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Nach dem Referendum - „Tsipras wird alles versuchen“

Die griechische Kulturjournalistin Mikela Chartoulari hat wie ein Großteil ihrer griechischen Landsleute beim Referendum am Sonntag mit „Nein“ gegen die Sparauflagen aus Brüssel gestimmt. Die 55-Jährige berichtet von der Stimmung in Athen, der Hoffnung in Tsipras und warum dessen Rebellion gegen die Sparauflagen richtig ist

Autoreninfo

Scholz, Claudia

So erreichen Sie Claudia Scholz:

Mikela Chartoulari, am Sonntag fand das Referendum der Griechen statt. Freuen Sie sich über das Ergebnis?
Ja, ich bin zufrieden über das Ergebnis. Ich habe für „Nein“ gestimmt. Aber nicht als Zustimmung zu einem Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone, sondern als Absage an die Sparmaßnahmen. Die Sparauflagen, die Griechenland zu erfüllen hätte, sind nicht zumutbar. Ein großer Teil der griechischen Bevölkerung könnte sie nicht mehr stemmen. Wir haben starke Probleme mit dem Gesundheits- und Bildungssystem, mit der Versorgung von Kranken und vielem anderen. Wir wollen einen Wandel. Aber wir fühlen uns als Europäer. Europa ist unsere Zukunft.

Denken Sie, dass mit einem „Nein“ zu den Sparauflagen aus Brüssel die ganzen Probleme in Griechenland besser werden? Schließlich will man nur weitere Hilfspakete für Griechenland gewähren, wenn es den Sparmaßnahmen zustimmt.
Unsere Regierung hat die EU-Institutionen und den IWF um eine Verlängerung der Hilfen für Griechenland um weitere zwei Jahre gebeten und sie haben neue Vorschläge für Sparauflagen ausgearbeitet, die von der griechischen Wirtschaft bewältigt werden können.

Ist Alexis Tsipras die richtige Person für den Wandel und die Verhandlungen mit den Institutionen in Brüssel?
Tsipras ist der gewählte Premierminister. Er ist jung und er ist in keinerlei krumme Geschäfte verwickelt. Alle unsere früheren Politiker waren dagegen korrupt. Die Leute verachten sie und ihre damalige Politik. Damit hat weder Tsipras noch seine Regierung etwas zu tun. Es stimmt schon: manche der jetzigen Regierung haben mehr Erfahrung im Regieren, andere weniger, aber sie sind seriös. Und sie bringen eine neue Sicht auf die Dinge mit. Ich habe zwei Söhne, 19 und 17 Jahre alt. Sie sollen neue Perspektiven im Leben bekommen.

Im Februar dieses Jahres schrieben Sie, dass seit der Wahl der Regierung Tsipras ein frischer Wind wehen würde. Ist diese Euphorie immer noch da?
Ja, aber natürlich braucht Griechenland jetzt eine Art „Lebenshauch“ wie ein Gefallener, der sein Bewusstsein verloren hat und beatmet werden muss. Wie eine Notbehandlung. So dass es weitergehen kann. Es muss einen Wandel in der Haltung der europäischen Institutionen zu Griechenland geben, wenn sie wirklich am Überleben dieses Landes interessiert sind und nicht nur an dessen Bestrafung. Und uns nicht nur vorführen wollen als Beispiel dafür, wie man mit Ländern umgeht, die eine alternative Lösung erbitten. Wir brauchen Vertrauen und neue Perspektiven. Ansonsten wird es schwierig, weiterzumachen.

Die Politiker in Brüssel sehen in Tsipras einen Rebellen, der jegliches Vorankommen in den Auseinandersetzungen um die Sparauflagen behindert.
Jeder, der herumdiskutiert, erscheint natürlich als rebellisch. Alles, was sich von den vorherigen Regeln und den Auflagen von anderen verabschiedet, nennt man „rebellisch“. Tsipras erscheint rebellisch, weil er nicht etwas unterschreiben will, was ihm diktiert wird.

Muss denn nicht die Regierung von Tsipras in den nächsten Tagen eine Entscheidung mit Brüssel erreichen und auch Zugeständnisse machen, damit es überhaupt weitergehen kann?
Bis zu einem Punkt schon und dann nicht weiter. Die 60 Prozent beim Referendum haben gezeigt, dass die Griechen die Sparauflagen der Institutionen in dem jetzigen Umfang nicht akzeptieren werden. Vielleicht sind ja auch die Maßnahmen der Institutionen falsch und müssen geändert werden. Wenn ein Kind seine Schulaufgaben nicht machen will, dann hilft es nicht, dass die Mutter ihn immer wieder belehrt oder ihn schlägt. Sie muss sich etwas anderes ausdenken.

Stehen die Leute voll hinter Tsipras?
Ja. Aber sie haben auch keine andere Lösung. Tsipras wird nicht alles verändern können. Aber wir möchten ihm die Chance geben. Er wird bis zu einem bestimmten Punkt Zugeständnisse machen, aber nicht darüber hinaus. Er wird alles versuchen. Anders als Samaras oder Papandreou und die früheren Regierungen, die zu allem „Ja“ sagten.

Wie war die Stimmung in Athen nach dem Referendum?
Ich bin am Sonntag durch die Straßen gelaufen. Auf dem Syntagma-Platz haben die Leute gefeiert. Überall herrschte Freude und Enthusiasmus. Wir wissen, dass das Referendum nicht alles entscheidet, aber es ist ein Zeichen.

Was machen die Leute nun, wenn die Banken in den nächsten Tagen geschlossen bleiben, weil Griechenland kein Geld mehr hat?
Die Leute haben ja fast gar nichts in der Bank. Nur die Reichen haben Geld in der Bank. Die einzige Schwierigkeit ist, dass die Leute nur einen Teil ihres Einkommens pro Tag abheben können. Aber ihr Einkommen ist sowieso so klein, dass sie in wenigen Tagen alles abgehoben hätten. Fünf Jahre haben die Leute nun schon fast kein Geld. Fünf Jahre, drei Regierungen und es wurde schlimmer und schlimmer. Das Tragische ist, dass viele keine Medizin bekommen. Die Leute, die sich keine Versicherung leisten können, dürfen noch nicht mal im Krankenhaus versorgt werden, auch wenn sie sterbenskrank sind. Die vorherige Regierung hatte ein Gesetz erlassen, dass Krankenhäuser keine Personen ohne Versicherung aufnehmen dürfen.

Von was leben Sie denn im Moment?
Ich bekomme im Moment eine Rente von 1100 Euro, nachdem man mir bei der Tageszeitung „Ta Nea“ gekündigt hatte. Ich habe für 30 Jahre dort gearbeitet. Einst die stärkste Tageszeitung Griechenlands. Sie mussten die Hälfte ihrer Mitarbeiter wegen der Krise entlassen und wegen des politischen Wechsels, den sie vollzogen hat. Die einstige linke Zeitung hat sie sich nun nach rechts entwickelt. Ich gehe wenig aus und beschränke mich.

Schreiben Sie noch?
Ich schreibe Artikel als Chief Editor für das Online-Magazin Chronos und Buchkritiken für Zeitungen, aber sie können mich nicht bezahlen. Ich schreibe trotzdem, sonst würde ich depressiv werden und müsste zum Psychologen gehen, aber das kostet zu viel.

Denken Sie, dass Tsipras mit seinem Kurs in den nächsten Tagen Erfolg haben wird?
Ich hoffe, dass er Erfolg haben wird. Es wäre sehr weise von Brüssel, wenn sie eine neue Art der Diskussion mit Tsipras finden könnten. Jedes zivilisierte Land würde es nicht gut heißen, dass ein anderes zivilisiertes Land darbt. Ich glaube nicht, dass die Brüsseler Institutionen Griechenland im Stich lassen.

Das Interview führte Claudia Scholz

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