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Nazi-Vergleiche - Warum die Deutschen Hitler nicht loswerden

Wenn Deutsche und Amerikaner über die Nazi-Vergangenheit sprechen, dann mit komplett anderen Vorzeichen. Auch wenn sich Deutsche gegen ihren kleinen Adolf Hitler stemmen: Er bleibt ein Exportschlager. Genese eines anhaltenden Missverständnisses

Autoreninfo

Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Vor fünfzig Jahren erfand ein Wissenschaftler namens Joseph Weizenbaum am Massachusetts Institute of Technology den ersten Chatterbot. Er nannte diesen redenden Roboter Eliza: ein Computerprogramm, das einfache Fragen beantwortete. Meist kamen aber unpassende Gegenfragen; das Gerät gerierte sich wie ein Psychoanalytikstudent mit Asperger-Syndrom. Gelegentlich lassen Nerds zwei Chatterbots im Internet aufeinander los. Das hört sich dann zwar an wie ein lebhafter Austausch von Experten. Tatsächlich findet ein völlig sinnfreies Aneinandervorbeireden statt.

Ganz ähnlich läuft die Debatte um die Nazi-Vergangenheit zwischen Deutschland und Amerika: Lebhaft, meinungsstark und komplett aneinander vorbei.

Die deutsche Debatte ist politisch, innenpolitisch; die Linke will damit ihre kulturelle Deutungshoheit durchsetzen, und zwar seit der Studentenrevolte der sechziger Jahre, die in ihren Extremen in der RAF gipfelte. Die RAF begründete die Ermordung von Hans-Martin Schleyer damit, dass er SS-Untersturmführer im besetzten Prag war. So wurde die nachträgliche Bekämpfung des Nazismus zum großen Projekt der deutschen Linken. Und tatsächlich fanden sich bei den Konservativen auch die meisten Alt-Nazis — Globke, Kiesinger, Filbinger.

Nazi-Bezwingung als US-Trostpflaster

Ganz so schwarz-weiß war die Wirklichkeit natürlich nicht, aber in der Masse stimmte es schon. Unter der Flagge des Antifaschismus setzte sich die Linke letztlich politisch und kulturell durch — Willy Brandt, die Grünen, die rot-grüne Bundesregierung —, so dass bald einer Unmenge tatbereiter Linker ein beklagenswerter Mangel an Nazis gegenüberstand. Deshalb weitete die Linke ihren Antifaschismusbegriff immer weiter aus. Sie addierte den Kampf um Multikulti dazu, für Feminismus und gegen Gentrifizierung. Selbstredend tritt die deutsche Linke auch außenpolitisch dem Faschismus entgegen, angefangen damit, dass sie Donald Rumsfeld vor den internationalen Kriegsgerichtshof stellen will, bis zur Forderung an Angela Merkel, Edward Snowdon Asyl zu geben.

Ganz anders Amerika. Amerika führt keine politische Debatte, sondern eine nationalistische. Amerika braucht die Nazis, um seine eigene, bessere, saubere Identität zu modellieren, in Abgrenzung zu den schwachen, moralisch instabilen, ungewaschenen Ausländern, allen voran Europäer. Amerika entdeckte die Nazis erst nach Vietnam, und um seine Kriege zu rechtfertigen, nicht etwa, um gegen sie zu opponieren. Wenn ein US-Politiker ein Holocaust-Museum eröffnet oder ein Hollywood-Regisseur einen Historienschinken zum Zweiten Weltkrieg dreht, dann geht es darum, das US-Militär zu glorifizieren, nicht, es zu kritisieren. Und im Zweiten Weltkrieg waren die Amerikaner noch moralisch sauber. Deshalb gibt es in den USA auch keine Museen über die Ausrottung der Indianer, da würde die U.S. Army nämlich unschön aussehen.

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Dass sich Chase Manhattan an der Arisierung bereicherte, dass Ford und GM Panzer an die Wehrmacht verkauften, oder dass die New York Times zum Thema jüdische Flüchtlinge kommentierte, das Boot sei voll, darüber redet keiner gerne. Denn Amerika braucht die Nazis, um ein äußeres Böses zu perpetuieren, von dem sich der edle Amerikaner abhebt, und es braucht sie umso dringender, je mehr Kriege Amerika anzettelt. Man nennt das auch überkompensieren.

Und so wurden die Nazis zum größten Trostpflaster der Welt. Wenn Marines irakische Zivilisten aufs Korn nehmen, Folter-Fotos auf Google zirkulieren, US-Drohnen pakistanische Kinder umbringen und vietnamesische Agent-Orange-Opfer Sammelklagen einreichen, dann trösten nur noch Late-Night-Witze über Deutsche, die in Polen einmarschieren. Das gilt erst recht, wenn Amerika den Kürzeren zieht, wenn US-Helikopter von der Botschaft in Saigon abheben, Karzai das Geld des Steuerzahlers auf einer Familienbank parkt oder die NSA ohne Hosen dasteht. Deshalb verdient Hollywood heute mit Filmen über den Zweiten Weltkrieg Geld wie noch nie – gerade in schlechten Zeiten verbessern diese kostbaren Erinnerungen die Laune. Das gilt nicht nur für Konservative; auch die US-Linke tröstet sich mit Nazi-Reminiszenzen gerne darüber hinweg, dass sie sich gemütlich auf Facebook eingerichtet hat, während ihr Land Bomben wirft.

Leider glauben die Deutschen, ihr Umgang mit der Nazizeit sei ein in aller Welt geschätzter Exportartikel. Bei den deutschen Linken schwingt zudem immer noch ein antideutscher Unterton mit, analog dem Bonmot von Tucholsky, „Nichts ist verächtlicher, als wenn Literaten Literaten Literaten nennen.“ Denn die Linke folgt dem Kinderglauben, wer alles Deutsche denunziere, gelte im Ausland als Anti-Nazi; so ähnlich wie es ja auch dunkel wird, wenn man die Hand vor die Augen hält. Amerikaner wiederum verwechseln diese deutsche Salonbolschewisten-Schickeria mit Otto Normaldeutscher. Verständlich; Amerikaner diferenzieren noch nicht einmal zwischen Deutschen, Österreichern und Schweizern, geschweige denn zwischen deutschen Nazis und deutschen Anti-Nazis. So glauben Amerikaner natürlich, wenn sich die Deutschen selber noch für Nazis halten, dann wird es schon stimmen. Die deutsche Linke hingegen reklamiert die moralische Lufthoheit, weil ihre Stimme in Amerika ja so gerne gehört werde. Und so chatten sie fröhlich aneinander vorbei.

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Die Deutschen merken natürlich, dass sie den ewigen Nazi nie loswerden. Dafür sorgt schon Hollywood. Sie glauben aber, das liege irgendwie an ihnen, daran, dass sie sich immer noch nicht hinreichend antifaschistisch gerieren. Und so suchen die Deutschen, vor allem die Linken, nach Perfektion. Sie entlarven die Wall Street als Werkzeug des Faschismus, fordern, Al-Qaida-Sympathisanten aus Guantanamo zu befreien, sabotieren den Irakkrieg, vergleichen die Besatzung der Westbank mit Südafrika, haben Verständnis für den Bau der iranischen Atombombe und würden am liebsten auch Barack Obama vor den Internationalen Strafgerichtshof stellen.

Wenn das geschafft ist, dann — hoffentlich! — werden die Amerikaner anerkennen, dass die Deutschen keine Nazis mehr sind. Natürlich ist das glatte Gegenteil der Fall: Die Deutschen werden als unangenehme Besserwisser wahrgenommen, und da sind Amerikaner gleich doppelt motiviert, mit der Nazivergangenheit zu kontern. Und dass die jüdischen Organisationen nicht so superglücklich sind, wenn Israel zum Faschistenstaat deklariert wird, muss wohl nicht eigens erläutert werden.

Ober-Hitler für die Republikaner: Barack Obama

Während Amerikaner gerne die ethnische Nazi-Karte zücken, solange es um Deutsche geht, geht eines aber gar nicht: Einen Deutsch-Amerikaner in die Nähe von Nazis zu rücken, selbst wenn er so blond und blauäugig wäre wie Ann Coulter. Trotzdem gibt es in den USA durchaus einen innenpolitischen, naja, Diskurs über Nazis; allerdings von jeglicher Rechts-Links-Orientierung befreit. Auch in Amerika blühen Hitler-Vergleiche, aber auf dem Humus des Dauerzanks zwischen Demokraten und Republikanern – vor allem Republikanern.

Für die ist Hitler ein Liberaler, der die Krankenversicherung erfunden und Waffen verboten hat und der die KZs mit Christen füllte; Autobahnwitze verstehen sie nicht. Ihr Ober-Hitler ist natürlich Obama, obwohl dessen Chancen auf einen Ariernachweis im Dritten Reich eher schmal gewesen wären. Mal wird ObamaCare mit dem Holocaust verglichen, mal seine Reden über globale Erwärmung mit der Machtergreifung der NSDAP. Aber es trifft auch andere. Selbst Barney Frank, ein offen schwuler, linker Senator jüdischen Glaubens galt schon mal als neuer Hitler. Für Demokraten hingegen war, na klar, Schorsch Dabbelju der neue Hitler. Schade, dass er weg ist.

Das bringt uns wieder zur Eingangsfrage. Was können Deutsche tun, um das Stigma des ewigen Nazi loszuwerden? Gar nichts. Wozu auch? Es reicht völlig, zu lauschen, wie sich die Chatterbots der Republikaner und der Demokraten beharken. Wenn sich Hitler endlich auf allen amerikanischen Town Halls, Teekesseln und Toastbroten materialisiert hat, sind unsere Nazis in Vergessenheit geraten.

 

 

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