Migrationsforscher Ruud Koopmans - „Die Ampelkoalition belohnt Menschen, die irregulär eingereist sind“

Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik angekündigt – weg von irregulärer, hin zu regulärer Zuwanderung. Was aber bedeutet das in der Praxis? Der Migrationsforscher Ruud Koopmans über das Comeback der doppelten Staatsbürgerschaft, neue Pull-Faktoren – und die Frage, wie es die Ampel geschafft hat, neoliberale Positionen mit multikultureller Romantik zu verbinden.

Der Migrationsforscher sieht den „Spurwechsel“ der Ampel kritisch / Marlena Waldthausen
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Ruud Koopmans ist Soziologe. Seit 2013 lehrt er als Professor für Soziologie und Migrationsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2007 ist er Direktor der Forschungsabteilung „Migration, Integration, Transnationalisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Herr Koopmans, zur Feststellung der Identität von Migranten soll künftig kein Pass mehr erforderlich sein. Es reicht eine eidesstattliche Erklärung. Eine der Erfahrungen von 2015 war aber, dass man sich die Menschen genau anschauen sollte, die nach Deutschland kommen. Wie kann die Ampel diese jetzt einfach so reinwinken?

Gegen das Ziel, irreguläre Migration zu reduzieren und reguläre Migration zu ermöglichen, ist an und für sich erst mal nichts einzuwenden. Die Frage ist aber, wie das konkret umgesetzt wird. Und da stellt man fest, dass es zur Ausweitung der regulären Zuwanderung oder auch zur Regularisierung der irregulären Migration aus der Vergangenheit zwar viele Ideen gibt. Aber hinsichtlich der Eindämmung irregulärer Migration fehlt es weitgehend an konkreten Vorschlägen, wie dies passieren soll. Der Vorschlag, statt eines Identitätsnachweises einfach eine eidesstattliche Versicherung abzugeben, ist ein Beispiel für dieses Ungleichgewicht. Was auf der höchsten Abstraktionsebene in diesem Koalitionspapier steht, weicht dabei überhaupt nicht ab von der Politik irgendeiner anderen Regierung aus der Vergangenheit oder von irgendeiner anderen Regierung, die wir jetzt hätten haben können. Die hätten alle gesagt: Wir müssen die irreguläre Migration bekämpfen. Wir müssen die Rückführung fördern.

Von einer „Rückführungsoffensive“ ist jetzt sogar bei den Ampelparteien die Rede. Gibt es dafür irgendwelche Belege im Koalitionsvertrag?

Ich habe keine gefunden. Ich habe nur Belege für das Gegenteil gefunden. Zum Beispiel soll es in Zukunft möglich werden, bei der zuständigen Bundesbehörde einen nationalen Abschiebestopp für bestimmte Herkunftsländer zu erlassen.

Wie muss man sich das vorstellen?

Dass die Möglichkeiten der Bundesländer, eigenständig Abschiebungen in bestimmte Herkunftsländer durchzuführen, eingegrenzt werden. Stattdessen setzt die Ampel auf freiwillige Rückkehr. Im Einzelfall mag das auch helfen. Aber in den meisten Fällen funktioniert das nicht. Die meisten Menschen wollen nicht zurück. Ihre Familien erwarten einfach dauerhafte Geldüberweisungen – und dass sie es möglich machen, dass weitere Familienmitglieder folgen, zum Beispiel durch Heirat. Man müsste den Leuten schon große Beträge anbieten, damit sie wieder zurückgehen.

Das heißt, das Koalitionspapier ist ein reiner Formelkompromiss. Die FDP hat die Formel von der Rückführungsoffensive durchgesetzt, um ihre Klientel damit zu versöhnen, dass sich die Grünen auf ganzer Linie durchgesetzt haben?

Ja, so sieht es wohl aus. Wobei ich damit nicht sagen will, dass es nicht auch Grüne gibt, die einen realistischeren Blick haben. Aber hier hat sich der linke Flügel durchgesetzt.

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Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass auch Geduldete einen Aufenthaltstitel bekommen können, wenn sie einen Ausbildungsplatz oder einen Job finden. Welches Signal setzt die Bundesregierung damit?

Damit belohnt sie Menschen, die irregulär eingereist sind und deren Asylantrag abgelehnt wurde. Das wird potenzielle Migranten aus Ländern mit geringen Anerkennungsquoten dazu ermutigen, trotzdem nach Deutschland zu kommen, da es ein weiteres Mal bestätigt, dass es nicht darauf ankommt, ob man wirklich triftige Asylgründe hat – bleiben kann man so oder so.

Künftig sollen sie sogar eingebürgert werden können. Die Anforderungen dafür sollen sinken. Bislang mussten sie acht Jahre in Deutschland leben, deutsch sprechen und ihren Lebensunterhalt verdienen. Künftig soll es reichen, dass sie fünf Jahre hier waren, nicht straffällig geworden sind und sich zur freiheitlich-rechtlichen Ordnung bekennen. Dann gibt es für ein Jahr ein Aufenthaltsrecht auf Probe, und in dieser Zeit müssen sie sich einen Job suchen. Kann die Aussicht auf einen deutschen Pass Leute motivieren, sich stärker bei der Integration anzustrengen?

Im Prinzip schon. Aber nur, solange dieses Versprechen an Bedingungen geknüpft ist. Wie man es nicht machen sollte, zeigt das Beispiel Belgien. Dort kann man sich nach drei Jahren einbürgern lassen – ohne jede Voraussetzung. Es ist nicht unbedingt ein Musterbeispiel für gelungene Integration.

Bis zum Jahr 2000 setzte eine Einbürgerung noch voraus, dass Menschen 15 Jahre in Deutschland leben mussten. Reichen jetzt fünf Jahre dafür aus?

Die Heruntersetzung der Frist von acht auf fünf Jahre ist keine schlechte Maßnahme. Damit bewegt sich Deutschland im internationalen Durchschnitt. Voraussetzung dafür aber sollte sein, dass man die Bedingungen nicht absenkt.

Aber genau das ist geplant. Ausgerechnet bei den Sprachkenntnissen will die Ampel Zugeständnisse machen.

Das stimmt. Bei der Familienzusammenführung soll es tatsächlich eine Lockerung geben. Vorher war es so, dass man im Herkunftsland einen Deutschtest bestehen sollte. Für die Integration hatte das nur Vorteile. Nun können die nachgezogenen Familienmitglieder den Nachweis auch nach ihrer Ankunft in Deutschland erbringen. Aber was passiert denn, wenn die Person das nicht tut oder den Test nicht besteht? Wird sie wieder zurückgeschickt? Nein, das wird natürlich unmöglich sein.

Integration ist keine Einbahnstraße. Haben die Menschen, die kommen, nicht auch so etwas wie eine Bringschuld?

Ach, das ist auch wieder so eine Floskel. Wenn ich die in einem Koalitionspapier oder in einem Parteiprogramm sehe, lese ich immer darüber hinweg. Natürlich wollen wir alle, dass sich die Leute bemühen. Die Frage ist aber: wie?

Aber dazu findet man nichts im Koalitionsvertrag.

Das stimmt. Da bleibt der Vertrag im Unklaren. Wo wohl etwas zu einer Änderung der Einbürgerungsbedingungen gesagt wird, ist das sogar kontraproduktiv, nämlich bei der doppelten Staatsbürgerschaft.

Die will die neue Bundesregierung wieder einführen, indem sie es den Neubürgern überlässt, ihre alten Pässe zu behalten – sofern diese noch vorhanden sind.

Da muss ich ehrlich sagen: Ich verstehe die Grünen nicht. Gerade in den letzten Jahren hat sich unübersehbar herausgestellt, wie gravierend die Folgen einer doppelten Staatsbürgerschaft sein können, wenn der zweite Pass der eines diktatorisch regierten Landes ist.

Sie spielen auf die Türkei an, oder?

Natürlich, aber ich könnte auch über den Iran sprechen. Diese Länder behandeln ihre Staatsangehörigen gar nicht als doppelte Staatsangehörige. Sie behandeln sie einzig und allein als türkische oder iranische Staatsangehörige.

Mit welchen Folgen?

Doppelte Staatsangehörige, die von Erdogan in der Türkei festgesetzt wurden, durften nicht mal von der deutschen Botschaft besucht oder anwaltlich betreut werden. Das hat auch Menschen aus dem Umfeld der Grünen getroffen. Ich verstehe nicht, warum sie jetzt nicht eingesehen haben, dass das außenpolitisch extrem problematisch ist – auch bei Ländern wie Russland oder China.

Ist es innenpolitisch unbedenklich?

Nein, es wird eine massive Einbürgerungswelle geben, vor allem von Türkischstämmigen. Und welche sind das? Das sind, wie wir aus den Ergebnissen türkischer Wahlen unter den Auslandstürken wissen, zu einem großen Teil Erdogan-Anhänger oder, noch schlimmer, Anhänger der rechtsextremen MHP. Für die werden die Grünen jetzt ein Wählerpotenzial schaffen. Sie dürfen sich nicht beklagen, wenn in ein paar Jahren in Ballungszentren wie NRW oder Berlin Parteien entstehen, die sich ganz offen als Interessenvertreter des türkischen Staates einbringen. Das zeigt ja das Beispiel Holland.

Was meinen Sie damit?

Holland hat die doppelte Staatsbürgerschaft in den neunziger Jahren ganz freigegeben. Es gab eine massive Einbürgerung von Türkischstämmigen. Jetzt haben wir in vielen Großstädten und sogar im nationalen Parlament mit Denk eine Partei, die die Linie der AKP vertritt.

Kritiker der Grünen würden der Partei jetzt unterstellen, dass sie sich davon neue Wählerstimmen verspricht.

Das wäre aber ein extrem dummes Kalkül. Natürlich werden diese konservativen Türkischstämmigen, die teilweise nationalistisch oder sogar islamistisch sind, es den Grünen danken, dass sie eingebürgert werden. Aber sie werden natürlich nicht die Grünen wählen. Diese Leute hassen die Grünen – wie zum Beispiel die Kampagne in türkischen Medien gegen Cem Özdemir gezeigt hat.

Als ein Grund, warum die Ampel Druck bei der Anerkennung von bislang nur geduldeten Menschen macht, wird immer der Fachkräftemangel genannt. Kann der durch einen sogenannten Spurwechsel behoben werden?

Aus Arbeitgebersicht kann dieses Kalkül aufgehen. Die FDP hat vor allem die Interessen der Arbeitgeber im Blick. Hier trifft eine neoliberale Politik auf eine ideologiegesteuerte Integrationspolitik der Grünen. Für die FDP-Klientel ist es natürlich gut, wenn Migranten hierherkommen. Oder wenn Migranten, die schon hier sind, arbeiten dürfen – auch wenn es eigentlich abgelehnte Asylbewerber sind.

Weil es billige Arbeitskräfte sind. Ist der Hinweis auf die Fachkräfte nicht reiner Etikettenschwindel?

Na ja, natürlich gibt es auch Fachkräfte unter den Migranten. Syrer stellen zum Beispiel die größte Gruppe von ausländischen Ärzten in Deutschland, es sind ungefähr 5000. Aber die meisten Zugewanderten haben ein niedriges Bildungsniveau. Das Problem der Pro-Migrationshaltung der Arbeitgeber ist: Sie nehmen das Angebot der Zuwanderer, die ihnen als Arbeitskraft nutzen können, zwar gern an, wälzen aber die Kosten von der ebenfalls großen Gruppe, die schwer bis gar nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar ist, auf die Allgemeinheit ab. Mehr als die Hälfte der Menschen, die seit 2015 gekommen sind, ist auch heute noch abhängig von Sozialleistungen.

Der Aufschrei der CDU/CSU folgte prompt. CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus prophezeite, dass die Ampel-Vereinbarungen ein „Pull-Faktor“ für sehr viele illegale Migranten sein werden. Teilen Sie seine Sorge?

Ich teile die Sorge schon, aber ich finde es ziemlich frech, dass die Kritik von der CDU/CSU kommt. Die Union hat dieses Land 16 Jahre lang regiert. Unter ihrer Regierung haben wir eine ungesteuerte Einwanderung erlebt, die zu genau den Problemen geführt hat, mit denen wir jetzt konfrontiert sind. Wenn die Union gewollt hätte, hätte sie das Asylsystem reformieren können.

Ungesteuerte Einwanderung, der Begriff könnte auch von der AfD kommen.

Damit man mich nicht falsch versteht: Ich bin überhaupt kein Freund einer Abschreckungspolitik. Im Rahmen einer besser gesteuerten Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik können meinetwegen sogar noch mehr Flüchtlinge und Arbeitsmigranten nach Europa kommen. Aber es kann nicht sein, dass Menschen hierbleiben können, sobald sie einmal den Fuß auf europäischen Boden gesetzt haben. Dass sie sich sogar noch das Land aussuchen dürfen.

Aber diese Frage betrifft ja nicht nur Deutschland. Es ist ein EU-Problem.

Na ja, Deutschland ist die größte Wirtschaftsmacht in der EU. Statt dieses kontraproduktive Asylsystem fortzuführen oder es sogar noch kontraproduktiver zu machen, wie es die Ampelkoalition jetzt vorhat, könnte man etwas machen, was viel humanitärer wäre – nämlich Aufnahmekontingente von Flüchtlingen zu erhöhen.

Laut dem Koalitionsvertrag ist doch genau das geplant.

Ganz konkret wird es da allerdings nicht. Die Zahl der Menschen, die bisher über solche Programme nach Deutschland gekommen sind, ist lächerlich gering. Da reden wir über einige wenige Tausende. Hier müsste man größer denken. Und auch mal eine Zahl nennen.

Welche schwebt Ihnen vor?

Man könnte die jährliche Durchschnittszahl derjenigen nehmen, die in den vergangenen zehn oder 20 Jahren als Asylsuchende nach Europa gekommen sind – und diese zum Beispiel auf Afghanistan oder den Jemen anwenden. Im Jemen wütet der blutigste Bürgerkrieg weltweit. Und wer schafft es vom Jemen nach Europa? Niemand. Weil es einfach keinen beschreitbaren Weg gibt. Das zeigt noch mal, wie perfide das herrschende Asylsystem ist.

Aber solche Resettlement-Programme halten ja niemanden davon ab, trotzdem auf eigene Faust nach Europa zu kommen.

Deshalb ist es so wichtig, mit beidem zugleich ernst zu machen: die Anreize für irreguläre Migration wegzunehmen und zugleich neue Wege der regulären, kontrollierten Migration zu schaffen. Resettlement-Programme sind Teil dieser regulären Migration. Aber wenn man de facto nur das eine macht und das andere als Floskel belässt, führt das in der Praxis nur zu mehr irregulärer Migration.

Dann hat Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) recht, wenn er sagt, die Ampel müsse jetzt die Folgen der Trödelpolitik von CDU und CSU ausbaden?

Ja, dem kann ich voll zustimmen. Bei aller Kritik am Koalitionsvertrag: Die Bundesregierung hat jahrelang nichts getan.

Auch bei den Jusos stößt der Koalitionsvertrag auf Kritik. Es heißt, die Ampel wolle mehr Menschen abschieben als die Union.

Na ja, die haben sich vielleicht an dem Wort Rückführungsoffensive gestört. Wenn sie weitergelesen hätten, hätten sie gemerkt, dass es keine Maßnahmen gibt, die eine solche Offensive glaubhaft erscheinen lassen würden.

Kritik von rechts und von links. Täuscht der Eindruck, oder gibt es kaum ein anderes politisches Feld, das so moralisch aufgeladen ist wie Integrationspolitik?

Dieser Politikbereich ist deshalb wichtig, weil er viele Menschen betrifft – und weil er die Gesellschaft spaltet. Er polarisiert. Er bereitet den Weg für populistische Parteien. Das Problem an dieser moralischen Aufladung ist, dass sie rationalen Lösungen im Wege steht, weil es oft mehr darum geht, an bestimmten abstrakten, moralisch aufgeladenen Prinzipien festzuhalten als zu schauen, was nun eigentlich funktioniert. Gerade in der Flüchtlingspolitik wird manches als unantastbar, ja fast heilig gesehen, das in der Praxis das Gegenteil bewirkt von dem, was eigentlich bezweckt wird. Das zeigt sich im Koalitionsvertrag daran, dass die Genfer Flüchtlingskommission und die Europäische Menschenrechtskonvention von vornherein als nicht verhandelbare Grundlage genommen werden.

Das heißt, das internationale Recht und das EU-Recht gehören auf den Prüfstand?

Ja. Natürlich nicht als Ganzes, aber im Einzelnen durchaus. Es ist ja die geltende Rechtslage, die ganz wesentlich die Probleme mitverursacht, die wir im Moment haben. Die Toten im Mittelmeer sind zum Beispiel eine Konsequenz dieser Rechtslage, weil die Menschen sich nur auf diesen gefährlichen Weg machen, weil sie wissen, dass es sich lohnt: Wer es schafft, Europa zu erreichen, weiß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass er bleiben darf – und zwar ganz unabhängig davon, ob er triftige Asylgründe vorweisen kann oder nicht. Wenn man das nicht ändert, ändert man gar nichts.

Ihre Prognose: Wo wird sich in der Praxis zuerst zeigen, dass der Kompromiss der Ampel nicht funktioniert?

Bei der Rückführungsoffensive. Es wird ziemlich schnell deutlich werden, dass das Wort „Offensive“ eine Leerformel ist.

Hat ein Scheitern der Integrationspolitik das Potenzial, die Ampel zu sprengen?

Ich bezweifle es, dass Migration und Integration für sie spaltende Themen sind. Da finden die neoliberale Perspektive der FDP und die multikulturelle Romantik von Teilen der SPD und der Grünen gut zusammen.

Und was wäre, wenn auf die EU eine neue Flüchtlingswelle zurollen sollte – so wie es sich jetzt zwischenzeitlich an der EU-Außengrenze zu Belarus abgezeichnet hat?

Wenn die Regierung damit nicht effektiv umgehen kann, kann das natürlich die Opposition stärken. Und dann hoffen wir mal, dass die CDU/CSU die Chance in der Opposition nutzt, um eine humane und effektive Alternative zur existierenden Flüchtlingspolitik zu formulieren. Denn sonst würde das zu einem Erstarken der AfD führen, die auch schon 2016 durch die Flüchtlingskrise vor der Marginalisierung gerettet wurde.

Zu Belarus steht im Koalitionsvertrag, die neue Regierung wolle Pushbacks bekämpfen, aber irreguläre Einwanderung reduzieren. Wie soll das gehen?

Das ist ein Widerspruch in sich. Ich fürchte, dass sich die neue Koalition im Umgang mit den Menschen an der belarussisch-polnischen Grenze ganz anders aufgestellt hätte als die noch amtierende.

Sie hätte dem Druck von Lukaschenko nachgegeben?

Sie hätte Polen einen Verstoß gegen die Menschenrechte vorgehalten, anstatt Warschau den Rücken zu stärken. De facto hätte sie dafür plädiert, die Leute doch in die EU reinzulassen. Sie hätte natürlich gesagt, das sei eine Ausnahme. Aber wie Ausnahmen, vor allem wenn sie von der Interessenpolitik anderer Staaten manipuliert werden, schnell zum Regelfall werden können, haben wir 2015 gesehen. Auch damals haben wir uns von Populisten erpressen lassen. Von Erdogan, von Tsipras, von Orbán. 

Das Gespräch führte Antje Hildebrandt.

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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