Anhänger von Präsident Erdogan auf einer der Bosporus-Brücken in Istanbul / picture alliance

Putschversuch in der Türkei - 265 Tote, 1400 Verletzte, 3000 Festgenommene

In der Nacht haben Teile des türkischen Militärs versucht, gegen die Regierung von Staatspräsident Erdogan zu putschen. Der erklärte den Versuch für gescheitert und will nun mit aller Härte gegen die Aufständischen vorgehen

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Bei einem Putschversuch von Teilen des türkischen Militärs sollen 265 Menschen getötet und 1400 verletzt worden sein. Präsident Erdogan erklärte den Aufstand für gescheitert, fast 3000 Militärangehörige wurden festgenommen. Er wolle hart gegen die Putschisten vorgehen und das Militär „säubern“. Hinter dem Putschversuch vermutet Erdogan Anhänger seines in den USA lebenden Widersachers, Prediger Fethullah Gülen. Dieser bestreitet, an dem Aufstand beteiligt gewesen zu sein.

Am Freitag um 22.55 Uhr verkündeten die Putschisten, die „volle Kontrolle“ über das Land übernommen zu haben. Im Hauptquartier der Armee soll es zu Geiselnahmen gekommen sein. Nach Informationen des Senders CNN Türk sind Soldaten auch in das Parteigebäude der regierenden AKP eingedrungen. Über Ankara und Istanbul flogen Kampfjets und Hubschrauber. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, das türkische Parlament sei von einer Bombe getroffen worden.

Chaotische Zustände

Das türkische Militär verkündete daraufhin das Kriegsrecht und verhängte eine Ausgangssperre. Erdogan wiederum rief das Volk zu öffentlichen Versammlungen gegen den Militärputsch auf. In Istanbul haben Medienberichten zufolge Soldaten auf regierungstreue Demonstranten geschossen. Am Taksim-Platz soll es zu einem Feuergefecht zwischen Polizei und Soldaten gekommen sein.

Um 02.02 Uhr in der Nacht erklärte der türkische Ministerpräsident Yildirim, die Situation sei größtenteils unter Kontrolle. Um 02.51 Uhr stürmten Putschisten jedoch den Fernsehsender CNN Türk. Noch in der Nacht brach Staatspräsident Erdogan seinen Urlaub ab und landete in Istanbul. Kurz danach wurden bereits die Namen von Offizieren veröffentlicht, die an dem Militärputsch angeblich beteiligt waren. Am frühen Morgen sollen sich Dutzende Putschisten auf einer der beiden Bosporus-Brücken ergeben haben. Auch der Stabschef der türkischen Armee ist nach Angaben aus Regierungskreisen befreit worden.

Reaktionen

Ministerpräsident Yildirim erklärte am Vormittag abermals, die Regierung habe die Lage „vollständig unter Kontrolle“. Der Putschversuch sei aus einer „Parallelstruktur“ in den Streitkräften heraus entstanden. Er bezeichnete ihn als „Schandfleck für die türkische Demokratie“. Auch die türkische Opposition verurteilte den Militäraufstand.

Deutschland, die USA, Russland und die Europäische Union stellten sich ebenfalls hinter die türkische Regierung. Außenminister Frank-Walter Steinmeier berief einen Krisenstab der Bundesregierung in Berlin zusammen.

Acht mutmaßliche Putschisten sind unterdessen mit einem Hubschrauber nach Griechenland geflohen und baten dort um Asyl. Sie wurden nach Angaben der griechischen Polizeibehörde festgenommen.

Neuester Stand: 13:45 Uhr

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Arndt Reichstätter | Sa., 16. Juli 2016 - 12:32

In Bezug auf die Bedeutung von Fethullah Gülen empfehle ich die Recherchen von Sibel Edmunds, einer türkisch-stämmigen ehemaligen CIA-Dolmetscherin. Sie vermutet schon einige Zeit lang, Erdogan werde eventuell geputscht werden.

Dazu passt, was Udo Ulfkotte heute bei KOPP Online veröffentlichte. Nämlich Hinweise auf diverse Artikel aus wichtigen amerikanischen Magazinen wie Foreign Affairs, welche den Putsch seit Monaten erwarten.

Noch bin ich unsicher, wie das ganze einzuordnen ist.

Ich hoffe nur, unsere türkischen Freunde werden dabei nicht leiden.

Christoph Kuhlmann | Sa., 16. Juli 2016 - 14:21

... und schon sprießen die Verschwörungstheorien, nach denen Erdogan selber hinter dem Putsch steckt, der nun als strahlender Held des Vaterlandes endgültig zum Sultan auf Lebenszeit ausgerufen wird, nachdem er den Titel Pascha aufgegeben hat.

Jacqueline Gafner | Sa., 16. Juli 2016 - 14:22

stellten sich ebenfalls hinter die türkische Regierung." In dieser Reihenfolge? Weil die türkische Regierung das Paradebeispiel einer in ordentlichen Wahlen bestellten und freiheitlich-rechtsstaatlich agierenden Exekutive ist? Wer die Live-Berichterstattung von CNN während des laufendes Putsches verfolgt hat, durfte erstaunt zur Kenntnis nehmen, wie offen - immerhin auch eine Qualität - besprochen wurde, warum man Partei für Erdogan ergreifen müsse. Auf Platz 1: Nach den USA ist die Türkei das militärisch potenteste NATO-Mitglied im Kampf der USA gegen den Daesh. Auf Platz 2, siehe Platz 1. (...) Hinzu kommt, dass die Türkei - anders etwa als Aegypten - an der "Flüchtlingsschraube" drehen kann, was speziell in den Augen der EU ein nicht ganz unbedeutender Nebenpunkt sein dürfte. Und Russland sieht beim Stichwort Putsch auch rot, so es keinen Einfluss auf die Regieführung hat. Schliesslich: demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen, widerspricht demokratischen Spielregeln.

Richtig Frau Gaffner und danke, wie Sie das alles beschrieben haben. Und dann der Schluss:" demokratisch gewählte Regierungen zu stürzen, widerspricht demokratischen Spielregeln."
- aber nur insoweit, wie es in das Konzept der westl. Mächte passt. Wenn nicht, werden kleine Bürgerkriege angezettelt und dann völkerrechtswidrig interventiert. Siehe Libyen, Syrien, Ägypten, das ehemalige Jugoslawien wurde sogar ganz zerschlagen mit den üblichen Folgen, Flucht, Vertreibung, Mord und Totschlag und was in Afrika passiert ist auch nicht in Ordnung; Iran und Irak sind auch nicht stabil....überall hat westl. Militär Scherben und verbrannte Erde hinterlassen...

Antworten

Helmut Bachmann | Sa., 16. Juli 2016 - 14:49

...in die Diktatur. Ob das nun sogar inszeniert wurde oder nicht, Erdogan hat seinen "Reichstagsbrand" und wird nun seine Diktatur endgültig installieren. Dies ist nun gewiss. Bin gespannt, wie die EU diese Farce genannt Beitrittsverhandlungen nun begründen will.

Christian Schulze | Sa., 16. Juli 2016 - 16:50

Wenn man sieht wie schnell dieser Mensch knapp 3000 Richter und Staatsanwälte zu einer Zeit entlassen, in der auf den Straßen noch geschossen wurde, dann muss man getreu dem Motto Cui Bono schon mehr als überrascht die Stirn runzeln. Es sieht eher aus wie ein von Erdogan selbst inszenierter "Putsch", die Organisation gegen die er seit Jahren Krieg führt, ist allen gegenteiligen Beteuerung von ihm schnell als Verursacher ausgemacht. Er spricht offen von Säuberungen und Einführung der Todesstrafe. Da passt es ins Bild dass dieser NATO Funktionär von Washingtons Gnaden Stoltenberg sofort diesen aggressiven Nationalisten vom Bosporus als treuen Bündnispartner lobt. Es wird sicher keine unter den Augen der Öffentlichkeit rechtsstaatliche Verhandlung über die "Putschisten" geben, man wird wohl eher mit öffentlichen Exekutionen rechnen dürfen. Vermutlich unter den Augen dieser unsäglichen europäischen Politiker, welche unbeirrt auf die Aufnahme dieser Türkei in die bröckelnde EU hinarbeiten.

Zoe Kleutgen | Sa., 16. Juli 2016 - 21:09

Mutti sollte schon mal ihre Schürze, ihr Kopftuch und ihre Schlappen rauskramen und das Auf-Knien-rutschen üben. Der Erdogan wird ihr schon zeigen, wie sie zu spuren hat. Da hilft auch nicht, dass all die Systempressen dem Erdogan schon zu seiner neuen wehrhaften Demokratie gratulieren. Es wird langsam grotesk für die Mutter Weimar der Nation.

Karola Schramm | So., 17. Juli 2016 - 18:38

Natürlich ist ein Militäraufstand nicht die Lösung - aber wie entledigt man sich eines Diktators der so ist wie Erdogan ?

Dann ist überhaupt nicht geklärt, wieweit dieser Putsch überhaupt ein echter war. Er kann genausogut inszeniert gewesen sein, was einige Beobachter auch öffentlich sagen.

Wenn Erdogan der Profiteur davon ist, kann man auch davon ausgehen, dass das ein Coup von ihm selber oder des Geheimdienstes MIT war, der eng mit DE und den USA zusammenarbeitet. Von daher wäre erklärlich, warum die Botschaften von USA, DE und FR VOR dem "Putsch" geschlossen und amerikanische Staatsbürger, die sich in der Stadt aufhielten gewarnt wurden, ihre Hotels nicht zu verlassen.

Jedenfalls sieht es so aus, dass die politisch Handelnden immer aggressiver werden, je mehr die Bevölkerungen echte domokratische Mitbestimmung wollen.