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Medien über Europa - Die Krisenmacher

Was für Europa eine Herausforderung ist, wird in den Medien zur kontinentalen Katastrophe aufgeblasen: Journalisten schüren Ressentiments und schreiben eine Spaltung Europas herbei. Sie sollten sich lieber auf gemeinsame Werte besinnen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Eigentlich ging es ihm gar nicht um die Euro-Rettung. Als sich der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, in dieser Woche eine stärkere Besinnung der Medien auf Werte und das Menschenbild im Grundgesetz wünschte, hatte er eher medizinische Themen im Sinn. „Der öffentliche Diskurs braucht Werte“, rief er. Würde man die Worte des früheren Merkel-Sprechers auf die EU-Berichterstattung ausdehnen – sie würden nichts von ihrer Dringlichkeit einbüßen.

Derzeit gehen die Medien mit diesen Werten jedoch höchst fahrlässig um. Folgt man Ex-Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker, dann herrscht in Europa eine Stimmung wie 1913. „Wer glaubt, dass sich die Frage von Krieg und Frieden nie mehr stellt, könnte sich gewaltig irren“, sagte er vor einer Woche dem Spiegel.

Ein solcher Zustand hat zweifelsohne viele Schuldige: hitzköpfige Politiker, Demagogen, frustrierte Krisenverlierer, arbeitslose Jugendliche. Aber eben auch die Medien. Indem sie die Extreme skizzieren, wirken sie – selbst, wenn sie die Wirklichkeit „nur“ sachlich abbilden – mindestens als Verstärker. Schlimmstenfalls überlassen sie den Europahassern die Bühne und wirken so als Brandbeschleuniger der Eurokrise, die längst zu einer Sinnkrise des gesamten Kontinents geworden ist.

Ohne es zu ahnen, hat die Zeit in dieser Woche den empirischen Beweis geliefert. „Wir haben schlechte Nachrichten: Es geht uns gut“, lautete der Titel. In einer neuen Serie bringt das Blatt Erfolgsmeldungen, die „nur keiner richtig wahrhaben“ will. Ob in den Bereichen Gesundheit, Kriminalität oder Umwelt – überall gehe es aufwärts. Außer beim Thema Europa: „Rückkehr der Krise“ heißt es in fetten Lettern gleich darunter, auf Seite eins. Europa stehe „wieder am Abgrund“. EU-Nachrichten sind in dem Blatt keine guten, auch nicht in den nächsten Folgen der Gute-Laune-Serie.

Der Ton, mit der die Eurokrise begleitet wird, ist beispiellos. Da ist es egal, welche politische Färbung ein Medium hat – selbst in der Welt rast Zyperns Bankensystem „auf den Abgrund der Pleite zu“. Die Journalisten bedienen sich archaischem, ja kriegerischem Vokabular – und bestätigen damit Junckers schlimmste Befürchtungen. Da berichtet der Deutschlandfunk, dass die Retter „nicht mit dem Skalpell, sondern mit der Axt“ arbeiten. Die Maßnahmen werden laut Mannheimer Morgen am Beispiel Nikosias „exerziert“ – das Wort stammt aus dem Militärjargon! –, und die Ostsee-Zeitung interpretierte die ursprünglich geplante Teilenteignung der Zyprer so, dass nun einfache Sparer hätten „bluten“ müssen.

Als wäre die Nord-Süd-Spaltung der kleinen Mittelmeerinsel nicht Problem genug, überboten sich die Medien in ihren Krisenbeschreibungen: Die Neue Westfälische attestierte den Insulanern „mafiöse Strukturen“; viele Journalisten glaubten noch zu Wochenbeginn, dass mit einem Nein des zypriotischen Parlaments ein „Flächenbrand“ in Europa bevorstünde. „Die Krise wäre über Nacht zurück, mit Ansteckungsgefahren für Griechenland, für Portugal, für Spanien, vielleicht sogar Italien“, verkündete das ZDF am Sonntagmorgen. Die Gegenseite – Zyperns Industrie- und Handelskammerpräsident – sprach indes von „finanziellem Völkermord“, sollten die (von der eigenen Regierung gebilligten) Enteignungs-Maßnahmen umgesetzt werden.

In den Zeitungsspalten und Abendsendungen tobt der Krieg bereits.

Völlig übertrieben, wie wir mittlerweile wissen. Obwohl das Parlament in Nikosia mit Nein stimmte, blieb die Katastrophe aus. Die Märkte reagierten nicht über – schließlich trägt Zypern gerade einmal 0,2 Prozent zur Wirtschaftsleistung Europas bei. Stattdessen wird sich die Volksvertretung wohl noch am Donnerstagabend auf den neuen Solidaritätsfonds einigen, um die von EU und IWF geforderten 5,8 Milliarden Euro an Eigenleistung aufzubringen.

Tatsächlich gab es sogar eine gute Nachricht aus dem „Krisen“-Land Spanien: Die Versteigerung von Staatsanleihen brachte deutlich mehr Geld ein als ursprünglich erwartet. 4,51 Milliarden Euro flossen in die Staatskasse – ursprünglich hatte man mit 3 bis 4 Milliarden gerechnet.

Seite 2: Es gibt drei verzerrte Bilder, die die Medien von Europa zeichnen

Doch die Medien führten den verbitterten Ton in den vergangenen Tagen unbeirrt fort: „Ein EU-Austritt [Zyperns] wäre wirtschaftlich und politisch kein großer Schaden, vielleicht sogar ein reinigendes Exempel“, schrieb die Heilbronner Stimme. Die Bild-Zeitung ärgerte sich über einzelne Demonstranten, die Merkel ein Hitler-Bärtchen anmalten, und schmollte: „Macht euren Dreck alleine.“

Das mediale Drama um Zypern bediente nicht nur uralte Ressentiments von Faulheit und „Dummstolz“ (Süddeutsche Zeitung) der Südeuropäer, es unterfütterte auch Klischees gegenüber Russland. Das von der deutschen Opposition zuerst hervorgebrachte Argument, der europäische Steuerzahler würde bei einer Zypern-Rettung russische Oligarchen unterstützen, wurde aufgeblasen und mit Stereotypen ausgeschmückt: Putin, Herr über alle Oligarchen, Zocker, Heuschrecken und Geldwäscher, will sich Gasvorkommen und einen Militärhafen auf der Mittelmeerinsel sichern – und so Europa lenken! „Wenn es wirklich dazu käme, dass nicht die EU, sondern Russland Zypern rettet, wäre das die Bankrotterklärung für Europa“, verkündete Udo van Kampen bei ZDF-„heute“. Was für ein Irrsinn. Dass Russland die zyprische Gas-Ausschreibung schon vorher gewonnen hatte und es für Europa sicher kein Nachteil wäre, wenn das Land seinen Militärstützpunkt in Syrien aufgibt – geschenkt.

Neben den Bildern dummer, undankbarer Zyprioten und imperialer Russen gibt es noch ein drittes, das die Medien verbreiten: die Despotie Europa. Während Cicero Online das Zypern-Paket als „Diktat aus Brüssel“ bezeichnete, war der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch deutlicher. Als „Überwachungs- und Kontrollunion“ bezeichnete der Deutschlandfunk die Union: „Europa ist im Zeichen der Finanzkrise zu einer Kultur des Misstrauens und der Ressentiments zurückgekehrt, zu einer Kultur der Schuldzuweisungen und Bevormundung.“ Und, damit sich auch bei allen Hörern die Empörung einstellt, setzte der Kommentator noch eins drauf: „Der Euro mag zu retten sein, politisch droht der EU der Zerfall.“

Man kann einen Zerfall aber auch herbeireden und -schreiben.

Es ist bezeichnend, dass eine solche Einschätzung im Zusammenhang mit der Eurokrise geäußert wird – und nicht mit dem wachsenden Rechtsextremismus in Europa. Das müsste die eigentliche Sorge kritischer Zeitgenossen sein: Ungarn, nicht Brüssel, droht in eine Autokratie abzurutschen – dabei ist das Land nicht einmal Mitglied der Eurozone. Die Behauptung, die EU würde nichts dagegen tun, ist übrigens auch falsch. Nicht nur die EU-Kommission prüft zurzeit, inwiefern Ungarn Grundsätze des Lissabonner Vertrags verletzt hat, im Europäischen Parlament wird sogar schon über harte Sanktionen nachgedacht – bis hin zum Entzug der Stimmrechte.

Das alles darzustellen, hieße, die EU als das nehmen, was sie ist: als Spiegelbild widerstreitender Interessen, Parteien und (durchaus reformbedürftiger) Institutionen. Etwa so wie eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die mit sich selbst ringt, die mal sinnvolle, mal überflüssige Gesetzesvorhaben präsentiert, aber mit Sicherheit nicht die Lösung für alle Probleme hat.

Das hieße vor allem, verbal abzurüsten. Man muss nicht so weit gehen wie die russische Regierung, die für Schimpfwörter in den Medien demnächst eine Geldstrafe verhängt. Es würde reichen, sich auf gemeinsame europäische Werte zu besinnen.

Hinweis: In einer früheren Version wurde fälschlicherweise behauptet, Udo van Kampen habe den Satz in der ARD-„Tagesschau“ gesagt. Er sagte das aber in der ZDF-Sendung „heute“. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.

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