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Papstprogramm - Gegen die geistliche Armut der Reichen

Franziskus setzt die Lehre Benedikts XVI. trotz neuer Akzente weitgehend fort. Zärtlichkeit, Demut, Unabhängigkeit und Entweltlichung stehen im Zentrum seines Pontifikats 

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Benedikt XVI. argumentierte, Papst Franziskus appelliert. Das ist der größte Unterschied zwischen Vorgänger und Nachfolger. Mag manch erfrischender Umgangston das Amt in neuem Licht und den Pontifex wie einen Revoluzzer erscheinen lassen: Die Substanz der Verkündigung blieb unberührt. Die erste Botschaft nach der Wahl war ein Echo auf den letzten Satz Benedikts. Dieser hatte sich verabschiedet mit den Worten, „gehen wir miteinander weiter mit dem Herrn“; Franziskus betrat die Loggia des Petersdoms mit der Ankündigung, „jetzt beginnen wir diesen Weg, Bischof und Volk“: Christentum als Weggemeinschaft über Personalwechsel hinweg.

Mehrfach stellte Franziskus sich in die Traditionsspur Benedikts, bekannte sich zu zwei dessen Pontifikat prägenden Begriffen. Vermutlich wäre Jorge Mario Bergoglio sogar zu Ostern wieder in Buenos Aires gewesen, hätte er nicht vor dem Konklave eine aufrüttelnde Rede wider die Verweltlichung der Kirche gehalten. Der für den gesamten Lebens­gang Ratzingers typische Ausdruck kehrte in Bergoglios Mahnung wieder. Schluss müsse sein mit der „mundanidad espiritual“, einer spirituellen Weltlichkeit, die zu einer selbstbezüglichen, weltlichen Kirche führe.

In seinen Büchern „Offener Geist und gläubiges Herz“ und „Über Himmel und Erde“ bekräftigt Bergoglio diesen Gedanken, wie beim Konklave unter Verweis auf Henri de Lubac. Wenn die Kirche weltlich wird, entwickele sie „Haltungen der Hoffnungslosigkeit, die im Reichtum, in der Eitelkeit und der Überheblichkeit wurzeln“. Das Schlimmste, was einem Priester widerfahren kann, sei, „nach den Kriterien der Welt zu leben statt nach den Kriterien, die der Herr durch die Gesetzestafeln und das Evangelium aufgetragen hat“. In seiner ersten Messe als Papst wandte Franziskus sich gegen die „Weltlichkeit des Teufels“.

Das zweite Schlüsselwort Ratzingers, die „Diktatur des Relativismus“, griff Franziskus vor dem diplomatischen Korps auf. Besagte „Diktatur“ sei Zeichen der „geistlichen Armut unserer Tage, die ganz ernstlich auch die Länder betrifft, die als die reichsten gelten“. Franziskus erinnerte an Benedikts Einsicht, dass – radikal antirelativistisch – kein Friede, kein innerer Reichtum ohne Wahrheit möglich sei.
In der Ökumene will Franziskus, wie es EKD-Chef Nikolaus Schneider zu hören bekam, an die Impulse Benedikts und dessen Reden im Augustinerkloster Erfurt anknüpfen. Dort hatte Joseph Ratzinger Eschatologie, Gericht und Rechtfertigung als Themenfelder identifiziert. Wie Benedikt will Franziskus das Erbe der Märtyrer fruchtbar machen.

Der Aufruf Franziskus’ am Palmsonntag, „seid niemals traurige Menschen“, war die in den Imperativ übersetzte Einsicht Benedikts, die Freude sei jene Gabe, „in der alle anderen Gaben zusammengefasst sind“. Traurigkeit ist für Bergoglio „Satans Zauberkunst, die unser Herz verhärtet und verbittert“. Als er die Kathedra Petri in Besitz nahm und dort die menschliche Ungeduld von der Geduld Gottes abgrenzte, klangen die Sätze aus Benedikts Amtseinführung von 2005 nach: „Die Welt wird durch die Geduld Gottes erlöst und durch die Ungeduld der Menschen verwüstet.“

Die praktischen Folgen von Bergoglios katholischem Way of thinking überraschen nicht. Abtreibung lehnt er ebenso deutlich ab wie die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe; das wäre ein „anthropologischer Rückschritt …, denn es hieße, eine jahrtausendealte Institution zu schwächen, die in Übereinstimmung mit der Natur und der Anthropologie herausgebildet wurde“.
Akzentverschiebungen gibt es dennoch. Bergoglio ist, obwohl Jesuit, vernunftskeptischer. Er spricht von der „Versuchung, die Werte des Verstands über die des Herzens zu stellen. Das ist falsch. Nur das Herz eint und integriert.“ Wer sich von den „Irrlichtern der Vernunft“ leiten lässt, werde zum „Intellektuellen, der nichts weiß“.

Nicht die Vernunft, sondern die Zärtlichkeit ist das Leitmotiv des neuen Kapitels. Sechsmal kam das Wort in der Predigt zur Amtseinführung vor. Verbunden mit der von Benedikt übernommenen Theologie der Demut lauten die Koordinaten des franziskanischen Pontifikats: Arm soll die Kirche sein, unabhängig und entweltlicht, das menschliche Leben soll sie schützen, das Naturrecht verteidigen und auf diesem gemeinsamen Weg aller Getauften den Mut zur Zärtlichkeit sich bewahren und gerade so dem Teufel ein Schnippchen schlagen, wo auch immer, wie auch immer, von nun an. 

Alexander Kissler leitet das Ressort Salon. Von ihm erschien soeben „Papst im Widerspruch. Benedikt XVI. und seine Kirche 2005-2013“

 

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