
- Macrons Eigentor und Schäubles später Sieg
Bundesfinanzminister Olaf Scholz verkündet einen Durchbruch bei der Euro-Reform. Doch viele Details sind weiterhin unklar, bis zur Umsetzung dürften noch Jahre vergehen. Nur sein konservativer Amtsvorgänger darf sich freuen, Emmanuel Macron hingegen muss eine weitere Niederlage hinnehmen
Die ganze Nacht hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) in Brüssel durchverhandelt. Es war eine Nacht voller Hindernisse: Erst musste sein französischer Amtskollege Bruno Le Maire zu einer Krisensitzung nach Paris abreisen, dann legten sich Niederländer und Italiener quer. Noch um zwei Uhr Morgens sah es nach Scheitern aus.
Mit der Handschrift von Wolfgang Schäuble
Doch nun, am Morgen danach, steht Scholz im deutschen Pressesaal im Keller des Brüsseler EU-Ratsgebäudes und strahlt. „Wir haben uns geeinigt, das zählt zu den guten Sternstunden der EU“, berichtet der Finanzminister. „Das ist ein Aufbruch für Europa“, verkündet er stolz. Die Eurozone sei nun besser für künftige Krisen gerüstet.
So weit die gute Nachricht. Es ist die erste Erfolgsmeldung aus Brüssel für Scholz. Doch sobald es um die Details geht, verschwimmt das schöne Bild. Sehr schnell wird deutlich, dass von den hoch fliegenden Visionen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht viel übrig geblieben ist. Umso mehr scheint die Handschrift von Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) durch.
Schäuble hat gewonnen, Macron hat verloren, und Scholz hat höchstens noch ein paar kleine sozialdemokratische Akzente setzen können – so der Eindruck nach den 16-stündigen Beratungen, die an die schlimmsten Zeiten der Eurokrise erinnert haben. Die meisten Reformen kommen, wenn überhaupt, erst 2021 - und sie fallen bescheiden aus.
Das gilt vor allem für das Eurozonen-Budget. Es wird nicht, wie von Macron ursprünglich gefordert, ein neues, unabhängiges Budget sein, sondern soll im regulären EU-Haushalt verankert werden. Wie hoch dieses neue Budget wird, steht ebenso wenig fest wie seine Finanzierung. Und selbst die Stabilisierungs-Funktion für den Euro, die Macron so wichtig war, ist fraglich geworden.
Es ging vor allem um das Symbol
Der Kompromiss zwischen Scholz und Le Maire sieht zunächst einmal nur vor, dass das Euro-Budget „Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz“ fördert - also die schon von Schäuble bekannten Strukturreformen. Über „mögliche Features einer Stabilisierungs-Funktion“ sei nur diskutiert worden, heißt es im Beschlusspapier der Eurogruppe. Auch Scholz’ Lieblingsidee einer Arbeitslosen-Rückversicherung hat es nicht in die Vorlage für den kommenden EU-Gipfel geschafft.
Auf dem Gipfeltreffen am 13. und 14. Dezember in Brüssel könnte das Euro-Budget sogar noch einmal gekippt werden - denn die Niederlande und andere Nordländer leisten hinhaltenden Widerstand. Die liberale Gegenwehr ist sogar verständlich - denn wo der ökonomische Mehrwert dieser geschrumpften Budgetlinie liegen soll, bleibt im Unklaren. Am Ende ging es wohl nur noch ums Symbol.
Dasselbe lässt sich über die Digitalsteuer sagen, die Scholz besonders stolz präsentiert. Denn auch sie soll erst 2021 kommen, auch sie muss vorläufig ohne Zahlen auskommen. Die Details sollen erst im kommenden Jahr ausgearbeitet werden. Und eingeführt wird die neue Steuer auch nur dann, wenn sich die in der OECD vertretenen Industriestaaten nicht auf eine globale Lösung einigen.
Fix ist nur die Reform des Rettungsfonds
„Es geht um ein Stück Gerechtigkeit“, rechtfertigt Scholz sein Vorgehen. Es sei nicht hinnehmbar, dass große Digitalkonzerne keine Steuern zahlen. Wie viel Google & Co. am Ende in die Staatskasse berappen, sei hingegen nicht so wichtig. Er rechne mit Einnahmen „in überschaubaren Dimensionen“, so der oberste deutsche Kassenwart.
So richtig fix scheint nach dieser Nacht nur die Reform des Euro-Rettungsfonds ESM zu sein. Die von dem Deutschen Klaus Regling geführte Einrichtung in Luxemburg soll schlagkräftiger werden und künftig auch vorsorgliche Finanzhilfen auszahlen können. Doch von einem Ausbau zum „Europäischen Währungsfonds“ ist keine Rede mehr.
Im Falle einer Finanzkrise solle der ESM auch künftig gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds helfen, so Scholz. Das werde „der Regelfall“ bleiben. Im Einzelfall kann der ESM in Zukunft jedoch auch Länder stützen, die einem „asymmetrischen Schock“ unterliegen. Dafür gibt es allerdings zahlreiche Auflagen, die eine schnelle, unbürokratische Hilfe unwahrscheinlich erscheinen lassen. Viel wichtiger als die präventive Rolle, die die Franzosen stärken wollten, war den Deutschen wohl die Disziplinierung der Eurozone. Und so wird der ESM nun noch mehr zu einem Kontrollgremium der Gläubigerländer ausgebaut. Künftig soll er nicht nur Krisenländer überwachen, sonder alle Eurostaaten - auch Frankreich.
Von Macrons Ideen bleibt kaum etwas übrig
Dafür muss die Brüsseler EU-Kommission einige Befugnisse abgeben. Genau das hatte Schäuble immer wieder gefordert. Und der für den Euro zuständige französische EU-Kommissar Pierre Moscovici hat mitgespielt. Es fällt schwer, da nicht von einem Eigentor für Macron und für Frankreich zu sprechen. Doch in Brüssel will man nur Gewinner sehen. So sprach Le Maire nach dem Verhandlungs-Marathon von einem „wichtigen Schritt, der die Eurozone erheblich stärken wird“. Mit der Einigung werde der Euro-Rettungsfonds „ein echtes, noch wirksameres Kriseninstrument“. Zudem hätten die Minister „zum ersten Mal eine echte Perspektive auf einen Haushalt der Eurozone“ eröffnet.
Und was ist aus dem Finanzminister geworden, den Macron gefordert hatte, was aus der parlamentarischen Kontrolle? Wo bleibt die Demokratie in der Eurozone? Le Maire erwähnt das nicht einmal mehr. Der Franzose ist offenbar des Kämpfens müde. Ein Jahr nach der großen Europa-Rede von Präsident Macron ist sein Land in die Krise gerutscht.
Le Maire und Macron müssen nun erst einmal ihre eigene Regierung retten. Das Reförmchen der Eurozone dürfte ihnen dabei nicht helfen, eher im Gegenteil. Denn Schäubles Handschrift ist unübersehbar, die französischen Rückzieher und Eigentore sind es auch.