Vielversprechende Vohersagen für Marian Kotleba und seine rechtsextreme Partei LSNS / picture alliance

Parlamentswahlen in der Slowakei - Alle gegen die Mafia

Zwei Jahre nach dem Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Frau stehen in der Slowakei Parlamentswahlen bevor. Die linkspopulistische Regierungspartei „Smer“, die in den Mordprozess verstrickt ist, rechnet mit Verlusten. Davon könnten Liberale und Rechtsextreme profitieren.

Autoreninfo

Simone Brunner lebt und arbeitet als freie Journalistin in Wien. Sie hat in Sankt Petersburg und in Wien Slawistik und Germanistik studiert und arbeitet seit 2009 als Journalistin mit Fokus auf Osteuropa-Themen.

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Was hast du gemacht, als du vom Tod Jan Kuciaks erfahren hast? Juraj Šeliga weiß es noch genau. „Ein Investigativjournalist und seine Verlobte wurden ermordet“, lautete die Nachricht, die er an einem Montagmorgen um 6:55 Uhr auf seinem Handy las. Noch am selben Tag kaufte er 500 Kerzen und versammelte sich mit Freunden und Studenten im Stadtzentrum von Bratislava, um der Toten zu gedenken.

Es war die Geburtsstunde von „Za slušné Slovensko“ („Für eine würdige Slowakei“), eine Bürgerbewegung, die eine lückenlose Aufklärung des Mordes forderte. Eine Bewegung, die sich über die nächsten Wochen zu den größten Protesten der Slowakei seit 1989 auswachsen und später sogar mehrere Politiker zum Rücktritt zwingen sollte, darunter auch den mächtigen Ministerpräsidenten Robert Fico. Am 21. Februar 2018 wurden der Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in ihrem Haus nahe Bratislava ermordet.

„Wenn du wirklich etwas verändern musst, dann musst du in die Politik gehen“

Der Mord hat nicht nur die slowakische Politik, sondern auch Šeligas Leben völlig umgekrempelt. Der studierte Jurist hing seinen Job für eine Bürgerrechts-NGO an den Nagel und wurde zum Gesicht des Protests. Und wenn morgen, am Samstag, erstmals seit der Ermordung ein neues Parlament gewählt wird, wird auch Šeligas Name auf einer Wahllisten stehen. Der 29-Jährige kandidiert auf Platz drei der neu gegründeten Partei des Ex-Präsidenten Andrej Kiska, „Za ľudí“ (Für die Menschen).

„Wenn du wirklich etwas verändern musst, dann musst du in die Politik gehen“, sagt Šeliga, der wenige Tage vor den Wahlen in einem schmucklosen Besprechungszimmer im Hauptquartier der Partei in Bratislava sitzt. Diesen Rat habe ihm ein Teilnehmer der Samtenen Revolution gegeben. Šeliga wirkt müde, aber konzentriert. „Und hier bin ich.“

Die Slowakei wurde zum Synonym für „Mafiastaat“

Große Veränderungen liegen dieser Tage in der Slowakei in der Luft, und keine Vergleiche scheinen zu hoch gegriffen. Umfragen legen nahe, dass die linkspopulistische Smer-Partei des Ex-Premiers Robert Fico, die das Land seit 2006 mit nur zwei Jahren Unterbrechung regiert hat, abgestraft werden wird. Zu verstrickt ist die Partei in den Kuciak-Mordprozess rund um den mächtigen Geschäftsmann Marián Kočner, der gerade angelaufen ist und die schmutzigen Seilschaften bis in die höchsten Ämter der Republik offenbart hat.

„Der Prozess ist eine absolute Katastrophe für Smer“, sagt der Politologe Grigorij Mesežnikov, Chef des Instituts für öffentliche Angelegenheiten in Bratislava und Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen. So sehr, dass Smer inzwischen vielen Slowaken zum Synonym für den „Mafiastaat“ geworden ist. Zwar könnte Smer mit 17 Prozent am Samstag immer noch stimmenstärkste Partei werden, aber ohne Aussicht auf eine tragfähige Koalition. Möglich, dass in Bratislava ein neuer Weg eingeschlagen wird. Aber welcher?

Kippt die Slowakei nach rechts? 

Es sind neu gegründete Parteien wie „Za ľudí“ oder das Bündnis „Progresívne Slovensko/Spolu“, die hoffen, am Wahltag noch weiter auf der liberalen Welle zu surfen, die das Land seit den Protesten erfasst hat und erst im Vorjahr die Anti-Korruptions- und Umweltaktivistin Zuzana Čaputová in das Präsidentenamt gespült hat. Beide Parteien liegen in Umfragen zwischen neun und zehn Prozent. Die Parteienlandschaft ist zersplittert, bis zu zwölf Parteien könnten in das neue Parlament einziehen.

Doch Umfragen sagen auch der Ein-Mann-Partei „OĽaNO-Partei" (Gewöhnliche Leute und unabhängige Persönlichkeiten) des Unternehmers Igor Matovič oder der rechtsextremen Partei „Ľudová strana Naše Slovensko“ (Volkspartei Unsere Slowakei) (LSNS) von Marian Kotleba große Zugewinne voraus. Kotlebas Partei könnte laut Umfragen sogar auf Platz Zwei landen. Kippt die Slowakei nach rechts?

Gegen Kotleba sind rechtspopulistische Parteien wie die AfD und FPÖ gemäßigt

Der 43-jährige Marian Kotleba gilt als Gottseibeiuns der slowakischen Demokratie. Als junger Mann marschierte er in der Uniform der Hlinka-Garde, einer faschistischen paramilitärischen Wehrorganisation, die 1944 in der SS aufging. Später patrouillierten seine „Kotlebovci“ auf Bahnhöfen, hetzten gegen „Zigeunerparasiten“ und schlugen die Gründung einer „Heimwehr“ vor, um die „anständigen Slowaken“ rund um Roma-Siedlungen zu schützen. Seine LSNS-Partei sitzt seit 2016 im slowakischen Parlament.

„How a Slovakian neo-Nazi got elected“, schrieb der Guardian zuletzt. Gegen Kotleba wirken rechtspopulistische Parteien wie die AfD oder die FPÖ gemäßigt. In der mittelslowakischen Region Banská Bystrica ist die Unterstützung für LSNS besonders groß, hier wurde er 2013 sogar zum „župan“, zum Regionalpräsidenten, gewählt. Žarnovica, eine 6000-Einwohner-Stadt, zwei Autostunden von Bratislava entfernt. Zwischen Hügeln der alten Bergbauregion reihen sich geduckte, bunte Häuser aneinander.

Gegen Brüssel und Washington

Es ist ein gemischtes Publikum, das an diesem Montagabend vor den Wahlen in den Saal drängt: Pensionisten, Jungfamilien, Jugendliche, während sich Milan Mazurek von der LSNS-Partei in Rage redet. Gegen die korrupte Elite in Bratislava. Gegen die Mafia. Gegen Brüssel und Washington. Mit rassistischen Aussagen hält sich Mazurek heute merklich zurück. Noch m Vorjahr war er gerade deswegen aus dem Parlament geflogen. 

Draußen vor dem Kultursaal parkt ein Bus im Partei-Grün. Darauf steht: „Die Slowakei – volksnah und christlich. Wir lassen die Homo-Ehe nicht zu.“„Kotleba hat über all seine Jahre sein Aussehen und seine Wortwahl verändert, um nicht mehr so radikal zu wirken“, sagt Daniel Vražda, der zwei Bücher über Kotleba geschrieben hat. Die paramilitärische Uniform tauschte Kotleba gegen das Sakko, die Hlinka-Orden gegen das christliche Kreuz am Revers.

Vorbilder: Merkel und Obama 

Sein wahres Gesicht zeigte er indes zuletzt, als er drei Familien einen Scheck über „1.488 Euro“ überreichte – was ihm ein Verfahren wegen Extremismus eingebracht hat. Die Zahl ist ein gänger rechtsextremer Code (1488 steht für die „Fourteen Words" von David Eden Lane und die Abkürzung „Heil Hitler“, 8 = achter Buchstabe im Alphabet, 88 = HH= Heil Hitler). Aus seiner Gesinnung machte Kotleba indes auch als Regionalpräsident keinen Hehl, als er am Jahrestag des Slowakischen Aufstandes, als sich 1944 in Banská Bystrica der slowakische Widerstand gegen die Wehrmacht formierte, die schwarze Fahne auf der Regionalverwaltung hisste.

Rechtspopulistisches Image, aber faschistischer Kern, sagt Vražda. Es gibt wenig, was Kotleba und Šeliga eint. Šeliga, der smarte Jurist, der Angela Merkel oder Barack Obama als seine politischen Vorbilder nennt und der sich eine liberale, rechtsstaatliche Slowakei wünscht, fest in der EU und der NATO verankert. „Wir haben mit unseren kompromisslosen, aber friedlichen Protesten bewiesen, dass wir eindeutig zum westlichen Club gehören“, glaubt Šeliga. 

Liberalismus gilt als Schimpfwort 

Eine Reihe von Enthüllungsvideos, wie etwa über einen dubiosen Grundstückskauf in der Hohen Tatra, haben seinen Parteikollegen, den Ex-Präsidenten Andrej Kiska unter Druck gesetzt. Überhaupt müsse der Wunsch nach Veränderung nicht automatisch in einem demokratischen Wandel münden, warnt der Journalist Arpád Soltész. „Liberalismus ist heute in der Slowakei ein Schimpfwort, weil der Mafiastaat unter diesem Etikett immer weitergelaufen ist. Und wenn die Leute genug von diesem Liberalismus haben, werden sie Kotleba wählen.“

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Romuald Veselic | Sa., 29. Februar 2020 - 11:17

12 Parteien im Parlament, dass ist schon heavy. Wie in der Weimarer Republik.
Der ganze Stuss begann, als Vladimir Meciar (HZDS Partei) im Jahr 1992 an die Macht gelang, und die kleine Republik, wie sein eigener SB-Laden betrieben, bis 1998. Unter ihm erlangte die Slowakei eine Stufe an Korruption, wie es früher in Paraguay, unter Alfredo Stroessner der Fall war. Robert Fico (Smer Partei), spaltete sich von HZDS ab, als man sah, was der Politdesperado Meciar, im Land anrichtete.
Grundsätzlich ist richtig, dass durch Jahrzehnte der neuen Selbständigkeit, wurden die kommunistischen Lehnsherren, durch andere Politgangster abgelöst. Darum sind Probleme in D und SK vollkommen unvereinbar/nicht konvergent. Die Slowaken haben genug eigene hausgemachte Kriminalität, als die Bereitschaft nach D-Vorbild, sich eine weitere zu importieren.

Christa Wallau | Sa., 29. Februar 2020 - 12:10

... ist wie verschüttete Milch: Endgültig weg!

Die Hoffnungen auf e h r i i c h e oder zumindest
halbwegs ehrliche Politiker in ihren jungen Demokratien haben sich in vielen ehemals kommunistischen Staaten als trügerisch erwiesen. Leider.
Dadurch gewinnen dort diejenigen, welche sich die
Durchsetzung von Gesetzen und gleichem Recht für alle auf ihre Fahnen geschrieben haben, mächtig Zulauf. Und da die die Linken mit ihren
falschen Verspechungen in diesen Ländern noch lebhaft in Erinnerung sind, kippt dort eben die
Stimmung stark nach rechts. Wir sehen das in
Polen, Tschechien, Ungarn und jetzt auch in der Slowakei. Es ist ein fast automatischer Vorgang.

Wenn einmal das Vertrauen verloren gegangen ist,
dauert es meist so lange, es wieder zu gewinnen, bis eine neue Generation kommt, welche die
Vertrauensbrüche nicht am eigenen Leib erlebt hat.