährdet die Diskussion die Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm im Bundestag?
Eher könnte sie sogar die Zustimmung befördern. Merkel zeigt neuerdings ja selbst eine Leidenschaft für Europa, die viele bei ihr lange vermisst haben. Die CDU-Chefin hat erkannt, dass die immer neuen milliardenschweren Euro-Rettungsschirme ihrer Partei kaum noch zu vermitteln sind, wenn sie sie nicht mit Sinn jenseits des Fiskalischen unterfüttert. Allerdings zeigt der Vorstoß Leyens, dass darin auch eine Gefahr steckt. „Vereinigte Staaten von Europa“ will in der Union längst nicht jeder. Als sich der Europapolitiker Elmar Brok unlängst in der CDU-Führung für sehr viel mehr Europa als bisher stark machte, pfiff ihn Merkel zurück. Es ist für die Unionsspitze schwierig genug, die Mehrheit für die Griechenland-Milliardenhilfe beisammen zu halten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was ein Verfehlen der Kanzlermehrheit für die Zukunft der Koalition bedeuten würde.

Was würde ein Verfehlen der Kanzlermehrheit für die Zukunft der Koalition bedeuten?
Technisch bedeutet es nichts, wenn die Koalition in der jetzt für den 29. September angepeilten Abstimmung über den Euro-Stabilitätsfonds EFSF keine eigene Mehrheit hätte. Denn SPD und Grüne wollen ebenfalls zustimmen. Aber eine Kanzlerin, die in einer so zentralen Frage die eigene Truppe nicht hinter sich hat, käme in schwerste Nöte. Deshalb gehen aber selbst Kritiker des Merkel- Kurses davon aus, dass der Fall nicht eintritt: Von den 23 Skeptikern, die die Handvoll entschlossener Nein-Sager bei der Union zu kennen glaubt, werde sich am Ende höchstens die Hälfte verweigern.

Worüber sprechen wir konkret, wenn vom vereinten Europa die Rede ist?
So genau sagt das keiner. Leyen nennt die USA, die Schweiz und Deutschland als Muster. Das ist ein weites Feld: Eine Präsidialdemokratie mit sehr autonomen Bundesstaaten, ein Bund von Kantonen mit einer Minimal-Zentralregierung, ein föderaler Staat mit sehr starker Stellung der Bundesregierung. Lamers spricht von einer „Gemeinschaft der Nationen“, was nicht viel präziser ist. Finanzminister Wolfgang Schäuble plädiert für einen europäischen Finanzminister. Manchem anderen in CDU und CSU geht hingegen schon das heutige Europa zu weit. Regierungssprecher Steffen Seibert sah sich darum am Montag zu Klarstellungen veranlasst: Die „Wirtschaftsregierung“, die Merkel und Sarkozy vorantreiben wollen, dürfe man sich nicht wie ein Bundeskabinett vorstellen. Es gehe nicht um eine neue Institution, sondern um einen Prozess: Mehr Abstimmung zwischen den Euro-Regierungen, mehr Selbstverpflichtungen auf Ziele und Verfahren, mehr Abstimmung.

Welche Rolle sollen künftig die nationalen Parlamente spielen?
Dass in diesem Prozess die nationalen Parlamente entmachtet werden könnten, ist die ständige Sorge aller Euro-Skeptiker. Die Spitzen der Koalition wollen die Sorge im konkreten Fall dadurch entkräften, dass der Bundestag künftig auch bei Einzelentscheidungen des ESFS mitreden kann – nicht als Plenum, sondern durch einen seiner Ausschüsse. Ob das der Haushaltsausschuss ist oder ein aufgewerteter Europaausschuss, wie ein Vorschlag aus der Union lautet, ist dann nur noch eine technische Frage.

Der frühere Fraktionschef Friedrich Merz sagt, dass die Debatte zum Teil realitätsfern geführt wird: „Wir haben vor zehn Jahren bereits den entscheidenden Souveränitätsverzicht geleistet, als wir die gemeinsame Währung eingeführt haben“, erinnerte Merz am Montag im Deutschlandfunk. Damals, so der überzeugte Europäer, sei allen klar gewesen, „dass auf Dauer eine Währungsunion ohne politische Union nicht bestehen kann“. Der Plan von Merkel und Sarkozy sei deshalb im Grundsatz richtig. Merz würde ihn nur gerne um einen Punkt ergänzen: Ein hoffnungslos verschuldetes Land wie Griechenland müsse notfalls aus dem Euro-Verbund ausscheiden. Er habe das lange auch anders gesehen; aber ohne die Möglichkeit, eine eigene Währung abzuwerten, habe das Land wohl keine Chance auf Gesundung.

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