Jedes Jahr feiern Russen im ganzen Land den Sieg über Nazideutschland.
Jedes Jahr feiern Russen im ganzen Land den Sieg über Nazideutschland. / picture alliance

Rechte in Russland - Im Land der Sieger

Wenn Kriegsveteranen in Russland den Sieg über Nazideutschland feiern, geschieht dies nicht ohne Beigeschmack. Es ist eine neue Rechte auf dem Vormarsch, die an Zulauf gewinnt. Bislang nimmt der Kreml die Propaganda der Neonazis nicht allzu ernst

Autoreninfo

Dmitri Stratievski ist promovierter Historiker und Politologe. Er engagiert sich ehrenamtlich im Bereich Migration, Integration und Flüchtlingsarbeit und befasst sich mit der Politik und Geschichte Osteuropas.

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Rollende Panzer am Roten Platz in Moskau, Kranzniederlegungen am Ehrenmal, Auftritte von Kriegsveteranen in den Schulen. Auch in diesem Jahr wird in Russland der Sieg über Nazideutschland 1945 landesweit gefeiert.

Neben den offiziellen Maßnahmen findet in fast jeder russischen Familie ein bescheidenes Fest statt. Nach der Entsakralisierung der Sowjetära zur Gorbatschow- und Jelzin-Zeit bleibt der 9. Mai de facto der letzte positive Ausgangspunkt im nationalen Bewusstsein der postsowjetischen Gesellschaft Russlands. Die Sowjetunion musste im Zweiten Weltkrieg einen immensen Blutzoll bezahlen. Von etwa 27 Millionen verstorbenen Soldaten und Zivilisten waren gut 7,5 Millionen Bewohner der Russischen Sowjetrepublik oder ethnische Russen aus den anderen Regionen der UdSSR. Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus bedeutet jedoch keine Immunität gegen die heutige Gefahr von rechts.

Frustration und Unzufriedenheit


Die rechtsradikalen Untergrundbewegungen gab es schon in der UdSSR. Teilweise waren es von der Ideologie frustrierte Jugendcliquen, deren Mitglieder sich durch den Reiz des Verbotenen angezogen fühlten. Parallel dazu beobachtete das Komitee für Staatssicherheit (KGB) streng hierarchisch aufgebaute, gewaltbereite Neonazi-Gruppierungen, die am äußersten Rand des russischen Nationalismus standen. Die Beteiligten waren antisemitisch, lehnten den formell proklamierten Internationalismus im Vielvölkerstaat ab und waren unzufrieden über die aus ihrer Sicht zu niedrige gesellschaftspolitische Stellung der Russen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Rechtsextremen Teil der politischen Landschaft Russlands. Die größte Vereinigung der Ultra-Rechten, die faschistische „Russische Nationale Einheit“ (RNE), zählte mehr als 10.000 Mitlieder und Sympathisanten, darunter eine gut geschulte und bewaffnete, 200 Mann starke Einsatztruppe. Im Kampf gegen Jelzins Liberale kooperierte die RNE mit orthodox-kommunistischen und stalinistischen Organisationen. Der RNE-Anführer Aleksandr Barkaschow wurde infolge der Unruhen 1993 in Moskau festgenommen, jedoch wenige Monate später aus der Haft entlassen. 

Die zweischneidige Strategie des Kreml


Wladimir Putin waren die russischen Rechten für sein Machtkalkül hoch unerwünscht. Er betrieb eine Doppelstrategie aus Verbannung und Integration.

Einerseits vertrieb der Kreml die Nationalisten aus der aktiven Politik, weil ihr Dogmatismus seinem Wunschmodell – einer gemäßigt-autokratisch und zentralistisch regierten „Aktiengesellschaft Russland“ – entgegenlief. Dafür benutzte die russische Führung ein breites Spektrum von machtpolitischen Instrumenten. 2003 erhielt die rechtspopulistische und fremdenfeindliche Partei „Heimat“ bei der Parlamentswahl etwa 5,5 Millionen Stimmen und zog mit 49 Abgeordneten in die Staatsduma. Zwei Jahre später durfte die Partei nicht mehr an der Wahl teilnehmen. Die „Heimat“ spaltete sich.

Andererseits integrierte der Kreml die ehemalige Doppelspitze der Nationalen in die obere Regierungsetage: Dmitrij Rogosin bekleidet gegenwärtig das Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten Russlands. Sergej Glasjew ist ein Wirtschaftsberater Putins.

Comeback der rechten Szene


Die rechten Skinhead-Banden indes wurden mit ganzer Härte bekämpft. 2004 bis 2011 hat die russische Justiz über 20 rechtsextreme Gruppen verboten. Darunter die „Slawische Union“ (russische Abkürzung „SS“), die „Liga der Verteidigung Moskaus“, die „Bewegung gegen die illegale Migration“ und andere. 2011 verurteilte das Moskauer Gericht fünf Mitglieder der „Nationalsozialistischen Gemeinschaft Norden“ wegen Mordes an 28 Einwanderern aus dem Kaukasus und aus Mittelasien zu lebenslanger Haft.

Jetzt erlebt die rechte Szene Russlands ihr Comeback. 2014 verdoppelte sich die Zahl rechtsextremer Straftaten im Vergleich zum Vorjahr. Daten für 2015 liegen nicht vor. Die Radikalen feiern ihre Rückkehr auf den russischen Straßen. Die Petersburger Stadtverwaltung genehmigte den Aufmarsch „Für die Slawen und die weiße Rasse“ am 1. Mai 2016.

Die Anhänger der faschistischen Gruppierung „Slawische Kraft Nordwest“, die sich selbst auf ihrer Homepage als „Gemeinschaft von weißen Rassisten und NS“ bezeichnet, marschierten ungehindert durch die Stadt. Zugleich wurde eine 20-Personen-Kleindemo der LGBT-Aktivisten (Anm. d. Redaktion: Lesben-, Schwule-, Bisexuelle- und Transgender-Aktivisten) nach dem Zeigen der Regenbogenfahne mit massivem Polizeieinsatz aufgelöst.

Beate Zschäpe gilt als politischer Häftling


Das sogenannte „Komitee der Nation und Freiheit“ wirbt in sozialen Netzwerken intensiv mit einem eindeutig menschenfeindlichen Programm und plant, „eigene Kandidaten für die Duma-Wahl 2016“ aufzustellen. Das „Komitee“ positioniert sich als oppositionell und plädiert für die „Befreiung Russlands von der antirussischen Diktatur“. Laut seiner gesamteuropäischen Internet-Liste „Weiße Solidarität“ seien viele strafrechtlich verfolgte Rechtsextremisten „politische Häftlinge“, unter anderem die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe. Eine wichtige Rekrutierungsquelle für die Rechten bietet die Fußballhooligan-Szene sowie mehrere Abspaltungen von regierungstreuen Jugendverbänden.

Womit erklärt sich der signifikante Anstieg der rechten Propaganda in Russland?

Regierung und Zivilgesellschaft liefern unterschiedliche Antworten auf diese Frage. Im Oktober 2015 brachte Wladimir Putin die Steigerung der nationalistischen Tendenzen mit den „unkontrollierten Migrantenströmen und Zusammenstößen der Kulturen“ in Verbindung.

Der Kreml unterschätzt die rechte Gefahr


Menschenrechtler warnen, dass die Kampagne des „Hurra-Patriotismus“ im Zusammenhang mit den Kriegen in der Ukraine und in Syrien Neonazis in die Hände spiele. Auch die Rechtskonservativen kann der Kreml nicht für sich gewinnen: Das staatliche Konzept des „russländischen“, das heißt nicht-ethnischen Nationalismus, lehnen diese Bevölkerungsteile ab: Ihnen fehlt es an „Wir-Gefühl“.

Der rechte Rand appelliert viel mehr an die Instinkte. Er bedient sich dabei auch der sowjetnostalgischen Rhetorik der Machthaber, die Russlands Zeiten als Supermacht nachtrauern. Und: Die Rechten servieren ihre Propaganda leicht verständlich.

Der Kreml hält die Ultrarechten vermutlich für marginal. Es besteht eine Gefahr, dass er sich verkalkuliert.

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