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(picture alliance) Helmut Kohl aus Oggersheim ist im Vergleich zu Kauder ein strahlender Kosmopolit

Michael Naumann - Provinzpolitiker Kauder und die deutsche Sprache

„In Europa wird wieder Deutsch gesprochen“, rief CDU-Fraktionschef Volker Kauder kürzlich aus. Wann wird dieser wohl im Gespräch mit dem neuen Vorstand der Deutschen Bank, dem indischen Briten Anshu Jain, darauf beharren, dass der Vielfachmillionär doch die Landessprache benutzen möge, fragt sich Cicero-Chefredakteur Michael Naumann

„In Europa wird wieder Deutsch gesprochen“, rief der CDU-Fraktionschef Volker Kauder seinen Parteifreunden beim jüngsten Wellness-Kongress der Union zu. „Oh, really?“ antwortete die britische Presse mit der inseltypischen Empörung. Na klar, legt „Bild“ nach, pünktlich zum Besuch des britischen Premiers: „Europa spricht Deutsch, Herr Cameron!“ – und „Was wollen die Engländer eigentlich in der EU?“ Für alle Bild-Leser: Das ist das Land der Königin und ihrer Schwiegertöchter, tot und lebendig. Und die brauchen wir deutschen Europäer doch wirklich immer wieder. Von den meist englischen Nackedeis auf Seite eins ganz abgesehen. 

Lebte er noch, könnte sich Friedrich Schiller als literarischer Testimonial-Spot von „Bild“ missbrauchen lassen: Deutsch, so meinte er einmal, sei der Stamm der Sprachen Europas, die anderen „sind die Blätter.“ Dabei konnte er natürlich nicht an das besondere deutsche Blatt denken, das sich laut seinem stellvertretenden Chefredakteur Nikolaus Blome als Teil der „europäischen Öffentlichkeit“ versteht, die, wer will das bestreiten, in jedem Bauwagen, an jedem Stammtisch beginnt – und bisweilen auch endet. 

Sind wir also wieder im Nationalismus des frühen 19. Jahrhunderts mitsamt seinem Sprachenstreit und Sprachenhochmut gelandet? Unvergessen ist der Hochmut deutscher Historiker, als sie entdeckten, dass peinlicherweise Deutsch die „Arbeitssprache“ im ersten panslawistischen Kongress zu Moskau (1867) war. Wann also wird Herr Kauder beim irgendwann fälligen Gespräch mit dem neuen Vorstand der Deutschen Bank, dem indischen Briten Anshu Jain, darauf beharren, dass der Vielfachmillionär doch bitte die Landessprache benutzen möge?

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„Provinz“ beginnt im Kopf: Volker Kauder, der offensichtlich stolz darauf ist, dass mit deutschen Steuergeldern und deutschen Haushalts-Vorschriften europäische Rettungsmaßnahmen verknüpft werden, ist ein Provinzpolitiker, gegen den – im Vergleich - der Europäer Helmut Kohl aus Oggersheim ein strahlender Kosmopolit war. Was hülfe es (Luther-Deutsch), ihm zu erklären, dass die Demütigung, die mit den haushaltspolitischen Restriktionen für Griechen, Portugiesen oder demnächst auch Italiener einhergeht, tunlichst nicht unter dem deutschen Amtssiegel einherkommen sollte.

Europapolitik ist nicht identisch mit der Europäischen Fußballmeisterschaft. Und jene kennt in diesen Tagen auch keinen Gewinner. Wer sich, wie Kauder, vor Abschluss der politischen und ökonomischen Schlussbilanz Europas als deutschsprachiger Sieger ausruft, sollte sich von Guido Westerwelle beraten lassen – seine selbstbewusste Aufforderung, ein britischer Korrespondent möge seine Frage doch bitte auf Deutsch stellen, hat rein gar nichts zur Förderung der Sprachkurse des Goethe-Instituts beigetragen (Erste Lektion: „Lightbulb“ heißt „Glühbirne“).

Nein, wir leben im 21. Jahrhundert, und die Arbeitssprache der international und wissenschaftlich tätigen Europäer ist Englisch. Europa spricht weder finnisch, noch deutsch. Das mag bedauern, wer will. Tatsache ist, dass die deutsche physikalische Doktorarbeit der Kanzlerin in der zeitgenössischen Wissenschaft dieselbe internationale Rezeptionsgeschichte vorzuweisen hat wie der epochenversetzte Ausbruch Kauders in überholten Nationalismus: Man wundert sich und fragt sich, was das heißen könnte. In Kauders Fall ist die Antwort einfach: Überhaupt nichts. Nothing at all.

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