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picture alliance, Bearbeitung Cicero

Südafrika nach Nelson Mandela - Wenn ein Traum stirbt

Nelson Mandela ist für viele Menschen in Südafrika der menschgewordene Traum von der liberalen Regenbogennation. Nach seinem Tod rangeln deshalb alle Politiker um sein Erbe. Mandelas Partei, der African National Congress, sieht sich nun mit einem Legitimationsproblem und der wachsenden Stärke anderer Parteien konfrontiert

Autoreninfo

Studiert Politikwissenschaften in Hamburg und hat unter anderem für die Süddeutsche Zeitung geschrieben.

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Als Nelson Mandela am fünften Dezember starb, war das – entgegen aller Medienhysterie –für die Südafrikaner weder eine Überraschung noch ein Schock. Im Westen dominierte noch bis vor kurzem das kraftvolle Bild eines zwar ergrauten, aber im hohen Alter immer noch kampfeslustigen Nationalhelden. In Wahrheit hatte sich Madiba schon seit Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wenn er doch einmal im Fernsehen auftauchte, dann als Schatten seiner selbst, fast teilnahmslos, stets in Begleitung eines jovial lächelnden Jacob Zuma.

Mandelas Tod bedeutet keine politische Zäsur


Die bange Frage, die sich die Welt nun stellt: Wie es nun mit Südafrika weitergehen wird, politisch wie gesellschaftlich, stellt sich somit nicht erst seit Anfang Dezember, sondern schon seit vielen Jahren. Die Südafrikaner hatten sich bereits seit Monaten auf das Ableben ihres „Tata“ vorbereitet. Sie wussten um seinen fragilen Gesundheitszustand, lagerten im April 2013 vor dem Krankenhaus, in dem Mandela aufgrund einer Lungenerkrankung untergebracht war, tanzten, sangen und beteten für ihn. In einem Land, in dem nur wenige Menschen über 80 Jahre alt werden, erreichte das südafrikanische Idol ohnehin ein geradezu biblisches Alter.

Mandelas Tod, den das Ausland als wahres Drama sieht – was nachvollziehbar scheint angesichts des eklatanten Mangels an fähigen und idealistischen Führungspersönlichkeiten – ist für Südafrika zwar ein einschneidendes Ereignis, bedeutet aber keine politische Zäsur. Vielmehr stellt es einen Ausreißer in einer kontinuierlichen Entwicklung dar, die sich nun schon eine Weile hinzieht und deren Umrisse immer deutlicher werden.

Mandela: Personifizierter Traum vom idealen Südafrika


Südafrika ist, historisch gesehen, ein Land der krassen Gegensätze. Reichtum auf der einen Seite, Armut und Bildungsnot auf der anderen. Surfer-Hotspots und phantastische Fotokulissen liegen nur wenige Kilometer von bitterarmen Vierteln, Aids und Tuberkulose entfernt. Die massiven Zäune um luxuriöse Anwesen in Kapstadt finden Zugereiste aus Johannesburg geradezu lächerlich, in den ländlichen Regionen leben immer noch erschreckend viele Weiße, die sich die Apartheid zurückwünschen und in Mandela einen kommunistischen Zwangs-Enteigner sehen.

Für die meisten Südafrikaner stellt der Nationalheld jedoch all das dar, was Südafrika idealerweise sein sollte: Die liberale Regenbogennation. Zwar sollte dieser Traum Mandelas nie vollends Wirklichkeit werden. Doch hat er seiner Heimat ihr Selbstbewusstsein und ihre Würde wiedergegeben.

Der Wandel bahnt sich seit langem an


Aus Dankbarkeit belohnten die Wähler den ANC – diejenige Partei, deren Jugendorganisation Mandela selbst gegründet hatte. Auch die innerparteilichen Zwistigkeiten zwischen Mandela-Nachfolger Thabo Mbeki und Jacob Zuma, der ihn aus dem Amt entfernte, schreckte die Wähler zunächst nicht ab. Eine magere Opposition wie die Democratic Alliance unter der deutschstämmigen Helen Zille und die sozialistische Vereinigung Cope hatten von Anfang an wenig Potenzial, die Wähler an sich zu binden. Ihnen fehlte die Legitimation und das identitätsstiftende Moment, das Mandela dem ANC schenkt.

Seit ein paar Jahren bahnt sich jedoch ein Wandel an. Die Opposition hält nicht mehr still, die Parteienlandschaft beginnt sich auszudifferenzieren. Der ANC läuft langsam Gefahr, seinen Status als genuine Mandela-Institution zu verlieren.

Zum einen schießt sich das ANC-Personal regelmäßig selbst ins Bein – allen voran Präsident Jacob Zuma selbst. Seine arrogante Art, sein Unwillen, eine transparente Finanzpolitik zu praktizieren und nicht zuletzt sein verschwenderischer Umgang mit Steuergeldern machen ihn beim Volk unbeliebt. Zuletzt baute er sich für über 200 Millionen Rand einen regelrechten Palast im ländlichen Nkandla mit einem riesigen Pool – während ein Großteil seiner Landsleute schon froh wäre, Strom und fließendes Wasser zu haben. Bisher konnte sich Zuma noch auf Mandela als allmächtige Legitimationsgrundlage verlassen.

In Zukunft wird der Präsident nicht mehr als Teil eines Gespanns auftreten können – er steht nun für sich allein.

Alle Parteien wollen ein Stückchen Mandela abhaben


Auf der anderen Seite organisieren sich die unzufriedenen Wähler in neuen Gruppierungen. Der ANC hat einen nicht unwesentlichen Teil seiner Mitglieder an Organisationen wie die Economic Freedom Fighters unter der Führung des widerspenstigen Jung-Politikers und notorischen Unruhestifters Julius Malema verloren. Die Partei hat es sich zum Ziel gesetzt, die weißen Großgrundbesitzer nach dem sozialistischen Vorbild Simbabwes zu enteignen. Auf etwas intellektuellerer Ebene bewegt sich Agang South Africa. Die Partei wurde im Juni 2013 von der Universitätsprofessorin und Hauptgeschäftsführerin der Weltbank, Ramphela Mamphele gegründet und genießt die Unterstützung Desmond Tutus. Der emeritierte Erzbischof war lange Wegbegleiter Mandelas und stellt sich öffentlich gegen Zuma und seine Regierung.

Allen Parteien ist gemein, dass sie ein Stückchen Mandela abhaben wollen. So setzt die DA alles daran, Mandela als Leitfigur für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Auch Agang SA beruft sich auf sein Erbe. Und dem ANC gelingt es nicht mehr, seinen Alleinanspruch auf Madiba durchzusetzen.

Das Monopol des ANC ist in Gefahr - auch wegen der „Born free“-Generation


Ein weiterer Faktor sind diejenigen Südafrikaner, die weder die Apartheid noch Mandelas Regierungszeit bewusst miterlebt haben. Diese jungen Menschen nennt man die „Born free“-Generation. Jugendliche, die sich durchaus mit Mandela als Idol identifizieren, die jedoch in ihrem Denken wesentlich kritischer und flexibler sind als ihre Eltern und Großeltern, die mit Mandela automatischen den ANC gleichsetzen und eine Abweichen von dieser Linie oftmals als unpatriotisch oder illoyal fürchten.

Die Mentalität der Südafrikaner ist jedoch anders als die der Europäer. In Südafrika ticken die Uhren langsamer und folglich vollzieht sich auch politischer Wandel trotz aller Korruptionsskandale langsamer. Vermutlich wird sich im Kräfteverhältnis nach den Wahlen 2014 nichts Grundlegendes geändert haben. Auf lange Sicht jedoch wird sich die politische Landschaft weiter verändern – vermutlich weg von einem absoluten ANC-Monopol und hin zu einem ausgewogeneren Bild verschiedener, vitaler Parteien.

Unangemessen wäre es jedoch, mit Sorge nach Südafrika zu blicken, oder gar eine Art Zusammenbruch in der Post-Mandela-Ära zu prophezeien. Südafrika mag zwar eine junge und durchaus problembehaftete Demokratie zu sein. Doch sein Volk hängt an Mandela – nicht nur weil es in ihm einen Übervater der Nation gesehen hat, sondern weil er Werte und Ideale verkörperte, die den Träumen der Südafrikaner entsprechen. Das Land ist längst aus den unmündigen Kinderschuhen herausgewachsen und wird sich auch weiterhin auf die von Mandela transportierten Werte berufen.

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