Populisten sind auf dem Vormarsch. Bild: picture alliance

Populismus - Linke und Konservative zahlen die Zeche

Egal ob in Deutschland, Europa oder in den USA: Die Linke ist in der Krise und den Konservativen geht es mindestens ebenso schlecht. Während sich die Populisten die Hände reiben, kämpft die Konkurrenz um jede Stimme

Autoreninfo

Michael Bröning ist Politikwissenschaftler und Publizist. 2021 erschien von ihm: „Vom Ende der Freiheit. Wie ein gesellschaftliches Ideal aufs Spiel gesetzt wird“ (Dietz).

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Nicht nur in Deutschland, in ganz Europa brechen die Zustimmungswerte für Mitte-Links-Parteien derzeit zusammen – und das Kommentariat reagiert darauf mit mal mehr, mal weniger hämischen Abgesängen. Faktisch vergeht aktuell keine Woche ohne einen neuen elegischen Nachruf auf die politische Linke. So diagnostizierte Pierre Briançon kürzlich in Politico, in Europa gebe es derzeit nur noch zwei Arten von linken Parteien, nämlich solche, die Wahlen verlören, und solche, die Wahlen gar nicht erst gewinnen wollten.

Natürlich, es stimmt ja: Um die linke Mitte ist es derzeit schlecht bestellt. Die deutschen Sozialdemokraten stehen bei 20 Prozent – ein Wert, um den sie der glücklose französische Präsident François Hollande angesichts marianengrabentiefer Zustimmungswerte fast schon beneiden dürfte. Doch es geht über desaströse Umfrageergebnisse weit hinaus: Im vergangenen Jahr ging für die Mitte-Links-Parteien Europas eine ganze Serie von Wahlen verloren. Im Ergebnis spielt die linke Mitte derzeit in einer ganzen Reihe europäischer Staaten fast keine Rolle mehr. Die Wahrheit aber ist: Das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn bei genauerer Betrachtung sieht es für Mitte-Rechts-Bewegungen derzeit nicht viel besser aus – und zwar weltweit.

Linke und Konservative: weltweit in der Krise
 

Sicher, in den europäischen Wahlgängen der vergangenen Jahre – etwa in Großbritannien – schnitten die Konservativen meist besser ab als die linke Mitte. Doch in einer ganzen Reihe von Schlüsselstaaten steuern Mitte-Rechts-Bewegungen dennoch auf handfeste Krisen zu. Beispiel Großbritannien: Hier zerlegen sich die konservativen Tories derzeit in einem beispiellosen Richtungskampf um die Frage eines Brexits in ihre Bestandteile. Längst ist das politische Schicksal David Camerons mit dem Ergebnis des EU-Referendums verknüpft. Während Fraktion und Kabinett in erbittert verfeindete Lager verfallen, läuft sich am Rande des Spielfelds Boris Johnson warm, um die Konservativen in neue Höhen, beziehungsweise Tiefen des Populismus zu führen. Angesichts dieser Ausgangslage fragte nicht zuletzt der stramm-konservative Daily Telegraph unlängst alarmiert, ob die Partei diesen aktuellen „Bürgerkrieg“ überhaupt überstehen könne.

Beispiel Frankreich: Richtig. Hollande kämpft ums Überleben. Doch ob die Konservativen ihn beerben werden, ist alles andere als geklärt. Tatsächlich könnten in den Präsidentschaftswahlen des kommenden Jahres zumindest im ersten Wahlgang nicht die neugegründeten „Republikaner“ das Rennen machen, sondern der rechtsnationale Front National. Sofern nicht gleich die vom französischen Wirtschaftsminister Macron jüngst neu lancierte alternative Bewegung „En Marche“ auf Kosten der Konservativen punktet. Nach aktuellen Umfragen äußern sich volle 71 Prozent der Republikaner positiv über Macron. Das lässt tief blicken, zumal völlig offen ist, ob Nicolas Sarkozy oder Alain Juppé die Partei in die Wahlen führen wird. Der Kampf zwischen beiden Alphatieren jedenfalls könnte heftig werden – und die Attraktivität der Partei beschädigen.

Selbstzerfleischung der Republikaner
 

Welch ein atomares Fallout ein solcher Zwist nach sich ziehen kann, lässt sich aktuell in den Vereinigten Staaten beobachten. Dort hat Donald Trump die republikanische Partei nicht nur in Geiselhaft genommen, sondern treibt sie nun auch noch in Riesensätzen auf einen Abgrund zu. Nach Trumps beispielloser Siegesserie in den Vorwahlen steuert die altehrwürdige Grand Old Party nun fast unausweichlich auf eine historische Niederlage in den Präsidentschaftswahlen zu – Selbstzerfleischung der verschiedenen Parteiströmungen inklusive. Erst kürzlich verkündete eine ganze Reihe von republikanischen Parteigranden, Donald Trump unter keinen Umständen unterstützen zu wollen. Teil der Boykottfront sind bislang auch Jeb Bush und Paul Ryan. Vor diesem Hintergrund prophezeite das führende konservative Magazin American Spectator Mitte der Woche ein politisches „Armaggedon für die Republikaner“.

Weit schlimmer als eine neuerliche Niederlage im Rennen ums Weiße Haus ist dabei für die Partei die grundsätzliche Weichenstellung unter Trump. Ohne ein reinigendes Gewitter und ohne einen grundsätzlichen Kurswechsel nach der nunmehr erwarteten Niederlage dürften Mehrheiten auf Jahre unmöglich bleiben. Denn nur wenn es den Republikanern gelingt, mittelfristig Minderheiten an sich zu binden, werden Mehrheiten perspektivisch möglich. Daran dürfte auch Trumps jüngster Scoop, Last-Minute-Liebeserklärungen an Hispanics per Twitter, nichts ändern. Im Gegenteil, sie sorgen derzeit in der Blogosphäre für reichlich Spott.

Wie schwer es konservative Parteiführungen in progressiven Einwanderungsgesellschaften derzeit haben, könnte Trump zumindest theoretisch am Beispiel seines nördlichen Nachbarlandes studieren. In Kanada unterlag der konservative Premier Steven Harper Ende des Jahres dem liberalen Politikneuling Justin Trudeau in einer Erdrutsch-Wahl. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil es Harper nicht gelang, die Wählerschaft der Konservativen im multikulturellen Kanada über weiße Bevölkerungsteile hinaus auszuweiten.

Deutschlands linke Kanzlerin
 

Vor ganz anders gelagerten Schwierigkeiten steht derzeit bekanntlich das konservative Lager in der Bundesrepublik. Der beispiellose Links-Schwenk der Kanzlerin in Sachen Kernenergie, Flüchtlingskrise & Co. hat bekanntlich nicht nur Teile des konservativen Parteienestablishments vor den Kopf gestoßen, sondern auch weite Teile der ehemaligen Stammwählerschaft der Union. Die Tatsache, dass die Christdemokraten nun als Juniorpartner der Grünen in die Landesregierung von Baden-Württemberg eintreten, wird als Kuriosum bestaunt. Doch ist es bislang in seiner Sprengkraft wirklich ausreichend zur Kenntnis genommen worden? Die aktuelle Verschiebung im bundesdeutschen Parteiengefüge ist zumindest derzeit auch eine Implosion des Konservativen.

Dies nicht zuletzt, weil auch in Österreich dieselbe Mechanik zu greifen scheint. Nach dem Wahlerfolg des FPÖ-Kandidaten in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen steuert die Wiener Hofburg nun auf einen Showdown zwischen Rechtsaußen und dem Kandidaten der Grünen zu. Wo die Konservativen in dieser Gleichung stecken? Sie spielen nur als Beschaffer von Stimmen eine entscheidende Rolle – ebenso wie die Sozialdemokraten.

Sicher, all das rechtfertigt keinen abschließenden Schwanengesang auf den Konservativismus an sich. Tatsächlich verkündete die New York Times erst vor einem knappen Jahr „den Moment der rechten Mitte“, die mit ihrer Kombination aus nationaler Identitätspolitik und fiskalischer Vernunft für’s erste unschlagbar bleiben werde. Doch die Wahrheit ist: Die aktuellen Erfolge populistischer Bewegungen von Links und Rechts stellen nicht nur für die linke Mitte, sondern auch für konservative Parteien eine massive Herausforderung dar.

Die Krise des politischen Systems
 

Letztlich scheint es, als bezahlten linke und rechte Volksparteien derzeit die Zeche für einen nicht immer zu Ende gedachten Aufbruch in die Mitte. Während Mitte-Links-Parteien nun die Quittung für Jahre der Marktkonformität, des Neoliberalismus und vorgeblich alternativloser Austeritätspolitik kassieren, bezahlen konservative Parteien ihren soziokulturellen Schwenk hin zu den Mehrheiten verheißenden urbanen Mittelschichten mit einer ideologischen Sinnkrise – und den daraus folgenden Grabenkämpfen.

Angesichts realpolitischer Notwendigkeiten und sich auflösender Wählermilieus ist es unwahrscheinlich, dass sich dies kurzfristig in Wohlgefallen auflöst. Schließlich können politische Bewegungen nicht einfach so den Rückwärtsgang einlegen. Doch unabhängig davon ist festzustellen, dass die aktuellen Verwerfungen im europäischen, ja westlichen, Parteiensystem mehr darstellen als lediglich eine enttäuschte Abwendung der Wähler von der linken Mitte. Tatsächlich nämlich stecken nicht bloß die Linken in der Krise, sondern auch konservative Bewegungen und letztlich das politische Koordinatensystem insgesamt. Das sollten sich nicht zuletzt all jene Propheten des Untergangs vergegenwärtigen, die nun schadenfroh, eifrig und ohnehin möglicherweise voreilig das Ende der linken Mitte besingen.

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