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(picture alliance) Er hat Lust am Konflikt mit dem Iran: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu

Israel und Iran - Netanjahu und die Lust am Konflikt

Während der Westen im Atomstreit mit dem Iran auf Diplomatie und Sanktionen setzt, beharrt Israel auf allen Optionen – auch der militärischen. Was aber geschähe, wenn es tatsächlich zum Krieg käme?

Eines haben Ajatollah Ali Chamenei und Benjamin Netanjahu gemeinsam: die Lust am Konflikt. Der geistliche Führer in Teheran leugnet den Holocaust und will Israel von der Landkarte tilgen, der Premier in Jerusalem verhindert mit seiner Siedlungspolitik faktisch einen palästinensischen Staat. Chamenei sucht die Anerkennung Washingtons durch Verachtung zu gewinnen, Netanjahu missbraucht den amerikanischen Wahlkampf, um seinen Schutzpatron im Weißen Haus zu erpressen. Der Iran ist des fortgesetzten Bruchs des Kernwaffensperrvertrags schuldig; Israel hat den Verzicht auf Atomwaffen erst gar nicht unterschrieben.

Zwei Großideologen, so will es scheinen, missachten die Grundregeln des internationalen Zusammenlebens und haben sich so ineinander verkeilt, dass Kriegsdrohungen die Sprache der Diplomatie verdrängen. Im Nahen Osten droht Krieg. Und was ist, wenn Drohung zu Kriegslärm wird? Niemand weiß die Entwicklung vorherzusagen. Zu den Gesetzen des Krieges gehört seit alters her, dass sorgsam Geplantes im Feuerschein der Waffen zu Asche wird. Aus Strategen und Strategien werden Getriebene und Niederlagen. Jüngste Erfahrungen in Libyen und Afghanistan bezeugen es. Bis heute vermag niemand mit letzter Gewissheit zu sagen, ob der Iran tatsächlich auf dem Weg zur Atombombe ist. Wie aber soll dann die in bombensicheren Felsenkellern vermutete Arbeit an der Kernwaffe mit Gewissheit zerstört werden? Kein noch so erfahrener Kriegsplaner kann Netanjahu versprechen, das gesteckte Ziel zu erreichen, nämlich dem Iran die nukleare Option aus der Hand zu schlagen.

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Betrug und Irrtum sind übliche Begleiter von Kriegsvorbereitungen. Aus dem Feldzug von George Bush junior gegen Saddam Hussein im Jahre 2003 gibt es viel zu lernen: unter anderem, dass der Diktator in Bagdad sich wohl nicht vorstellen konnte, dass der amerikanische Geheimdienst den Außenminister der Vereinigten Staaten mit dermaßen gefälschten Erkenntnissen in den weltöffentlich tagenden Sicherheitsrat der UN schicken würde, dass Colin Powell sich später für diesen Reinfall beschämt entschuldigte.

Auch wenn der jüngste Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde von 2011 detailliert belegt, dass Teheran intensiv an technischen Lösungen arbeitet, die für den Bau einer Kernwaffe eingesetzt werden können, sollte Benjamin Netanjahu den öffentlich erhobenen Befund des ehemaligen stellvertretenden amerikanischen Verteidigungsministers Joseph Nye beherzigen, der lautet: „Die iranischen Nukleareinrichtungen liegen verstreut; einige davon befinden sich unter der Erde. Ein derartiger Angriff würde rund 600 Ziele umfassen. Er wäre also alles andere als ein Präzisionsschlag.“ Sprich: Ein Flächenbrand ist garantiert, der Erfolg hingegen nicht. Nur ernsthafte Verhandlungen können den Betrugsverdacht und damit jeglichen Angriffsgrund für Israel ausräumen. Was also treibt den Likud- Politiker, auf der militärischen Drohung zu beharren?

Israel verfügt über Atomwaffen und über die am besten ausgebildete und ausgerüstete Militärmacht im Nahen Osten. Besetzen könnte Israel den Iran gleichwohl nicht (was auch nicht Gegenstand der gegenwärtigen militärischen Planungen ist), um das Land nach Atomanlagen zu durchsuchen und es gegebenenfalls des bisher nur vermuteten Nuklearbetrugs zu überführen. Ein Luftangriff könnte also „nur“ zerstören, was sichtbar und bekannt ist – unversehrt, mithin weiterhin wirksam aber bliebe das Unentdeckte: die nicht bewiesene Arbeit an der Atomwaffe. Warum also einen Militärschlag durchführen, der das Nuklearprogramm höchstens verzögern, aber zu einem Krieg mit unabsehbaren Folgen führen würde?

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Netanjahu wird nicht müde, Israels Recht auf Selbstverteidigung zu beschwören. Der Eindruck soll erweckt werden, dieses Recht Israels stünde infrage. Tatsächlich ist es bei denen, auf die es ankommt, gänzlich unbestritten. US-Präsident Barack Obama hat es wiederholt eindringlicher und unmissverständlicher beschworen als alle seine Vorgänger. Netanjahu reicht das nicht. Selbstverteidigung aber legitimiert nur, auf einen erfolgten Angriff zu reagieren, nicht jedoch mit einem Angriffskrieg einer behaupteten Gefahr vorsorglich zuvorzukommen. Sollte der Iran jedoch tatsächlich über Atomwaffen verfügen und seine Drohung, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen, wahr machen, riskiert es den eigenen Untergang im amerikanisch-israelischen Zweitschlag.

Greift Israel an, schlüpft der Iran aus der Täter- in die Opferrolle. Ein legitimierendes Mandat der UN wird es ja nicht geben. Israel würde also zum Rechtsbrecher. Wäre dieser Preis nicht zu hoch? Großbritanniens bedeutendster Strategiedenker des 20. Jahrhunderts, Basil Henry Liddell Hart, nannte schon 1960 als Summe seiner gründlichen Studien die Erkenntnis, „dass nahezu jeder Krieg vermeidbar war, und dass Kriege meistens dadurch ausbrachen, dass um den Frieden sich mühende Politiker ihren Kopf oder die Geduld verloren und ihren Gegner in eine Lage drängten, aus der er sich nicht ohne Verlust seines ‚Gesichts‘ zurückziehen konnte.“ Wer sagt es Netanjahu? 

Bricht Krieg aus , wird es kaum mit einem Zimmerbrand abgehen. Wie weit sich der Brandherd aber schließlich ausbreiten wird, vermag niemand vorherzusagen. Das erste Opfer wird die iranische Zivilbevölkerung sein – und die dafür Verantwortlichen werden es wieder einmal „bedauerliche Kollateralschäden“ nennen. Spätestens der iranische Versuch, die Ölschlagader in der Straße von Hormus zu durchtrennen – rund 20 Prozent des weltweit vermarkteten Öls werden durch diese Meerenge transportiert – wird Amerika in den Krieg verwickeln; nur die im Persischen Golf stationierte amerikanische Flotte vermag einen Angriff auf Tanker, Raffinerien und Verladestationen abzuwehren. Zudem werden die USA mit bordgestützten Systemen einen Luftschutzschirm über Israel zu spannen versuchen, um iranische Raketenangriffe gegen die israelische Zivilbevölkerung im Anflug zu ersticken. Die hypernervösen und gewinnsensiblen Ölmultis werden ihre Kunden in Europa und in den USA zumindest zeitweilig mit Preissteigerungen am Konfliktgeschehen beteiligen und altes Öl mit neuen Preisaufschlägen verkaufen.

In Afghanistan wird der Iran seine bisher eher stabilisierende Rolle zugunsten schmerzhafter Nadelstiche gegen die Isaf- Truppen der USA und ihrer Verbündeten aufgeben. Das wird dann auch die Bundeswehr treffen. Syriens Rolle ist völlig unklar. Der studierte Mediziner und Berufsdiktator Baschar Hafiz al Assad wird einen Krieg zwischen Israel und Iran nutzen, um die Weltaufmerksamkeit von seinem Mord an der eigenen Bevölkerung abzulenken und seinen Sturz hinauszuschieben, begleitet vielleicht durch terroristische Aktionen gegen das Nachbarland Israel.

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Das politisch höchst labile schiitisch-sunnitisch- kurdische Zweckbündnis in Bagdad dürfte von den iranischen Schiiten einen neuen Destabilisierungsschub erfahren. Radikale Kräfte in der palästinensischen Autonomiebehörde werden sich ermutigt fühlen, neue, schmerzhafte Nadelstiche gegen jüdische Siedler zu setzen – die Scharmützel zwischen den verfeindeten Nachbarn sind ja bis heute nicht verstummt. Netanjahu könnte das Anlass sein, seine provokante Siedlungspolitik fortzusetzen. 500 000 jüdische Siedler leben bereits in den besetzten Gebieten. Die von Israel übernommene Pflicht, einen palästinensischen Staat entstehen zu lassen, wird mit Füßen getreten. Das Ziel ist klar: Mit dem Betonmischer soll den Palästinensern das Recht auf einen unabhängigen Staat verbaut werden.

Konfliktvorhersagen sind weitgehend Spekulation und kaum mehr als ein Hinweis auf den breiten Fächer der iranischen Reaktionsmöglichkeiten – zu denen auch terroristische Anschläge gegen politische Nervenzentren rund um den Erdball gehören.

Gewiss aber sind heute schon drei Dinge. Erstens gibt es kein erreichbares politisches Ziel, das die Kosten eines Krieges gegen den Iran rechtfertigen könnte. Zweitens: Der einzig sinnvolle Weg, nämlich eine diplomatisch ausgehandelte politische Lösung, bleibt den Kombattanten mit und ohne Krieg nicht erspart – ist aber ohne Krieg preiswerter. Drittens: Sollte Teheran den Willen zur Atomwaffe noch nicht besitzen, so ist Krieg das wirksamste Mittel, ihn zu entwickeln. Eine Kündigung des Vertrags gegen die Ausbreitung von Atomwaffen läge bedrohlich nahe, samt der Ansteckungsgefahr für andere Nationen in der Region – und das ausgerechnet im Jahr 2012, da eigentlich die 2010 vereinbarte Konferenz über eine von Massenvernichtungswaffen freie Zone im Nahen Osten stattfinden soll.

Deutschland spielt zwar eine wichtige Rolle, aber keine entscheidende. Weder allein noch im Verbund mit den anderen 26 EU-Staaten könnte Berlin einen Krieg verhindern. Wohl aber müsste es die Kriegssuppe mit auslöffeln. „Die Sicherheit Israels ist für mich als Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“ So sprach Angela Merkel 2008 vor der Knesset.

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Was aber füllt die Worte, wenn Israels Premier die Sicherheit seines Landes mit einem Angriffskrieg aufs Spiel setzt? Die politische Frage eines militärischen Beistands würde sich kaum stellen – überdies reichten Deutschlands militärische Kräfte nicht, um Israels Grenzen verteidigen zu helfen. Wohl aber müsste Berlin darauf gefasst sein, dass die vor der Küste des Libanon unter Uno-Mandat operierenden deutschen Marineeinheiten bisher nicht gekannten Gefährdungen ausgesetzt würden. Und im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen müsste Deutschland sich zu dem Begehren des Iran verhalten, Israels Militärschlag zu verurteilen. Mit einem „Jein“ wie im Fall Libyens vor einem Jahr wäre es da nicht getan.

Seit mehr als 40 Jahren hat Deutschland Israel handfest unterstützt, wenn es sich verteidigen musste. Auch mit Waffen. Wird es aber zum Angreifer, ist keine Hilfe denkbar, die auch nur in die Nähe dessen gelangen könnte, was von der Bundeskanzlerin in Jerusalem vermutlich erwartet würde. Im Gegenteil. Wahre Freundschaft verlangte, dass die Kanzlerin Benjamin Netanjahu in den Arm fällt und ihn vom Waffengang abhält. Die bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Jerusalem gehörten wohl mit zu den Kriegsopfern.

Deutschland, sagte einmal der ehemalige finnische Staatspräsident Martti Ahtisaari, habe sich seiner Vergangenheit geradezu vorbildlich gestellt. Das stimmt. Deutschland hat seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die tragende Rolle des Gewaltverzichts verinnerlicht und verstanden, im Widersacher den Verhandlungspartner zu sehen, dessen Interessen es zu verstehen gilt, womit ein Ausgleich erzielt werden soll. Zur Schutzpflicht Deutschlands gegenüber Israel muss daher auch gehören, den jüdischen Staat vor selbstmörderischen Abenteuern zu bewahren.

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