
- „Merkel und Hollande werden sich nicht küssen“
Die Wahlen in Frankreich und Griechenland haben die Konstellationen in Europa verändert. Was das für die Zukunft des Euros bedeutet, erklärt Rudolf Hickl im Interview mit Cicero Online. Über Merkollandes "business as usual" und den gefährlichen Trend der Renationalisierung
Herr Hickel, haben die Wahlen in Frankreich und
Griechenland die Furcht vor der Schuldenkrise neu
entfacht?
Eines kann man mit Sicherheit sagen: Die
Finanzmärkte haben entsprechend reagiert. Die Aktienkurse zeigen,
dass die Einsparpolitik nicht mehr sicher ist. In dieser Wahl etwas
ganz Positives: Hollande hatte schon lange angekündigt, dass es zum
Aufbau der Krisenländer wirtschaftsstrukturpolitische Maßnahmen
braucht. Das wird den Diskurs auf den europäischen Krisentreffen
fundamental ändern. Die Frage, inwieweit den Ländern mit ökonomisch
neuen Strukturen Perspektiven geboten werden, wird massiv in den
Vordergrund rücken. Insofern wird auch Angela Merkel ihren Sparkurs
deutlich korrigieren. In den letzten Tagen gab es erste Hinweise
auf Wachstumsprogramme. Allmählich bereitet sich also auch
die Bundesregierung auf einen Kurswechsel vor.
Wird
die Zusammenarbeit zwischen Merkel und Hollande Früchte tragen? Die
Bundeskanzlerin hatte sich im Wahlkampf eindeutig
positioniert…
Es war ein schwerer Fehler, sich so
einseitig für einen Kandidaten zu entscheiden. Doch wir haben eine
lange Tradition der deutsch-französischen Freundschaft. Beide,
sowohl Hollande als auch Merkel, werden versuchen, sehr schnell
wieder business as usual zu machen, also zurückzukehren zu
einer deutsch-europäischen Achse. Eines ist klar: Die Durchsetzung
der Programme, die Merkel und Sarkozy gemeinsam durchgepaukt haben,
wird es so nicht mehr geben.
Es wird jetzt ein erheblich kritischerer Dialog folgen. Und das
tut Europa richtig gut!
Der Machtwechsel in Frankreich wird die deutsche
Position in der Euro-Krise also nicht schwächen?
Nein,
wir werden davon profitieren. Hollande wird all das, was er im
Wahlkampf angekündigt hat, nicht realisieren. Der radikale Ausstieg
aus dem Fiskalpakt – dazu wird es nicht kommen. Der Fiskalpakt wird
umstrukturiert und ergänzt mit Wirtschaftsstrukturprogrammen. Das
wir der Kompromiss zwischen beiden sein. Hollande und Merkel werden
sich demnächst wahrscheinlich nicht vor laufenden Kameras küssen,
aber das Verhältnis wird am Ende ein freundliches sein.
Nach Hollandes Sieg heißt es nun: Adieu Wahlkampf,
bonjour Realität! Das französische Sozialmodell
ist kaum noch zu bezahlen. Steht Frankreich vor einer Reform der
sozialen Marktwirtschaft?
Hollande wird sicherlich
nicht zur Arbeitszeitverkürzung zurückkehren. Er wird
sozialpolitische Akzente innerhalb des Landes setzen. Frankreich
ist enorm gespalten. Ob er am Ende seine steuerpolitischen
Konzepte, die Vermögenssteuer, durchsetzen kann, bleibt bis auf
Weiteres offen. Vor ein paar Tagen hieß es: „Hollande regiert, die
Finanzmärkte regulieren“. Hollande steht nun unter permanenter
Beobachtung, vor allem durch Finanzmarktanalysten. Da wird
versucht, Druck herzustellen, ihn auf auf die konforme Linie
einzustimmen. Dem wird er vehement widersprechen.
[gallery:CICERO ONLINE präsentiert: Die Kandidaten für die Euro-Nachfolge]
Als Mitterand 1981 ins Amt kam, hatte er gut zwei Jahre
Zeit, um mit dem Sparen zu beginnen. Hollande muss schneller
handeln. Wann wollen die Franzosen erste Ergebnisse
sehen?
Ich vermute, dass er ein 100-Tage-Programm ankündigen wird. Er wird
aber sicher sehr vorsichtig vorgehen. Vor allem ist wichtig, dass
er in der Europäischen Union anerkannt wird. Manche sind froh, dass
sie Sarkozy los sind. Das ist ein kleiner Impuls für die
europäische Bewegung.
Andere Stimmen sagen, dass sie sich Sarkozy schon bald
zurückwünschen werden.
Das ist eine Frage des
politischen Standpunktes. Ich bin mir sicher, dass die große
Sehnsucht nach Sarkozy ausbleiben wird, vor allem in Ländern, die
von Sarkozy und Merkel stark diszipliniert worden sind, wie
Frankreich, Spanien und auch Portugal.
Seite 2: Über den gefährlichen Trend der Renationalisierung
Sie haben es vorhin angesprochen: Der Euro ist nach den
Wahlen am Sonntag auf den tiefsten Stand seit mehr als drei Monaten
gefallen. Was bedeutet das mittel- bis langfristig für den
Euro?
Diese Abwertung hält mittelfristig nicht an. Das
war eine erste, vielleicht auch etwas opportunistische Reaktion der
Devisenhändler, die das Wahlergebnis einfach eingepreist haben. Der
Euro wird sich wieder erholen und zu einer Relation zurückkehren,
wie wir sie die letzten Monaten hatten.
Welche Rolle spielt dabei die Wahl in Griechenland? Die
Nea Dimokratia (ND) und Pasok erlebten dramatische Verluste.
Hingegen rücken die rechten, nationalistischen, radikalen Parteien
nah ans Parlament. Schwer vorstellbar, dass bei diesen instabilen
Zuständen ein strikter Reformkurs beibehalten wird. Was bedeuten
diese Entwicklungen für die weitere Krisenstrategie in der
Eurozone?
Griechenland ist eine absolut offene Stelle.
Gemessen am Sparkurs ist der Wahlausgang sogar überraschend gut! Es
war doch klar, dass sich die Menschen, vor allem sozial schwache,
von den beiden Führungsparteien abwenden würden. Wie es nun
weitergeht, ist schwer kalkulierbar. Griechenland müsste seinen
Sparkurs mit Mitteln aus dem Rettungsfonds nun streng genommen
weiterfahren und diese Mittel vernünftig einsetzen.
Doch gerade die mangelnde Umsetzung der Verabredungen
durch Athen haben in den letzten Monaten die Regierungen anderer
Euro-Länder frustriert. Die Geduld der Geldgeber mit Griechenland
ist aufgrund des schleppenden Reformtempos langsam am
Ende…
Aber wir wissen, dass das keine böse Absicht
ist, sondern es ist ganz einfach schwer zu machen. Die letzte
griechische Regierung hat sich diesen Konsolidierungskurs klipp und
klar vorgenommen. Mit der Wahl am Sonntag haben nun andere Parteien
dazugewonnen, die sich dem entgegenstellen. Europa muss jetzt
Vertrauen in Griechenland haben und den Griechen zeigen, dass der
harte Weg am Ende etwas bringt. Die bisherige, ja beinahe schon
einmarschartig auferlegte Einsparpolitik kann so nicht
weitergehen
War es ein Fehler auf EU-Ebene, dass bisher keine
Investitionsprogramme für Griechenland aufgesetzt
wurden?
Sicher. Ich habe das die ganze Zeit gefordert.
Bereits im Mai 2010, als die erste Finanztranche an Griechenland
überwiesen und ein Haushaltssanierungsprogramm aufgesetzt wurde,
war klar, dass das eine einseitige Architektur ist. Der Ökonom Paul
Krugmann hat es einmal so beschrieben: Erst haben sie gesündigt,
weil sie über ihre Verhältnisse gelebt haben, und jetzt müssen sie
büßen. Und büßen heißt: Sie bekommen die Finanzhilfen nur, wenn sie
massive Einsparungen vornehmen. Dieses Konzept ist meines Erachtens
gescheitert, weil es am Ende die Ökonomie mehr schwächt als
stärkt.
Werden nun Extremszenarien, wie etwa, dass Griechenland
die Euro-Zone verlassen oder pleite gehen könnte,
wahrscheinlicher?
Der Druck in die Richtung wird
zunehmen. Erste Analysen aus Griechenland berichten, dass Parteien
ihr Heil darin suchen, aus dem Eurosystem auszusteigen, um zur
Drachme zurückzukehren. Das Wiedereinführen der alten griechischen
Währung wäre allerdings eine Katastrophe für das Land. Dann würde
es dauerhaft zur Elendsökonomie.
Glauben Sie, dass die europäische Krise Europa
zwangsweise näher zusammenbringt?
Das ist die ganz
entscheidende Frage. Und da muss ich Ihnen ehrlich sagen: Ich habe
keine Antwort. Der Trend vor der Wahl deutete eher auf ein
Auseinanderdriften hin. Das Stichwort der
Renationalisierung war gefallen. Jetzt gilt es zu klären,
ob die Veränderung der Konstellationen in Europa, vor allem das
Vertrauen, das Hollande einbringen wird, zu einer generellen
Stärkung in der Eurorettung führt oder zu einer Schwächung. Das ist
schwer auszumachen. Die Erwartungen sind groß. Aber maßgeblich
hängt das auch von der griechischen Regierung ab: Wenn sich diese
als total handlungsunfähig erweist, dann kann natürlich selbst
Hollande mit seinem Investitionsprogramm nicht mehr viel
bewirken.
Herr Hickel, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Sarah Maria Deckert
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