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Telegram ist heute für viele in Russland eine der wenigen unabhängigen Informationsquellen / dpa

Neues Mittelalter und Eiserner Vorhang - Russlands Weg in die kulturelle Selbstisolation

Utopie und Dystopie liegen in Russland seit jeher nah beieinander. Das gilt insbesondere für die Begriffe des „Neuen Mittelalters“ und des „Eisernen Vorhangs“. Ursprünglich wurden sie von russischen Denkern geprägt, die die Exzesse der Oktoberrevolution kritisch beobachtet hatten. Angesichts der kulturellen Selbstisolation Russlands erscheinen sie heute aktueller denn je.

Autoreninfo

Nathan Giwerzew ist Journalist in Berlin.

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Die wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegen Russland infolge des Ukraine-Krieges sowie seine kulturelle Selbstisolation werden in nichtoffiziellen russischen Telegram-Kanälen rege diskutiert. Es rückt dabei insbesondere die Frage in den Vordergrund, wie die aktuellen Ereignisse geschichtlich zu interpretieren sind. Ein Beispiel aus dem moderat regimekritischen Telegram-Kanal „Tolkovatel’“ („Der Interpret“): „Putin trifft sich im Kreml mit dem israelischen Premierminister Bennett. Wie ich bereits geschrieben habe, nimmt die Bedeutung Israels und der gesamten jüdischen Gemeinde in Russland dramatisch zu. Sie sind die letzte Verbindung zur Ersten Welt und das letzte Bollwerk gegen den Absturz unseres Landes in ein Neues Mittelalter. Wie ein prominentes Mitglied der jüdischen Gemeinde Russlands, Stas Belkovskij, schreibt: ,Wir beobachten und verfolgen die Situation genau.‘“

Wenn wir zunächst einmal von der Frage absehen, wie realistisch „Tolkovatel’“ die Vermittlerrolle Israels und der jüdischen Gemeinde in Russland überhaupt einschätzt – es fällt auf, dass er von einem „Neuen Mittelalter“ spricht. Was meint er damit? Und wo liegen die Wurzeln dieses Begriffs?

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ursula keuck | Mi., 9. März 2022 - 12:54

Unser gesamtes Wirtschaftssystem basiert auf einem extrem hohen Energieverbrauch: Energie ist das Herzblut der Volkswirtschaft.
Gerade deshalb benötigen wir in Anbetracht der Sanktionen gegen Russland dringend einen fachkundigen Wirtschaftsminister - der diesen Namen auch verdient – und keinen schröpfende Leiter der Dekarbonisierung.
Superminister Habecks ökonomischer Wahnsinn, beim neuen fanatisch zusammengefügten Klima/Umweltschutz/Machtapparat wird den verbliebenen Unternehmen das Fürchten lehren und Verbraucher in Armut stürzen.
Planwirtschaft frisst sich halt wie eine Krebsgeschwulst durch die Wirtschaft.
Freilich ich höre heute bereits die Freudengesänge von Luisa, Greta u. &.

Egal wie der Krieg ausgeht für die Ukrainer und ich wünsche es soll schnell gehen, damit bleibt dem Land weiteres Leid erspart. Ein Klimakomitee werden sie in der Ukraine wohl nicht bekommen, denn die haben nach diesem Krieg andere Sorgen als das Klima. Vielleicht kann Frau Baerbock das mit in die Verhandlungen zwischen Putin und Selenskij einbringen als Teil der Friedensbedingungen. Inzwischen werden Forderungen in der deutschen Politik laut, alle Gaslieferungen zu stoppen. So langsam brennt bei der Ampel die Sicherung durch.

Interessant wäre vielmehr: Wen schlagen Sie vor? Welchen Politiker, den Sie begrüßen würden, vertritt erfolgsversprechende Zukunftskonzepte - abseits des drögen (und völlig falschen) zurück zu Kernkraft und Kohle?

Karl-Heinz Weiß | Mi., 9. März 2022 - 13:28

Die kulturelle Selbstisolation Russlands zeigt sich exemplarisch auch in der Person von Alexander Solschenizyn, der im Westen oft weiterhin ausschließlich als Opfer des Stalinismus wahrgenommen wird. Seine Verachtung der westlichen Lebensweise, die er aus jahrelanger eigener Anschauung kannte, und sein Einfluss auf die Gedankenwelt von Putin sollte nicht unerwähnt bleiben. Die Denkweise der russischen Oligarchen wurde durch Solschenizyn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht beeinflusst.

Petra Horn | Mi., 9. März 2022 - 13:42

wurde gesperrt für Leser aus dem Westen. RT-Fernsehen ist nicht mehr empfangbar. Wer kapselt sich ab und hat Angst, sich dem Diskurs zu stellen?
Solange man meinte, die moralisch-hegemoniale Oberhand zu haben, tat man großzügig.
Nun ist der schöne Schleier gefallen.

Joachim Kopic | Mi., 9. März 2022 - 21:31

Antwort auf von Petra Horn

...ach so neutrale ÖRliche hat: Bekommen wir die (sog.?) Studenten bei der Ankunft gezeigt, wo wir doch nur Frauen mit ihren Kindern erwarten, die in der Ukraine ihre Männer/Väter zurücklassen mussten? Werden wir über die geplante (und jetzt endgültig gestoppte?) Sache mit "Polnische MIGs über Ramstein in die Ukraine" ausreichend informiert? ...dafür in jeder Nachrichtensendung zum x-ten Mal "Öffentlich-Rechtliches-Allerlei" mit kostenloser Werbung unserer Regierung, für das wir auch noch zahlen müssen! Es grünt so grün wenn Deutschlands Grüne...

Walter Bühler | Mi., 9. März 2022 - 16:58

Ich finde es gut, dass der Cicero versucht, selbst an Nachrichten aus Russland heranzukommen, obwohl sich der eiserne Vorhang wieder herabsenkt. In jedem Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer, unabhängig von der Kriegsursache.

Jenseits der hoffnungslos erscheinenden Armageddon-Szenarien der Kriegsparteien und ihrer Propaganda muss - wenn denn die Welt noch ein wenig weiter existieren will - dennoch ein Spalt für die Hoffnung auf Zukunft offen gehalten werden, und zwar nicht nur für die Ukraine und uns selbst, sondern auch für Russland. Und dafür sind Informationen jeder Art notwendig, die nicht zur kriegsüblichen Gräuelpropaganda gehören.

Hat sich Russland wirklich nur selbst aus Europa entfernt? Womit haben wir in den letzten dreißig Jahren dazu beigetragen, Russland aus Europa hinaus zu drängen? Was kann man in Zukunft besser machen, wenn Armageddon noch einmal verhindert werden kann?

Für diese Frage sollten unsere Außenpolitiker Zeit aufbringen (vgl. Artikel von A. Lutsch)

Gerhard Lenz | Mi., 9. März 2022 - 17:47

Russland ist ein Land, das trotz enormer Ressourcen noch immer wie ein gescheiterter Staat daherkommt. Die korrupt-aggressive Clique im Kreml mag mit ihrem Militärapparat klotzen - in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht bleibt das Land weit hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Um das zu ändern braucht das Land eine andere Spitze und vor allen Dingen keinen Staatschef, der als ewiger Kämpfer daherkommt.

Obwohl es sicher zahlreiche erwähnenswerte Künstler und Intellektuelle gibt, die auch international Interesses finden bzw. das sollten, macht Putin-Russland eher durch schlechte Nachrichten auf sich aufmerksam. Einmischung in Wahlen und Propaganda-Export mittels dumpfbackiger Medien wie Sputnik oder Russia Today sind gewiss keine Werbung für das Land der verschleuderten Möglichkeiten - in dem Militarismus, rückwärtsgewandter völkischer Traditionalismus, Führerkult und Oligarchentum grasieren.
Und jeglicher Hoffnungsschimmer von den Tyrannen im Kreml gnadenlos ausgelöscht wird.

"in einem Land der verschleuderten Möglichkeiten, in dem Militarismus, rückwärtsgewandter völkischer Traditionalismus, Führerkult und Oligarchentum grassieren," hat es die Kultur schwer, eine internationale Ausstrahlung zu erreichen.

Das gilt für Russland - aber gilt es nicht großenteils auch für das ukrainische Bruderland? Die politische Ästhetik (z. B. im Präsidentenpalast) unterscheidet sich in der Ukraine nach meinem Eindruck nicht besonders von Russland und Weißrussland.
Über Oligarchen lohnt es sich nicht zu sprechen. Viele wirklich Reiche wie Chodorkowski haben sich schon frühzeitig samt ihren Scheinfirmen in die sanften Steueroasen wie London und die Caymans zurückgezogen. So klug waren die ukrainischen Oligarchen sicherlich auch. Um sie braucht man sich keine Sorgen zu machen.

Aber WIR müssen uns jetzt wirklich Gedanken machen, wie wir in Zukunft mit den feindlichen slawischen Brüdern in Europa umgehen wollen, und zwar ernsthaft, nicht nur in der üblichen Oberflächlichkeit.

Andre Möller | Mi., 9. März 2022 - 17:48

Alexej III und Peter I. Vor Peter gab es die totale Abkapselung des russ. Reiches in alle Himmelsrichtungen. Peter hat "das Tor nach Westen aufgestoßen". Es schließt sich jetzt eventuell wieder bzw. wird verschlossen. Aber nur nach Westen. Russland hat seine eigene Umlaufbahn, das gilt für alle kulturell eigenständigen Nationen (China, Indien, Japan,...). Die kommen auch mit sich selber klar. Es ist noch nicht ausgemacht, wer hier den größeren Schaden davonträgt aus der aktuellen Weltlage. Der Westen agiert nicht gerade rational in der europäischen Krise. Frankreich ist noch am Ehesten bereit in dieser Krise europäische Interessen zu vertreten, das reicht aber nicht hin, den Konflikt zu befrieden. Die USA und China sind die lachenden Dritten in diesem unwürdigen Spiel. Europa zerlegt sich mal wieder selbst, wie 1914.

Oswald Poplas-B. | Do., 10. März 2022 - 18:11

Sicher kann man auf N.Berdjaev und W.Rozanow zurückgreifen und dabei Peter I. und die grundlegenden geistigen Strömungen in der russischen Literatur und Philosophie vergessen. Kann man.Aber nicht sehr hilfreich. Es ist der jahrhundertalte Streit zwischen den Slawophilen und den Zapadniki ( " sog.Westlern ).

Daher wäre es sicherlich viel hilfreicher gewesen, zu zeigen ob und inwieweit Alexander Dugin Einfluß hat auf das politische Denken Putins. Aber davon keine Rede, stattdessen ein Rekurs auf eine Religionsphilosophen, der völlig unbedeutend ist, soweit es das Spektrum politischen Denkens in Rußland betrifft.