Pride-Parade in Ungarn verboten - „Ich kann sie nicht leiden, dennoch muss sie stattfinden“

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán lässt die Pride-Parade in Budapest verbieten. Im Interview kritisiert Péter Ungár, der offen schwul lebende Vorsitzende der ungarischen Grünen, das Verbot und verrät, warum er dennoch die Ideologie der Pride-Parade ablehnt.

Viktor Orbán ist auf dem T-Shirt einer Teilnehmerin des Pride-Marsches zu sehen / picture alliance/dpa | Marton Monus
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Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Péter Ungár ist Mitglied des ungarischen Parlaments und Vorsitzender der ungarischen Grünen.

Herr Ungár, Die Fidesz-Partei will die Pride-Parade in Budapest verbieten. Wie ist die Rechtslage in Ungarn?

Es ist in Ungarn prinzipiell kein Problem, schwul zu sein. Der Ministerpräsident Viktor Orbán hat soeben aber in einer Rede an die Nation angekündigt, dass er die Pride-Parade in Budapest verbieten und es für Teilnehmer Strafen von bis zu 500 Euro geben wird. Sie möchten die Teilnehmer erfassen und mit einer Gesichtserkennungssoftware identifizieren. Die Stadt Budapest zeigt sich bereits solidarisch mit der Pride-Parade. Es gibt gerade einen harten politischen Konflikt zwischen der Fidesz-Partei und Gergely Karácsony, dem liberalen Bürgermeister von Budapest.

Wird die Pride-Parade stattfinden?

Sie wird stattfinden, da bin ich mir sicher. Sicherlich werden viele Menschen trotz der angekündigten Strafmaßnahmen zur Parade gehen. Ob es tatsächlich zu Strafen kommen wird, werden wir sehen.

Sie sind der erste schwule Politiker im ungarischen Parlament, der sich offen zu seiner sexuellen Orientierung bekannt hat. Wie denken Sie persönlich über den Versuch der Fidesz-Partei, die Pride-Parade verbieten zu lassen? 

Ich persönlich finde die Pride-Parade in Budapest langweilig, und mich stört es, dass es nur noch um Marketing geht. Die Parade ist inzwischen voller Unternehmen und Organisation, die Werbung für sich machen. Ich war bin zwar der erste schwule Abgeordnete im ungarischen Parlament, trotzdem habe ich eine sehr schlechte Meinung über die Pride-Parade. Übrigens auch aus ideologischen Gründen. Dennoch halte ich es für schwachsinnig, dass Orbán die Parade verbieten möchte. Die Meinungsfreiheit und das Versammlungsrecht sind wichtige Säulen in jeder Demokratie. Schauen Sie: Für westeuropäische Verhältnisse habe ich ein sehr radikales Freiheitsverständnis. Obwohl ich Jude bin, habe ich dagegen gestimmt, dass Holocaustleugner bestraft werden sollten. Jeder Mensch sollte in einer Demokratie sagen dürfen, was er möchte – selbst, wenn es idiotisch ist. Das sind meine persönlichen Lehren aus der kommunistischen Zeit in Ungarn.

Péter Ungár / Facebook/LMP – Magyarország Zöld Pártja

Sie sprachen davon, dass Sie die Pride-Parade auch aus ideologischen Gründen ablehnen. Was meinen Sie damit?

Ich bin zwar homosexuell, dennoch gehöre ich nicht der Gay-Community an. Die Gay-Community, die auf der Pride-Parade in Budapest anzutreffen ist, vertritt mehrheitlich eine queere Transideologie. Ich lehne diese Ideologie ab, da ich auf Grundlage der Wissenschaft davon überzeugt bin, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Zudem vertritt dieses Milieu ein ultraliberales Verständnis von Sexualität. Sie sind beispielsweise der Ansicht, dass bereits Kinder frühzeitig sexuell aufgeklärt werden sollten. Dem widerspreche ich zutiefst. Die frühkindliche Sexualbildung hat in Kinder- und Schulbüchern nichts verloren. Außerdem ist dieses Milieu verlogen: Auf Pride-Paraden gehört es zum guten Ton, die katholische Kirche zu attackieren. Ich bin kein Freund der katholischen Kirche, dennoch machen sie sich unglaubwürdig, wenn sie aus ideologischen Gründen gleichzeitig niemals den Islam kritisieren.

Apropos Kinder: Was halten Sie davon, dass Fidesz mit dem Schutz von Kindern argumentiert?

Kinder werden nicht durch die Pride-Parade traumatisiert. Das ist albern. Das größte Problem, das wir als Politiker entschieden bekämpfen müssen, ist Kindesmissbrauch und Kinderpornographie. Ich habe einige Gesetze eingebracht, die den Zugang zu Pornographie erschweren sollten. Die Fidesz-Regierung nimmt dieses Thema auf die leichte Schulter. Das ist heuchlerisch. Einerseits möchten sie die Pride-Parade aus Gründen des Kinderschutzes verbieten, aber andererseits kämpfen sie nicht entschlossen genug gegen öffentlich zugängliche Pornographie. Eines ist sicher: Kinder werden nicht geschädigt, weil sie eine Regenbogenflagge betrachten.

Schädigt die queere Identitätspolitik aber die ungarische Gesellschaft?

Selbstverständlich. Mitglieder der Jugendabteilung der ungarischen Grünen waren bei einem Workshop für junge europäische Grüne, die sich darüber gestritten haben, warum wir über die Einführung einer fünften Geschlechtsidentität sprechen müssen. Mittlerweile gehört der Glaube zur grünen Bewegung in Westeuropa, dass es unendlich viele Geschlechter gäbe. In meinem Verständnis sollten Wissenschaftlichkeit und Grün-Sein Hand in Hand gehen. Das war einer der Hauptgründe, warum sich unsere Partei voriges Jahr dazu entschieden hat, aus der Europäischen Grünen Partei (EGP) auszutreten. Identitätspolitik hat einen ehrenwerten Impuls, wenn es darum geht, Minderheiten vor jahrzehntelangen Diskriminierungen zu befreien. Wenn sich Identitätspolitik allerdings immer mehr von wissenschaftlichen Erkenntnissen entfernt, führt sie ein anti-aufklärerisches Eigenleben, das viele Bürger eher befremdet.

Ich habe das Gefühl, dass die Angriffe auf die schwule Gemeinschaft in Ungarn noch stärker geworden sind, seit Trump in den USA an der Macht ist. Wie erklären Sie sich das?

Wissen Sie, was mich ehrlich gesagt derzeit am meisten stört? Die allermeisten Ungarn interessieren sich für ganz andere Themen: für die Lebensmittelpreise, die Mietpreise, den demographischen Wandel, die schlechte Kinderbetreuung. Ministerpräsident Orbán lenkt von den wichtigen Themen für die Bevölkerung ab und stürzt sich in einen Kulturkampf. Es ist immer leichter Kulturkriege zu führen, als komplizierte politische Herausforderungen zu lösen. Er möchte damit außerdem die ungarische Gesellschaft spalten in liberal und konservativ, jung und alt, urban und ländlich. Ganz nach dem Motto: teile und herrsche. Dieses vergiftete Klima hilft ihm dabei, an der Macht zu bleiben.

Wie kann ein Staat einerseits die Freiheit von Homosexuellen schützen, andererseits aber nicht die Ideologie der queeren Identitätspolitik übernehmen?

Sowohl in Westeuropa als auch bei uns in Ungarn wird permanent über Identitätspolitik gesprochen. Es ist wie eine politische Sucht. Die westeuropäischen Liberalen und Grünen bespielen damit die elitären Milieus aus den wohlhabenden Großstädten, für die politische Korrektheit zu einem Statussymbol geworden ist. Sie führen einen gesellschaftsschädlichen Kulturkampf und wähnen sich dabei auf der Seite der Guten und Progressiven. Bei uns in Ungarn benutzt die Fidesz-Partei das Thema, um die Deutungshoheit zu haben und sich als vermeintliche Verteidigerin des Christentums aufzuspielen. Auch sie machen letztlich wie die europäischen Liberalen und Grünen eine abgehobene Politik, da sie nicht den Interessen der Mehrheitsbevölkerung entspricht. 

Bei den Liberalen und Grünen in Westeuropa wie bei den Rechten in Ungarn geht es nämlich in Wahrheit um einen Narzissmus der Mächtigen, die ihre politischen Privilegien verteidigen möchten. Themen wie Sexualität und Familie sind intim und emotional sehr besetzt und haben daher ein großes Polarisierungspotenzial. Deswegen sind sie auch in der derzeitigen politischen Landschaft derart beliebt. Doch wer sind die Leidtragenden? Es sind die ganz normalen Bürger, die ihr Leben nicht mehr finanzieren können und merken, dass die persönliche Zukunft immer schwieriger statt leichter wird. Diese Menschen sollten wieder in den Fokus der Politik gerückt werden, anstatt die kulturkämpferischen Themen von progressiven oder fundamental christlichen Minderheiten zu einem Elefanten aufzublasen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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