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Nach dem Attentat - Frankreich sucht die Einheit

Frankreich befindet sich in einem Schockzustand. Nach der kaltblütigen Ermordung von Journalisten mitten in Paris zeigen Zehntausende ihre Solidarität

Autoreninfo

Laetitia Grevers hat Geschichte in London studiert. Ihre Texte sind unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

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Pariser Journalisten starben, weil sie zeichneten, um andere zum Lachen zu bringen. Sie wurden hinterhältig mit Sturmgewehren und einer Panzerfaust ermordet. Zeugen der Tat berichteten, die Mörder hätten „Allah ist groß“ gebrüllt. Gleich darauf fand ein Gefecht mit Polizisten statt, zwei von ihnen kamen dabei ums Leben. Insgesamt starben zwölf Menschen bei dem Anschlag. Die Täter, darunter zwei Brüder namens Said (32) und Cherif Kouachi (34), flüchteten mit einem Kleinwagen in die Pariser Banlieue. Die Mörder werden für Dschihadisten gehalten, wie Mohammed Merah, der 2012 in Toulouse und Montauban sieben Menschen tötete. Die Brüder sollen schwer bewaffnet und in einem Kleinwagen unterwegs sein. Die Suche läuft auf Hochtouren, die Polizisten sind in höchster Alarmbereitschaft. Sieben Menschen seien in Polizeigewahrsam, berichten französische Medien.

Der Anschlag hat Frankreich in tiefen Schock versetzt. In mehreren französischen Städten gab es mutmaßliche Vergeltungsschläge gegen muslimische Einrichtungen. Trotzdem suchen die Franzosen jetzt die Einheit, die Gemeinschaft.

Um Punkt 12 Uhr am Donnerstag verharrte Frankreich in einer Schweigeminute. Es war erst die fünfte in 50 Jahren. Zuvor hatte das öffentliche Leben nur nach dem 11. September 2001, dem Tod dreier französischer Präsidenten und dem Tod von Papst Johannes Paul II. stillgestanden.

„Geist der Résistance feiern“


Präsident François Hollande erklärte, Frankreich sei ins Herz getroffen, in seine Hauptstadt. Das Land müsse sich jetzt vereinigen, um sein Ideal zu verteidigen, „das Ideal des Friedens. Am heutigen Trauertag müssen wir den Geist der Résistance feiern.“

Die arabische Liga aus Kairo und die Al-Azhar-Universität, wichtige Autoritäten des sunnitischen Islams, verurteilten den Angriff. Al Azhar sprach von einem „kriminellen Angriff“ und betonte, „dass der Islam jede Form von Gewalt anprangert“. In Deutschland verurteilten die Muslimverbände die Angriffe aufs Schärfste. Auch die Organisation für Islamische Zusammenarbeit, die 57 islamische Staaten vertritt, übten laute Kritik.

Im Jahr 2011 wurde bereits ein Anschlag auf die Redaktion „Charlie Hebdo“ verübt, nachdem eine Ausgabe unter dem Titel „Charia Hebdo“ veröffentlicht wurde, die eine Mohammed-Karikatur auf dem Cover abbildete. Zuletzt druckte „Charlie Hebdo“ im Januar 2013 eine Comic-Biographie von Mohammed. Das iranische Mullah-Regime protestierte dagegen und bezeichnete das Heft als „Teil einer zionistischen Islamophobie-Kampagne“. Die skurrilen Provokationen, die häufig ins Obszöne übergehen, gehören zur Tradition des Magazins. Es bildete auch masturbierende Nonnen ab und Päpste, die Kondome tragen. Die Redakteure von „Charlie Hebdo“, alle von der libertären Tradition der Achtundsechziger-Bewegung geprägt, einte der Wille, Freiheit und Pressfreiheit nicht durch Rücksichtnahme auf eine Religion beeinflussen zu lassen. Für sie gab es keine Tabus, es durfte über alles und jeden gelacht werden.

Eine Redaktion ausgelöscht


Diese Redaktion gibt es nun nicht mehr. Ihre berühmtesten und begabtesten Zeichner sind tot. Unter den Ermordeten befindet sich der Redaktionsleiter und Zeichner Stéphane Charbonnier, unter dem Kurznamen „Charb“ bekannt, sowie die Zeichner Jean Cabut, genannt Cabu, Bernard Verlhac, genannt Tignous und Georges Wolinski, deren Zeichnungen und Karikaturen weit über „Charlie Hebdo“ hinaus die französische Presse prägten. Auch der Journalist und Ökonom Bernard Maris ist unter den Opfern. „Wir haben „Charlie Hebdo“ getötet!“, haben die Täter laut Augenzeugenberichten auf ihrer Flucht gebrüllt. Damit haben sie eine bittere Wahrheit ausgesprochen. Ohne diese Talente werde die Zeitung nicht mehr dieselbe sein, sagte ein Journalist der Redaktion „Libération“ kurz nach dem Anschlag. 

Der Anschlag fand während einer angespannten Stimmung in Frankreich statt. Houellebecq hatte am Abend zuvor für seinen neuesten Roman „Soumission“(Unterwerfung) auf dem Sender France 2 geworben. In der Zukunftsvision, die er darin für das Jahr 2022 vorstellt, kommt ein Islamist, Ben Abbes, in die Stichwahl gegen die FN-Vorsitzende Marine Le Pen. Um den Erfolg von Le Pen zu verhindern, verbünden sich die gemäßigten Parteien mit Ben Abbes und dieser errichtet einen islamischen Gottesstaat. Eine Karikatur von Houellebecq ist auch auf der Titelseite der am Mittwoch erschienenen Ausgabe des „Charlie Hebdo“ abgebildet. „2015 verliere ich meine Zähne“, haben die Zeichner den Schriftsteller sagen lassen. „2022 befolge ich den Ramadan.“ Der Anschlag hängt allerdings nicht direkt mit diesem Cover zusammen. In der kurzen Zeit, seitdem das Cover festgelegt ist, konnte unmöglich ein Angriff in diesem Ausmaß geplant werden.

Die kaltblütige Tat ist eine Attacke gegen Presse- und damit Gedanken- und Redefreiheit. Ein Angriff auf Toleranz, Pluralität und das Recht, Menschen zu brüskieren und über dreckige Witze zu lachen. Oppositionschef Nicolas Sarkozy (UMP) spricht von einem „Angriff auf die Demokratie“.

Marine Le Pen warnt vor weiteren Racheakten


Hollande rief zu einem Zusammenhalt zwischen Franzosen auf, er warnt : „Noch nie war die Terrorgefahr so hoch wie jetzt.“ „Vigipirate“, der Antiterrorplan, wird in der Umgebung von Paris auf die höchste Stufe gesetzt. Kirchen und Kultstätten stehen unter höchstem Schutz. Schulklassen dürfen keine Ausflüge mehr machen. Die Polizeieinheiten werden in den öffentlichen Verkehrsmitteln, an Bahnhöfen und Flughäfen verstärkt.

Kurz nachdem Hollande die neuen Sicherheitsvorkehrungen bekannt gab, übte Marine Le Pen Kritik: Die Sicherheitspolitik sei noch zu zurückhaltend. Die Vorsitzende des Front National sagte, es handele sich „um einen Anschlag islamistischer Fundamentalisten“. Es sei an der Zeit, die Anti-Terror-Politik zu hinterfragen. Le Pen warnte vor „zahlreichen Mohammed Merahs“, die nur darauf warten würden, sich an Frankreich zu rächen.

Im jetzigen labilen Zustand Frankreichs ist eine derartige Vereinfachung fatal. Zahlreiche französische Muslime zu Terroristen zu erklären, schafft nur eine noch größere Kluft zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen in Frankreich und schürt Hass und zusätzliche Gewalt.

Im Süden von Paris kam es am Morgen zu einer Schießerei. Ein Mann mit einer schusssicheren Weste und einem Schnellfeuergewehr eröffnete nach Polizeiangaben das Feuer auf zwei Polizisten. Eine Beamtin kam ums Leben. Einen Zusammenhang mit dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ konnten die Behörden bislang nicht herstellen.

Noch in der Nacht zum Donnerstag gab es den Staatsanwaltschaften zufolge mehrere Attacken auf muslimische Einrichtungen. In Port-La-Nouvelle (Aude) in Südfrankreich sei ein Bewaffneter in den Gebetsraum einer Moschee eingedrungen und habe zweimal gefeuert. Auf eine Gebetshaus in Le Mans im Nordwesten wurde eine Handgranate geworfen, und in Villefranche-sur-Saône  kam es vor einem Kebab-Restaurant zu einer Explosion. Verletzt wurde niemand.

Anders als der Islam und der Islamismus geht man im aktuellen Fall von Dschihadismus aus. Dabei handelt es sich eher um eine politische Sekte denn um religiösen Glauben. Experten bezweifeln, dass man gegen diese Sekte nur mit Sicherheitsvorkehrungen und begrenzter Einwanderung vorgehen kann, wie es Marine Le Pen behauptet.

Tausende bekunden ihre Solidarität


Es wird von den Sicherheitskräften befürchtet, dass es sich hier, wie im Fall des Toulouser Attentäters Mohammed Merah, um einen Täter handeln kann, der nicht einer größeren Terrorzelle angehört. Dieser Typ Terrorist wird auch „einsamer Wolf“ genannt, erklärt der frühere Geheimdienstchef Bernard Squarcini. Er agiere alleine oder in einer kleinen Gruppe und radikalisiere sich hauptsächlich über das Internet. Attentate sind dadurch häufig nicht mehr das Ergebnis langer Vorbereitung und überfordern die Sicherheitskräfte. Im Fall Merah war der Attentäter vor der Überwachung nicht aufgefallen, bevor er den Anschlag begann. 

Eine Entradikalisierung im Herzen der französischen Gesellschaft ist notwendig und dabei spielen auch die Medien eine wichtige Rolle. Mit ihrer jüngsten Reaktion auf den Anschlag sind sie auf dem richtigen Weg. „Charlie Hebdo“ wurde Opfer des Fanatismus, deswegen wird der Name der Satire-Zeitschrift nun symbolisch für eine pazifistische Gegenbewegung genutzt. Die französischen Tageszeitungen druckten am am Donnerstag schwarze Titelseiten, darauf mit weißen Lettern: „Je suis Charlie“ (Ich bin Charlie).

Bei Twitter und anderen sozialen Medien bekunden Zehntausende Franzosen ihre Solidarität mit der Redaktion. In Paris, Marseille, Bordeaux, Lyon, aber auch in kleineren französischen Städten versammelten sich Franzosen zu Schweigeminuten für die Opfer. Es waren friedliche Versammlungen. Man hörte dort kaum Hassparolen gegen die Attentäter, es ging den Menschen nicht um Rache oder Aggression. Auf der Pariser Place de la République legten tausende Franzosen ihre Kugelschreiber aufeinander, als Zeichen für die Pressefreiheit. Der Journalist Jean-Baptiste Daubié schrieb bei Twitter: „Sie wollten Frankreich in die Knie zwingen und haben es aufgerichtet.“

Die Menschen wollen weiterzeichnen – und lachen.

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