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Royale Geburt - Ihr habt das Baby und wir Pofalla

Die Geburt des Sohnes von Thronfolger-Paar William und Kate sorgt für regelrechte Jubelstürme in Großbritannien. Vergessen sind Krise und NSA. Was haben eigentlich wir Deutschen als nationales Aufputschmittel?

Autoreninfo

Reinhard Mohr (*1955) ist Publizist und lebt in Berlin. Vor Kurzem erschien sein Buch „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (Europa Verlag, München).

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Eigentlich steht Deutschland im Sommer 2013 verdammt gut da. Die Wirtschaft läuft trotz Euro-Dauerkrise, die Arbeitslosigkeit ist gesunken, während die Steuereinnahmen gestiegen sind – auch ohne die hinterzogenen Millionen von Uli Hoeneß. Laut einer aktuellen BBC-Umfrage ist die vereinte Bundesrepublik das beliebteste Land der Welt. Und dann noch dieses Wahnsinnswetter!

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Friedlich, manche meinen: fast schon zu verschlafen, ja selbstzufrieden, döst das Land in der Julihitze. Selbst der NSA-Skandal, den die Medien etwas altertümlich „Spähaffäre“ nennen, erregt die Gemüter weniger als erhofft. Der fast schon verzweifelte Aufruf, sich zu empören, verdampft irgendwo zwischen Oberbayern und der Ostsee, während sich gefühlte drei Untersuchungsausschüsse, unzählige Datenschutzexperten, Heribert Prantl, Sascha Lobo und Jakob Augstein persönlich um die Aufklärung kümmern.

So könnten die Deutschen also wirklich einigermaßen glücklich und zufrieden sein, womöglich gar ein wenig stolz. Aber sie sind es natürlich nicht. Comme d’habitude, wie der Franzose sagt, dem es im Augenblick übrigens deutlich schlechter geht als dem Erbfeind outre-Rhin. Wie gewohnt.

So blicken die gut gegrillten Teutonen von ihren Badeliegen auf Mallorca oder Sylt aus gebannt nach London, wo das 3800 Gramm schwere Royal Baby für schier unendliche nationale Glücksströme sorgt. Die Begeisterung über den Buben und Thronfolger Nummer 3, den Kate gestern geboren hat, kennt keine Grenzen. Wie immer am verrücktesten die Boulevardpresse: The Sun heißt nun The Son. Doch der Wahnsinn hat Methode – und eine sehr lange Vorlaufzeit. Die monarchistischen Rituale – von der Verkündung der Geburt durch einen Uniformträger, der in Köln allenfalls als toller Jeck durchgehen würde, bis zur royalistischen Lichtershow auf den architektonischen Symbolen Londons – speisen sich offenkundig aus sehr tiefen Quellen.

Über tausend Jahre britische Monarchie haben eine Tradition geschaffen, der keine Revolution etwas anhaben konnte. Schon gar nicht der englische Parlamentarismus, der sich immer schon mit der Klassengesellschaft arrangiert hat, besser: der ein lebendiger Teil von ihr ist. Dass im Jahre 2013 rund drei Viertel der Briten für die Beibehaltung der Monarchie sind, heißt ja nichts anderes, als dass selbst viele Linke, Anarchisten und aufgeklärte, durch und durch republikanisch denkende Bürger die Queen zur nationalen Symbolfigur erklären, zur höchsten und letzten Instanz des British Empire – besser: seiner Restbestände. So lustvoll sie über den ewigen Prinzen Charles, seine Camilla, the Horse, und anderweitig merkwürdige Mitglieder des Königshauses gespottet haben – so sehr haben sie geweint, als Lady Diana starb.

Und nicht nur sie. Auch in Deutschland gaben damals nicht wenige, die gerne über den Anachronismus der Monarchie und den britischen Finanzkapitalismus herziehen, hinter vorgehaltener Hand zu, dass auch sie den stundenlangen Fernsehübertragungen von Dianas Beerdigung gefolgt sind und bei Elton Johns „Like a candle in the Wind“ feuchte Augen bekamen

Warum aber ist das so? Warum weinen wir nicht jeden Tag über die syrischen Kinder, die Opfer des irrsinnigen Bürgerkriegs werden? Warum rührt ein winziger Prinz in Windeln die Leute zu Tränen, die  sich sonst allenfalls bei Casting Shows ihren Gefühlshaushalt aufputschen?

Hier helfen nur zwei Fremdwörter weiter: Projektion und Identifikation. Wünsche, Ängste, Glücksgefühle, Fantasien aller Art heften sich auf den jüngsten Spross jener königlichen Familie, die eben keiner beliebigen Soap Opera entsprungen ist, sondern, im doppelten Sinn, den konstitutionellen Rahmen des eigenen Lebens bildet. Persönliche und kollektive, also auch nationale Identifikation scheinen dabei unauflöslich miteinander verbunden. Geschichte verwandelt sich in sinnstiftende Tradition, die Orientierung und Halt bietet, ein Gemeinschaftsgefühl zumal, das in unseren digitalen Zeiten immer seltener wird. Apropos und nebenbei: „Tempora“, das britische „Prism“, ist – vom wackeren Guardian abgesehen – den Zeitungen kaum noch eine Zeile wert.

Und wir, die wir jeden Tag mit neuen skandalösen Enthüllungen bombardiert werden und eine hydrahafte Mega-Stasi eines totalen Überwachungsstaats an die Wand malen, die die gute alte DDR in einem geradezu verklärend milden Licht erscheinen lässt?

Wir haben Ronald Pofalla, der jetzt vor dem Parlamentarischen Kontrollausschuss Rede und Antwort stehen muss. Wir haben Mutti Merkel, die gerade mit Reinhold Messner über die Südtiroler Berge wandert. Wir haben Joachim Gauck, der seine Worte inzwischen abwägt wie einst Richard von Weizsäcker. Und wir haben Jürgen Drews, den König von Mallorca, der sich in diesen Stunden in einen heroischen Abwehrkampf gegen das Ende „unseres Ballermann“ (Bild) stürzt.

Okay, und wir haben den „Grill Royal“ in Berlin-Mitte.

Aber sonst?  

Jede Menge Leerstellen – und ein gefallener Prinz, der seine Doktorarbeit abgeschrieben hat und nun in Amerika leben muss.

Für viele Deutsche war er seinerzeit ein grandios fescher Ersatzkönig gewesen. Beinah hätte es geklappt.

A bissel schad is scho.

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