Präsidentschaftswahlen in Polen - Wählen bis in den Tod

Die nationalkonservative Regierung in Polen zeigt sich im Kampf gegen das Coronavirus entschlossen. Trotzdem hält sie an den für den 10. Mai geplanten Präsidentschaftswahlen fest. Dafür ist sie auch bereit, die Verfassung zu brechen.

Obwohl in Polen der Ausnahmezustand herrscht, soll das Land am 15. Mai einen neuen Präsidenten wählen / picture alliance
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Eines kann man der polnischen Regierung im Kampf gegen Covid-19 nicht vorwerfen: Untätigkeit. Bereits eine Woche, bevor sich hierzulande die Bundesländer zu der Schließung von Kindergärten und Schulen entschlossen haben, mussten in Polen die Kinder wegen des Coronavirus zu Hause bleiben. Da gab es zwischen Oder und Bug gerade mal offiziell 25 Covid-19-Patienten. Es folgten die Schließung der Grenzen, die seit dem Freitag auch Berufspendler nicht mehr passieren dürfen, falls diese nicht in eine 14-tägige Quarantäne wollen, die Ausrufung des epidemischen Notfalls und am letzten Dienstag eine weitere Verschärfung der Bestimmungen im Kampf gegen das Coronavirus.   

Es sind in den Zeiten der Coronavirus-Pandemie das öffentliche Leben verändernde Maßnahmen, welche die Durchführung von Wahlen unmöglich erscheinen lassen. Doch ausgerechnet an den für den 10. Mai geplanten Präsidentschaftswahlen hält die PiS mit aller Macht fest. Und dies, obwohl selbst Gesundheitsminister Łukasz Szumowski betont, dass bezüglich des Coronavirus Polen (Stand Dienstag: 2215 Erkrankte, 32 Tote) das Schlimmste noch bevorstehe.„Man darf bitte nicht vergessen, dass wir das Recht, vor allem aber die Verfassung beachten müssen“, erklärte vergangene Woche der allmächtige PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński in einem Radiointerview.

Die Regierung pocht plötzlich auf die Verfassung 

Tatsächlich sieht die polnische Verfassung eine Verlegung von Wahlen nur in Ausnahmesituationen vor, wie der Ausrufung des Ausnahmezustands. Gleichzeitig ist es verwunderlich, wie sich die PiS momentan auf die Verfassung beruft. In den vergangenen fünf Jahren hatte sie jedenfalls kein Problem damit, bei der Durchsetzung ihrer sogenannten Justizreform diese mit ihren Gesetzen auszuhebeln oder gar zu missachten. 

Und auch in den Zeiten des Coronavirus ist die PiS offenbar bereit, es notfalls nicht so genau mit dem Recht zu nehmen. Bis in die samstäglichen Morgenstunden stimmte das polnische Parlament über ein Antikrisenpaket ab, in das die regierenden Nationalkonservativen mitten in der Nacht noch Veränderungen des Wahlgesetzes eingebaut haben. Diese sahen unter anderem die Einführung der Briefwahl für ab 60-Jährige, einer Wählergruppe, bei der sich die PiS besonders großer Beliebtheit erfreut, und Personen in der Quarantäne vor. Von der Briefwahl ausgeschlossen wären dagegen die im Ausland lebenden Polen, die zufälligerweise wiederum vorwiegend der Opposition ihre Stimme geben. 

Bürgermeister weigern sich, die Wahl durchzuführen

Pläne, die von Montag auf Dienstag in einer nächtlichen Sitzung des Senats, der Zweiten Kammer des Parlaments, in dem die Opposition eine knappe Mehrheit hat, abgewiesen wurden. Doch auch auf diesen Widerstand haben die Nationalkonservativen offenbar eine Antwort gefunden. Wie das Nachrichtenportal Onet gestern erfahren haben will, will die PiS nun allen interessierten Bürgern die Briefwahl ermöglichen. Zudem sollen die Nationalkonservativen offenbar planen, in den Wahlkommissionen Polizei und Militär einzusetzen. Dies soll eine Antwort auf den Widerstand der Kommunen sein, die laut Verfassung für die organisatorische Durchführung von Wahlen verantwortlich sein. Viele Oberbürgermeister weigern sich, wegen des Coronavirus unter anderem die Gesundheit von Wählern und Wahlhelfern zu gefährden.

Doch egal ob die Briefwahl nun für alle Bürger oder bestimmte Gruppen gelten soll, verfassungskonform ist diese nicht. „Dieser Schritt verstößt in jeder Hinsicht gegen die Verfassung und das Wahlrecht. Man muss es ganz klar unterstreichen: Sechs Monate vor einer Wahl darf man keine Veränderungen am Wahlrecht mehr vornehmen“, kritisierte beispielsweise Andrzej Zoll, der von 1994 bis 1997 Präsident des polnischen Verfassungsgerichts war.

Im Ausland lebende Briefwähler werden benachteiligt 

Die von der PiS-Mehrheit eingebrachten Änderungen des Wahlgesetzes sind jedoch nicht nur aus rechtlichen Gründen fragwürdig. Noch 2017 schafften die Nationalkonservativen die Briefwahl quasi ab, weil sie in dieser eine Möglichkeit für Wahlfälschungen sahen. Lediglich Bürger mit anerkannter Behinderung durften nach Protesten noch per Briefwahl ihre Stimme abgeben. Von der nun wieder eingeführten Briefwahl sind im Ausland lebende Polen jedoch ausgeschlossen.

Sollten also in Deutschland, Großbritannien oder in Frankreich die Anti-Corona-Bestimmungen bis zum 10. Mai nicht gelockert worden sein, haben die dort lebenden Polen nicht die Möglichkeit, ihre Stimme bei den Präsidentschaftswahlen abzugeben. Was noch aus anderer Hinsicht einen faden Beigeschmack hat, auch wenn die Auslandspolen bei den Wahlen kein Zünglein an der Waage sind. Bis auf die in den USA lebenden Polen geben die meisten der im Ausland lebenden Polen ihre Stimme der Opposition.

Pokern um die meisten Stimmen  

Auf die Frage, warum die PiS bei ihren ansonsten sehr entschlossenen Maßnahmen gegen das Coronavirus an dem 10. Mai als Wahltermin festhält, meint die Gazeta Wyborcza, eine Antwort gefunden zu haben. Laut einer von ihr in Auftrag gegebenen Umfrage würde Staatspräsident Andrzej Duda die Wahl mit 65 Prozent bereits im 1. Wahlgang für sich entscheiden. Dies aber bei einer Wahlbeteiligung von nur 31 Prozent. Würde die Wahl nach der Pandemie abgehalten werden, bekäme Duda im 1. Wahlgang 44 Prozent der Stimmen. Dafür würde aber wiederum die Wahlbeteiligung auf 61 Prozent steigen. 

Inwieweit die Zahlen der liberalen Tageszeitung aussagekräftig sind, lässt sich schwer sagen. Dass sich das Traditionsblatt seit Jahren eine Privatfehde mit den Nationalkonservativen liefert und selbst schon längst ein politischer Akteur ist, ist jedenfalls kein Geheimnis. Fakt ist aber auch, dass bei noch Anfang März durchgeführten Umfragen, die einen zweiten entscheidenden Wahlgang prognostizierten, die Bereitschaft an den Wahlen teilzunehmen bei knapp über 60 Prozent lag. Laut einer am Montag von der konservativen Tageszeitung Rzeczpospolita veröffentlichten Meinungsumfrage sprechen sich nun aber 77 Prozent der Polen für eine Verlegung der Präsidentschaftswahlen aus. 

Beten für das „Vaterland“ 

Eine nicht unerhebliche Rolle, warum Duda und die PiS trotz der Pandemie an dem umstrittenen Wahltermin festhalten, dürfte in der Chance liegen, die das Coronavirus den Nationalkonservativen bietet. Während die Oppositionskandidaten aufgrund der Bestimmungen keinen Wahlkampf führen können, inszeniert sich Duda als fürsorgliches Staatsoberhaupt. Er wendet sich nicht nur per Fernsehen uregelmäßig an die Polen, sondern besucht in Uniformähnlicher Kleidung geschlossene Grenzübergänge und Krankenhäuser.

Seine jüngsten Coups: Nachdem er zuerst am Dienstag in einem Telefongespräch mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping Lieferungen medizinischer Hilfsgüter aus dem Reich der Mitte vereinbarte, die kurz darauf auch in Polen ankamen, reiste er am Donnerstag nach Tschenstochau, dem bedeutendsten Wallfahrtsort des Landes. Dort betete er vor der „Schwarzen Madonna“ für das „Vaterland und die Landsleute“.

Kritiker des Corona-Kurses der PiS werden suspendiert

Keinen Platz gibt es bei dieser Selbstdarstellung für kritische Töne aus den eigenen Reihen. Nachdem Bernadeta Krynicka, bis zum Herbst Abgeordnete der PiS und heute Abteilungsleiterin in einem Krankenhaus im nordöstlichen Łomża, bei Facebook beklagte, dass ihr Krankenhaus für den Kampf gegen Covid-19 weder materiell noch personell ausgestattet ist, wurde ihre Parteimitgliedschaft von Kaczyński persönlich suspendiert

Doch so einflussreich Kaczyński auch sein mag. Zumindest bei den Partnern der PiS, die zusammen mit den Nationalkonservativen die Regierung der „Vereinigten Rechten“ bildet, werden die Bedenken an dem 10. Mai als Wahltermin immer lauter. „Ich habe keine Zweifel daran, dass man über etwas streitet, was leider überhaupt nicht stattfinden wird“, erklärte Wojciech Maksymowicz, studierter Arzt und Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, am Montagmorgen in einem Fernsehinterview. Bereits am Freitag brachte sein Chef Jarosław Gowin als erstes Regierungsmitglied überhaupt eine Verlegung der Präsidentschaftswahlen ins Spiel. 

Zerstrittene Opposition 

Fürchten müssen Duda und die PiS eine Verlegung der Wahlen aber nicht. Nicht nur wegen ihrer zurzeit guten Umfragewerte, sondern auch wegen dem Zustand der Opposition. Als am Wochenende Małgorzata Kidawa-Błońska, Präsidentschaftskandidatin der von der Bürgerplattform dominierten Bürgerlichen Koalition, ihre oppositionellen Mitbewerber zu einem Boykott der Wahlen am 10. Mai aufrief, stieß sie bei denen nur auf taube Ohren. Ihr Parteifreund Grzegorz Schetyna, bis zum Januar Vorsitzender der Bürgerplattform, hatte wiederum nichts besseres zu tun, als laut über eine Absetzung von Kidawa-Błońska als Präsidentschaftskandidatin nachzudenken, falls die Wahlen verschoben werden sollten

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