Pressefreiheit in der Corona-Krise - „China will eine Neue Welt-Medienordnung durchsetzen“

Die Corona-Krise erschwert auch die Arbeit von Journalisten und bringt neue Gefahren mit sich: Die wochenlange Monothematik lässt andere wichtige Themen untergehen, der Versuch der Beeinflussung durch Diktaturen wie China ist groß, warnt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen.

Vor der Krise ein großes Thema, jetzt sind die Proteste in Hongkong verstummt / Foto: Lam Yik Fei/Reporter ohne Grenzen
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Autoreninfo

Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Christian Mihr ist Journalist, Menschenrechtsaktivist und Experte für internationale Medienpolitik. Seit 2012 ist er Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.

Ein Schwerpunkt im neuen Buch "Fotos für die Pressefreiheit" von Reporter ohne Grenzen sind die Massenproteste in Hongkong. Das war auch weltweit ein Schwerpunkt in der Berichterstattung, bevor das Coronavirus im Wuhan ausgebrochen ist. Was ist eigentlich aus diesen Protesten geworden?
Die Proteste in Hongkong sind so wie an vielen Stellen der Welt zum Erliegen gekommen, seit es Lockdowns gibt, das ist ja im Libanon genauso wie Hongkong. Das Besondere an dieser Pandemie ist ja tatsächlich die Globalität. Etwas ähnliches haben wir selten bis nie erlebt. Aber die zugrunde liegenden Probleme, worüber dann Journalisten und Fotografen berichtet haben, die sind natürlich nicht gelöst. Im Fall von Hongkong und China ganz im Gegenteil. Da haben sich im Lichte der Corona-Pandemie ja sogar die Dinge eher noch einmal verschärft. Zum einen, indem China versucht, an der Stelle Tatsachen zu schaffen, indem man zum Beispiel neulich einige Menschenrechtsaktivisten verhaftet hat, darunter ja auch ein Zeitungsmitgründer. Einerseits versucht China, im eigenen Land und in Hongkong die Repressionsschraube anzuziehen, mit bekannten Mitteln. Aber China nutzt auch die Corona-Pandemie, um auch im Globalen eigene Vorstellungen durchzusetzen. Bekannt von China ist ja die "Neue Seidenstraße"-Strategie, aber weniger bekannt ist, dass die Chinesen auch versuchen, eine Art Neue Welt-Medienordnung durchzusetzen.

Christian Mihr / RSF

Das merkt man ja auch momentan. Gerade erst wurde bekannt, dass China versucht hat, Lob für das chinesische Krisenmanagement durch deutsche Ministerialbeamte zu erzwingen. Ähnliches gilt ja sicherlich auch für Journalisten, die über China berichten.
Das ist natürlich grundlegend etwas Anderes als in Deutschland. Hier gibt es inzwischen eine große Debatte über Lockerungen. Verschiedene Virologen kommen zu Wort, die auch unterschiedliche Einschätzungen haben. Und in China versucht das Regime, seine eigene, eine einzige Sichtweise durchzusetzen. Da gibt es viele Beispiele, die Opfer der Repressionswelle sind. Es gibt mehrere Bürgerjournalisten, aber auch normale Journalisten, die vor allem aus Wuhan berichtet haben, die tatsächlich verschwunden sind. Wir wissen einfach nichts über ihr Schicksal. Wir wissen aber, dass sie aus Wuhan berichtet haben, über die Zustände in den Krankenhäusern, von der Überforderung der Krankenhäuser. Wir wissen auch von Ärzten, die Quellen für Journalisten waren, die sich kritisch geäußert haben, dass sie verschwunden sind. 

Wie sieht es denn außerhalb von China mit der Beeinflussung von Journalisten durch die Chinesen aus?
Auf eine eher subtile Art, glaube ich. Zum einen investiert China im Rahmen seiner Strategie einer Neuen Welt-Medienordnung seit vielen Jahren massiv in Journalisten-Trainings. Man lädt Journalisten nach China ein, das sind zum Teil sehr gute Stipendien über einen längeren Zeitraum, um sie dort weiterzubilden. Hier in Europa waren gerade aus den Ländern des Balkans, aber auch aus anderen Weltregionen, zum Beispiel aus Pakistan waren viele dort. Die zweite Ebene aber ist die Produktion von Bildern. Was uns aufgefallen ist: Es gibt ja die chinesische Staatsnachrichtenagentur Xinhua, es gibt den chinesischen Auslandsfernsehsender CGTN, die gerade in den vergangenen Wochen versucht haben, Bilder zu produzieren, die die vermeintlich erfolgreiche Bekämpfung des Coronavirus zeigen. Die wurden auch auf Social-Media-Kanälen sehr systematisch verteilt. Zum Teil auch diese Jubelbilder, die es gab, als chinesische Ärzte in Italien waren. Ich fand es interessant zu beobachten, dass diese Bilder doch teilweise sehr unkritisch, unkontextualisiert auch in Deutschland, aber auch im Rest Europas auf Social-Media-Kanälen von Menschen weiterverbreitet wurden. Das ist schon eine subtile Beeinflussung von Mediennutzern und von Medien.

Kommen wir mal zu einem anderen Thema, und zwar Deutschland. Wie bewerten Sie den Stand der Pressefreiheit in Deutschland?
Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist Deutschland auf Platz elf von 180 Ländern. Das könnte besser sein, aber ist ja doch relativ weit oben, in der EU oberes Mittelfeld. Aber es gibt eben Länder, die auch manches besser machen. In Deutschland haben wir im vergangenen Jahr auch wieder Gewalt gegen Journalisten erlebt, wichtig allerdings: Die ging nicht von staatlichen Akteuren aus. Das unterscheidet Deutschland von anderen Ländern. Die Gewalt gegen Journalisten in Deutschland ist im vergangenen Jahr auch leicht zurückgegangen im Vergleich zum Vorjahr. Sie ging aber vor allen Dingen von rechtsextremen Gruppierungen aus. Aber wir hatten im vergangenen Jahr nicht solche Ereignisse wie die Ausschreitungen in Chemnitz, wo es massive rechte und rechtsextreme Gewalt gab. Es gibt aber einige problematische Gesetze, die entweder in Kraft sind oder angekündigt wurden. Es gab im

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vergangenen Jahr die Ankündigung, das Verfassungsschutzgesetz zu ändern, was es dem Verfassungsschutz erlauben würde, sich in Smartphones und E-Mails von Journalisten reinzuhacken und den Quellenschutz auszuhöhlen. Es gibt ein BND-Gesetz, was den Quellenschutz aushöhlt, gegen das wir auch Verfassungsklage eingereicht haben. Wir sehen im Zeitungsbereich eine schleichende Abnahme von Vielfalt. Und wenn wir über öffentlich-rechtlichen Rundfunk reden, auch durchaus einen Vormarsch der AfD, die in den Gremien das öffentlich-rechtliche System als solches grundsätzlich in Frage stellen. Und das sehen wir im Rahmen von Medienvielfalt auch sehr bedenklich. Aber es gibt durchaus auch positive Entwicklungen, das muss man ja auch mal sagen Wir haben den Eindruck, es gab in den Vorjahren einen Umgang mit Gewalt auf Demonstrationen von rechten und rechtsextremen Gruppierungen, zum Teil auch am Rande von AfD-Veranstalten, gab es eine Phase, wo die Polizei in vielen Bundesländern, vor allem in Sachsen lange etwas unsicher war, was die Pflichten der Polizei angeht, Journalisten zu schützen, aber eben auch, was die Rechte der Journalisten auf solchen Veranstaltungen sind. Da beobachten wir positive Veränderungen.

Noch mal kurz auf die von Ihnen angesprochene Vielfalt zurück. Allerdings in einem anderen Kontext: In der Coronakrise erschien die Berichterstattung in Deutschland ja zumindest in den ersten Wochen ziemlich gleichförmig und auch relativ unkritisch gegenüber den Maßnahmen der Regierung. Wie haben Sie das empfunden?
Differenziert. Die Corona-Pandemie war und ist ja gewaltig. Ich hatte den Eindruck, dass am Anfang auch der Journalismus überwältigt war von der schieren Wucht dieser Krise, man aber schon nach besten Wissen und Gewissen versucht hat, zu berichten. Man hat am Anfang vielleicht eine Weile gebraucht, um die Frage nach der Verhältnismäßigkeit zu stellen. Aber Stand heute habe ich den Eindruck, wir finden in Medien eine sehr breite Debatte über die Frage der Verhältnismäßigkeit.

Wie ändert die Krise auch die Recherche?
Man muss die Recherche gerade neu organisieren. Die Präsenzgespräche und die Hintergrundgespräche sind gerade viel schwieriger, das muss mittlerweile telefonisch stattfinden. Pressekonferenzen finden teilweise nur virtuell statt, das ist alles andere als gut. Da musste sich der Journalismus in den vergangenen Wochen anpassen, man muss da auch um Verständnis werben für die recherchierenden Kollegen. Ja, ich glaube, ich glaube, da muss sich Journalismus entwickeln. Was nicht zu unterschätzen ist, ist dass der Journalismus in den meisten Bundesländern zu den systemrelevanten Berufen gezählt wird, dass Journalisten ihre Kinder in die Notbetreuuung geben dürfen, um arbeiten zu können.

Die Corona-Krise ist nicht nur im Arbeitsalltag ein Problem, sondern sie ist auch wirtschaftlich für viele Medienhäuser ein Problem, weil einfach viele Anzeigen wegbrechen. Dafür schaltet zum Beispiel das Bundesgesundheitsministerium Anzeigen. Sehen Sie eine Gefahr der politischen Beeinflussung dadurch, dass der Staat zum Anzeigenkunden wird?
Potenziell ja und akut nein. Wir sehen weltweit, dass in schwachen Volkswirtschaften die Werbemärkte sehr klein sind und das ein Einfallstor für staatliche Einflussnahme ist. Das sind aber Länder wie Ungarn und Serbien. Ich glaube, wir sind von solcher Einflussnahme in Deutschland weit entfernt - auch wenn in Deutschland der Werbemarkt ebenfalls eingebrochen ist.

Die Heinsberg-Studie zeigte aber ja durchaus, dass es auch bei uns eine problematische Mischung aus Journalismus, PR, Wissenschaft und Politik geben kann ...
Schon, aber gerade da hat Journalismus ja gut funktioniert, indem die Zusammenhänge aufgedeckt schnell wurden. Eigentlich ist das für mich ein schönes Beispiel dafür, was uns unterscheidet von nicht pluralistischen Gesellschaften.

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