- Der Iran-Konflikt stellt die transatlantischen Beziehungen auf die Probe
Der Nato-Gipfel in Den Haag zwingt die westlichen Staats- und Regierungschefs, sich mit einer neuen geopolitischen Realität auseinanderzusetzen, die zunehmend unausweichlich erscheint.
Nach einem G7-Treffen, bei dem tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und Europa über Handel und Multilateralismus zutage traten, finden sich nun die Staats- und Regierungschefs der Nato-Länder zu einem zweitägigen Gipfel in Den Haag zusammen. Diese Zusammenkunft bietet die Gelegenheit, zu beurteilen, wie sich die transatlantischen Beziehungen an eine US-Regierung anpassen, deren Weltanschauung von der der meisten europäischen Verbündeten abweicht. Darüber hinaus wird sich zeigen, wie geeint der Westen noch ist und ob er sich auf Prioritäten und gemeinsame Maßnahmen einigen kann. Da Europa die US-Schläge gegen den Iran vom Wochenende unterstützt und die Trump-Regierung den Iran mit der Ukraine in Verbindung bringt, könnte die Zukunft der Nato und des Westens davon abhängen, wie weit Russland bereit ist, den Iran zu unterstützen.
Europa hat die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus mit diplomatischer Höflichkeit und Skepsis begrüßt. Die europäischen Hauptstädte setzen weiterhin auf die Zusammenarbeit mit Washington bei gemeinsamen Prioritäten wie der Unterstützung der Ukraine und der Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen, während sie sich gleichzeitig gegen die Unberechenbarkeit der USA absichern, insbesondere in den Bereichen Handel und Verteidigung. Die Erklärungen der europäischen Staats- und Regierungschefs signalisieren eine Neukalibrierung – nicht einen Bruch – der Partnerschaft als Reaktion auf den ihrer Meinung nach eher transaktionalen Ansatz der Vereinigten Staaten.
Auf dem G7-Gipfel beschwichtigten die USA die europäischen Befürchtungen, indem sie ihr Engagement für eine „starke und souveräne Ukraine“ bekräftigten und sich der Forderung nach einem sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand für Russland anschlossen. Hinter den Kulissen vermittelte Trump jedoch Ambivalenz. Am 19. Mai sagte er, er wolle „innerhalb der nächsten zwei Wochen“ entscheiden, ob er die Militärhilfe für die Ukraine fortsetzen werde. Die Verzögerung würde nicht nur, wie Trump sagte, Raum für die Diplomatie lassen, sondern sollte dem Weißen Haus auch dabei helfen, einen starken parteiübergreifenden Vorstoß im Kongress für schärfere Sanktionen gegen Moskau zu bewältigen.
Die USA ziehen sich zurück, und die Ukraine ist zunehmend auf sich allein gestellt
Einen Monat später ist immer noch keine Entscheidung gefallen. In der Zwischenzeit sagte Trump jedoch, dass die Ukraine und Russland möglicherweise noch „eine Weile kämpfen müssen“, bevor ein Frieden vermittelt werden kann. Dann sprach er am Telefon mit dem russischen Präsidenten Putin über den Iran und Israel, wobei die Ukraine nur am Rande erwähnt wurde. Washington hat seinen Verbündeten inzwischen mitgeteilt, dass es im indopazifischen Raum und an seiner Südgrenze größere Sicherheitsprioritäten hat.
Trump schockierte die anderen Staats- und Regierungschefs auf dem G7-Gipfel, indem er die Wiederaufnahme Russlands in die Gruppe forderte und damit Putin rehabilitieren wollte (am nächsten Tag startete Russland übrigens einen massiven Drohnenangriff auf Kiew). Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der in der Hoffnung auf ein Treffen mit Trump zu dem Gipfel nach Kanada gereist war, wurde abgewiesen. In der Erwartung, dass Trump seine Unterschrift verweigern würde, unternahmen die Beamten keine Anstrengungen, eine gemeinsame Erklärung zur Ukraine zu verfassen. Andere G7-Staats- und Regierungschefs trafen sich privat mit Selenskyj, um ihn zu beruhigen. Die Aussichten für den Nato-Gipfel sind ebenso düster. Obwohl Selenskyj teilnimmt, wurde er nicht zur Sitzung der Staats- und Regierungschefs eingeladen, und ungenannten Nato-Diplomaten zufolge wird die Ukraine in der fünf Absätze umfassenden Erklärung des Gipfels nur kurz erwähnt. Die Botschaft Washingtons war bisher eindeutig: Die USA ziehen sich zurück, und die Ukraine ist zunehmend auf sich allein gestellt.
Einige Tage nach dem G7-Gipfel ordnete Trump Angriffe auf die iranischen Atomanlagen in Natanz, Fordo und Isfahan an. Er erklärte, die Präventivschläge seien notwendig, um den Iran daran zu hindern, eine waffenfähige Urananreicherung zu erreichen, die nach Erkenntnissen der Geheimdienste unmittelbar bevorstehe. Der iranische Außenminister reiste nach Moskau, um eine Reaktion zu koordinieren. Die beiden Länder unterzeichneten im Januar 2025 ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft. Obwohl dieses Abkommen keine militärische Unterstützung vorsieht, war Teheran gespannt, ob Moskau seine militärische oder diplomatische Hilfe anbieten würde.
Russland hat nun eine schwierige Entscheidung zu treffen. Schließlich hat die Trump-Administration ihre Ukraine-Politik mit den Entwicklungen im Nahen Osten verknüpft, in der Hoffnung, dass ein Durchbruch – oder zumindest eine Deeskalation – mit dem Iran Raum für eine strategische Wende in der Ukraine schaffen könnte. Darüber hinaus folgten die Angriffe auf den Iran auf ein Scheitern der Verhandlungen, bei denen Trump zuvor angedeutet hatte, dass Putin als Vermittler fungieren könnte.
In den Tagen vor den US-Angriffen machte Europa seinen Standpunkt deutlich
Die europäischen Verbündeten sind unterdessen beunruhigt über Washingtons Versuch, die Themenkomplexe Ukraine und Iran miteinander zu verbinden. Diese Verbindung deutet darauf hin, dass das Schicksal der Ukraine weniger von der Situation auf dem Schlachtfeld als vielmehr von Washingtons allgemeinem Kalkül bestimmt wird, was für sie angesichts des transaktionalen Ansatzes des Präsidenten bei den meisten globalen Krisen besonders beunruhigend ist.
Die Situation hat die diplomatische Entschlossenheit Europas auf die Probe gestellt. Die europäischen Regierungen mussten abwägen zwischen der Verurteilung der nuklearen Ambitionen des Irans und der Verteidigung der Sicherheitsbedürfnisse Israels einerseits und der Verhinderung einer militärischen Eskalation in einem ohnehin schon instabilen Nahen Osten andererseits. Das Ergebnis war eine Mischung aus öffentlichen Unterstützungsbekundungen für die Sicherheitsbedenken der USA sowie Israels und Rufen nach Deeskalation und einer Rückkehr zur Diplomatie.
In den Tagen vor den US-Angriffen machte Europa seinen Standpunkt deutlich: Alle Seiten sollten „von Schritten Abstand nehmen, die zu einer weiteren Eskalation führen“ und zu Gesprächen zurückkehren, wie es in einer gemeinsamen Presseerklärung der Spitzendiplomaten aus Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich heißt. Die Erklärung bekräftigte das Recht Israels, seine Bevölkerung zu schützen, warnte den Iran vor einem Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag und forderte Teheran auf, wieder in Verhandlungen einzutreten.
Nach den Militärschlägen waren sich die europäischen Staats- und Regierungschefs in ihrer Unterstützung der Entscheidung Washingtons weitgehend einig und ließen nur geringfügige Abweichungen erkennen. Deutschland betrachtete die Angriffe als letztes Mittel, um zu verhindern, dass der Iran in den Besitz einer Atomwaffe gelangt. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte, angesichts der eindeutigen Fortschritte im iranischen Atomprogramm sei es keine Option, keine Maßnahmen zu ergreifen. Außenminister Johann Wadephul warnte, die USA würden sich im Falle eines Angriffs verteidigen, und forderte den Iran und andere Länder auf, die Region nicht in einen größeren Konflikt hineinzuziehen.
Das Vereinigte Königreich hat sich auf die Seite der USA und Israels gestellt, aber auch zur Vorsicht gemahnt
In Frankreich bekräftigte Präsident Emmanuel Macron zwar das Recht Israels auf Sicherheit und verurteilte den US-Schlag nicht, forderte aber eine sofortige Deeskalation. In den offiziellen Erklärungen der französischen Regierung wurde betont, dass das iranische Atomprogramm zwar weit über das hinausgehe, was für zivile Zwecke notwendig sei, die Lösung aber darin liege, das Land an den Verhandlungstisch zurückzubringen. Hinter den Kulissen hat sie Berichten zufolge dem Iran eine friedliche Avance gemacht (dabei sogar die Idee eines neuen Atomabkommens ins Spiel gebracht) und angeboten, als Vermittler zwischen Washington und Teheran aufzutreten.
Das Vereinigte Königreich hat sich öffentlich auf die Seite der USA und Israels gestellt, aber auch zur Vorsicht gemahnt. Das Büro des Premierministers bekräftigte Großbritanniens Engagement für die Sicherheit Israels und wies auf iranische Provokationen hin, aber London rief auch alle Parteien (einschließlich der USA) dazu auf, Aktionen zu vermeiden, die zu einer weiteren Eskalation führen könnten. London betonte die wirtschaftlichen Folgen einer Ausweitung des Konflikts – insbesondere auf die Ölpreise – und drängt daher auf intensive diplomatische Bemühungen. Der Außenminister hat Berichten zufolge mit amerikanischen und europäischen Gesprächspartnern gesprochen, um einen Deeskalationsplan zu formulieren, der auf dem Nato-Gipfel vorgestellt werden könnte.
Italien hat Israel ebenfalls unterstützt, konzentriert sich aber weiterhin auf die Notwendigkeit der regionalen Stabilität. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wies auf die möglichen globalen wirtschaftlichen Auswirkungen des Konflikts hin. Rom hat außerdem dringende EU-Konsultationen über die Auswirkungen auf die Energieversorgung und die Flüchtlingsströme gefordert. Die Regierungskoalition ist zwar entschieden für die Nato, weiß aber, dass die italienische Öffentlichkeit eine militärische Intervention im Ausland nicht unterstützen wird. Meloni muss sich also auf einem schmalen Grat zwischen der Unterstützung der USA und der Vermeidung einer direkten oder indirekten militärischen Beteiligung bewegen.
In mancher Hinsicht ist die europäische Öffentlichkeit in der Iran-Frage gespalten
Und dann ist da noch Brüssel. Die EU gab eine Erklärung ab, in der sie ihre Besorgnis über die US-Angriffe zum Ausdruck brachte und auf einen diplomatischen Weg drängte; Oman und Katar wurden als mögliche Vermittler vorgeschlagen. Sie forderte den Iran zu „größtmöglicher Zurückhaltung“ und die USA dazu auf, von weiteren Angriffen abzusehen. Die Europäische Union hat auch signalisiert, dass sie der Region bei Bedarf humanitäre Hilfe leisten würde.
So hat die EU öffentlich eine geschlossene Front aufrechterhalten, wobei sie jede offene Kritik an Israel oder den USA vermieden hat und darauf bedacht war, nicht zu weit von der US-Linie abzuweichen. Während die Frustration über die begrenzten Konsultationen Washingtons mit den europäischen Regierungen vor Beginn des Angriffs schwelte, wurden alle Zweifel an der Operation hinter verschlossenen Türen ausgetragen. Die Europäer wollen sich in dieser Angelegenheit nicht mit Washington anlegen – im Gegensatz zu 2003, als die meisten europäischen Regierungen gegen die US-Invasion im Irak waren.
Die vorsichtige Reaktion ist zum Teil auf die wachsende Kriegsmüdigkeit der europäischen Wählerschaft zurückzuführen, aber auch auf die Befürchtung, dass einige muslimische Gemeinschaften in den westlichen Ländern auf ein stärkeres Engagement reagieren könnten. In mancher Hinsicht ist die europäische Öffentlichkeit jedoch in der Iran-Frage gespalten. In Deutschland haben Friedensaktivisten und die Grünen kleine Proteste in Berlin und München veranstaltet, bei denen sie „keinen Krieg mit dem Iran“ forderten. Unterdessen haben iranische Diaspora-Gruppen in Europa Kundgebungen abgehalten, um den westlichen Ländern dafür zu danken, dass sie dem Regime in Teheran die Stirn bieten.
Die Situation hat Europa zu einem heiklen Balanceakt gezwungen
Die Regierungen der USA und Europas bereiten sich nun auf die nächsten Schritte vor. Iranische Vergeltungsmaßnahmen sind eine ernsthafte Bedrohung, obwohl Trump am späten Montag einen Waffenstillstand zwischen Israel und Iran angekündigt hatte. Die europäischen Länder haben die Alarmstufen für Militärpersonal in Ländern wie dem Irak und dem Libanon erhöht. Die europäischen Energieminister treffen sich, um Notfallpläne für den Fall zu erörtern, dass der Iran die Straße von Hormuz schließt, durch die ein großer Teil der europäischen Ölimporte fließt.
Auf dem Nato-Gipfel werden alle Augen darauf gerichtet sein, wie sich die transatlantischen Beziehungen angesichts des jüngsten geopolitischen Tests entwickeln werden. Sollte sich Russland dazu entschließen, seine Unterstützung für den Iran zu verstärken – sei es auf diplomatischem, wirtschaftlichem oder militärischem Gebiet –, könnte dies die Entstehung einer aktiveren antiwestlichen Achse signalisieren, die sich von Moskau bis nach Teheran erstreckt. Eine solche Entwicklung würde nicht nur die strategische Haltung Washingtons im Nahen Osten erschweren, sondern auch die Nato dazu zwingen, ihre Einschätzung der Bedrohungslage im Osten und Süden zu überdenken. Für die europäischen Verbündeten stellt sich nun die Frage, inwieweit sie darauf vorbereitet sind, die Folgen von Feindseligkeiten zwischen wichtigen globalen Gegnern zu bewältigen.
Die Situation hat Europa zu einem heiklen Balanceakt gezwungen. Die EU will die US-Schläge verteidigen, ist sich aber auch der Gefahren bewusst, die ein ausgewachsener Krieg im Nahen Osten mit sich bringen würde – einschließlich Energieschocks, Flüchtlingsströmen und einem möglichen Übergreifen der Kämpfe auf europäischen Boden. Die Mitgliedstaaten loten ihre Möglichkeiten aus und versuchen, ihre Interessen nicht nur durch eine enge Abstimmung mit Washington, sondern auch durch den Ausbau ihrer eigenen Verteidigungskapazitäten zu verteidigen. In diesem sich wandelnden Kontext ist die europäische strategische Autonomie nicht mehr nur ein Schlagwort, sondern wird zu einem praktischen Gebot.

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Das transatlantische Verhältnis war schon seit der ersten Trump Wahl äußerst fragil und wurde nicht erst durch die beiden aktuellen Kriege und deren Beteiligten auf die Probe gestellt. Nur ist mit der Wiederwahl Trumps und dessen unbeirrter Haltung gegenüber EU und NATO inzwischen das eingetreten, was absehbar war. Aus dem Debattierclub EU/NATO wurde ein gezwungenermaßen handelndes Gremium, das getrieben von den Vorgaben der USA langsam in die Pötte kommen muss. Trump hat den gezeigt, dass sie nichts, aber auch gar nichts drauf haben und das es, kommt es darauf an, ohne die USA nicht gehen wird. Warum ist die Verhandlungsposition der USA denn so stark? Die EU/NATO zerstritten wie nie. Ein Hühnerhaufen der wild umher flattert und gackert, aber bislang keine Eier legte. Auf einmal gehen 5%, auf einmal kaum noch Kritik an Trump, auch wenn die Medien gerne noch sticheln. Europa ist längst abgemeldet auf der internationalen Bühne, die wollen es nur nicht wahr haben. Aber das kommt noch.
