Choe Ryong Hae
Gefahr für Kim? Der Vorsitzende des Ständigen Ausschusses des nordkoreanischen Parlaments, Choe Ryong Hae / picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Machtkampf in Nordkorea - Stürzt Kim Jong Un?

Offenbar steht der nordkoreanische Diktator vor einem Putsch durch hochrangige Gefolgsleute. Es wäre das Ende einer Familiendynastie. Sollte der Coup gelingen, hätte dies dramatische Auswirkungen auf das Bündnissystem in Ostasien.

Autoreninfo

Victoria Laura Herczegh, die fließend Mandarin, Spanisch, Französisch und Englisch spricht, ist Analystin bei Geopolitical Futures und Doktorandin für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Corvinus-Universität in Budapest.

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Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un könnte sich einer neuen Bedrohung seiner Führungsposition gegenübersehen, die von niemand anderem als seiner eigenen „rechten Hand“ ausgeht. Einem aktuellen Bericht des südkoreanischen Geheimdienstes zufolge hat Choe Ryong Hae – der Vorsitzende des Ständigen Ausschusses des nordkoreanischen Parlaments und Vizepräsident der Kommission für Staatsangelegenheiten – eine Unterstützerbasis aufgebaut, die aus einflussreichen militärischen und politischen Persönlichkeiten besteht, welche mit Kims Führung zunehmend unzufrieden sind. Dies ist nicht der erste Bericht, der auf Machtkämpfe innerhalb der Regierung in Pjöngjang hinweist, aber vielleicht der detaillierteste. Angesichts der Ausführlichkeit der Analyse ist es wahrscheinlich, dass es sich bei der Rivalität zwischen Kim und Choe um mehr als nur politische Machtkämpfe handelt. Sollte es Choe gelingen, Kims Führung anzufechten, könnte dies nicht nur zur Auflösung des nordkoreanischen Erbfolgesystems führen, sondern auch die Beziehungen in der gesamten Region und darüber hinaus erschüttern.

Choe, nach Kim und Premier Pak Thae Song der dritthöchste nordkoreanische Beamte, kann auf eine lange und erfolgreiche politische und militärische Karriere seit den 1970er Jahren zurückblicken. In der nordkoreanischen Öffentlichkeit wurde er jedoch erst bekannt, nachdem Kim Ende 2011 an die Macht gekommen war. Er spielte eine wichtige Rolle bei der Sicherung von Kims Führung nach dem Tod von Kim Jong Il. Damals unterstützte eine große Gruppe nordkoreanischer Beamter Jang Song Thaek (der in den Monaten vor Kim Jong Ils Tod als De-facto-Führer fungiert haben soll) für diese Rolle, da sie Kim Jong Un für zu unerfahren hielten, um das Land zu regieren. In den folgenden Jahren war Choe einer von Kims engsten politischen Beratern. Kim schickte Choe mehrmals zu wichtigen Gesprächen nach China. Seine erste Reise dorthin fand 2013 statt, als die Beziehungen zwischen Peking und Pjöngjang wegen der nuklearen Ambitionen Pjöngjangs angespannt waren. Choe traf mit hochrangigen Mitgliedern der Kommunistischen Partei Chinas zusammen und eruierte die mögliche Wiederaufnahme der Gespräche über eine friedliche Lösung der Atomfrage. Obwohl die Verhandlungen erfolglos blieben, wurde der Dialog zwischen China und Nordkorea nach diesem Treffen intensiviert.

Choes Einfluss schien sich 2016 zu verflüchtigen, als er drei Monate lang völlig aus der Öffentlichkeit verschwand. (Davor war er bei öffentlichen Veranstaltungen stets präsent und erschien häufig an der Seite von Kim.) Als sein Name nicht auf der Teilnehmerliste eines Staatsbegräbnisses auftauchte, verbreiteten sich Gerüchte, dass er von der Regierung, die seit Kims Amtsantritt viele Spitzenbeamte entlassen hatte, beseitigt worden sei. Als Choe wieder auftauchte, glaubte der südkoreanische Geheimdienst, er habe ein „Umerziehungsprogramm“ durchlaufen, eine Form der Bestrafung, die angewandt wird, wenn prominente politische Persönlichkeiten dem obersten Führer gegenüber illoyal sind.

Choe ist seit mehreren Jahren ein wichtiges Bindeglied zu China

Für viele andere hätte dies das Ende ihrer politischen Laufbahn bedeutet. Ein Jahr nach seiner Rückkehr gelang es Choe jedoch, seine Macht zu festigen, indem er Leiter der Abteilung für Organisation und Führung wurde, die für die Ernennung von Schlüsselpersonen in der Regierungspartei zuständig ist. Obwohl er Ende der 2010er und Anfang der 2020er Jahre seine öffentlichen Auftritte reduzierte, ist sein Einfluss sowohl in der Partei als auch im Militär (als politischer Führer der nordkoreanischen Streitkräfte) gut dokumentiert worden. Er festigte seine Rolle als Kims rechte Hand und nutzte seine Position, um weniger bekannte, ehrgeizige Parteifiguren in Spitzenpositionen zu berufen und so ihre Loyalität zu gewinnen und sich eine Basis der Unterstützung zu schaffen. Derartige Manöver sind in einem Land, in dem Macht und Autorität beim obersten Führer konzentriert sind, beispiellos.

Choe ist seit mehreren Jahren ein wichtiges Bindeglied zu China. Er reist häufig nach Peking, empfängt hochrangige chinesische Beamte bei ihrer Ankunft in Pjöngjang und führt Gespräche über eine diplomatische Lösung der Atomfrage. Während diese Gespräche in der eigentlichen Sache nicht viel gebracht haben, ist es Choe gelungen, bessere Handelsbedingungen mit China und sogar Finanzhilfen auszuhandeln, die Pjöngjang bei der Bewältigung der Sanktionen und der lang anhaltenden Wirtschaftskrise geholfen haben. Das letzte offizielle Treffen zwischen Choe und einem chinesischen Beamten (dem hochrangigen Zhao Leji) fand im April 2024 statt, als die beiden vereinbarten, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen ihren Ländern auszubauen.

Seitdem haben sich die Beziehungen zwischen Nordkorea und China jedoch verschlechtert. Im vergangenen Sommer unterzeichneten Kim und der russische Präsident Wladimir Putin einen Vertrag über gegenseitige Verteidigung und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der chinesische Präsident Xi Jinping war an den Gesprächen, die der Unterzeichnung vorausgingen, nicht beteiligt. In der Folgezeit hat Kim Russland um Unterstützung bei der Modernisierung des Militärs seines Landes gebeten. Moskau hat Luftabwehrsysteme geliefert, Technologien für Interkontinentalraketen bereitgestellt und sich bereit erklärt, Pjöngjang Kampfflugzeuge zur Verfügung zu stellen. Es hat auch Lebensmittel, Raumfahrttechnologie und Finanzhilfe im Austausch für nordkoreanische Truppen bereitgestellt, die an der Seite russischer Soldaten gegen die Ukraine kämpfen. In dieser Zeit hat China erklärt, dass es dem Norden nicht helfen würde, wenn Pjöngjang einen militärischen Konflikt auslöst, und es hat gezögert, Nordkorea die militärische Unterstützung zukommen zu lassen, die es von Russland erhält.

Eine wachsende Kluft zwischen Pjöngjang und Peking

Inmitten dieser Entwicklung deuten mehrere andere Vorfälle auf eine wachsende Kluft zwischen Pjöngjang und Peking hin. Im vergangenen Juli hieß es, Kim habe nordkoreanische Diplomaten in Peking angewiesen, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht um China zu kümmern. Daraufhin tauchten Gerüchte auf, China beabsichtige, nordkoreanische Arbeitnehmer des Landes zu verweisen. Es zeichnete sich ab, dass Chinas Einfluss auf Nordkorea schwächer wurde und dass Peking angesichts seiner eigenen wirtschaftlichen Probleme den Entwicklungen im Norden nicht viel Aufmerksamkeit schenkte, was Moskau eine Öffnung ermöglichte. Als die ersten nordkoreanischen Truppen in Russland stationiert wurden, begannen die USA, China zu drängen, etwas gegen die wachsende Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu unternehmen. Da Peking mehr US-Investitionen benötigte, zeigte es sich offen für eine Diskussion über das Thema, was die Beziehungen zu Pjöngjang weiter belastete.

Inzwischen hat der südkoreanische Geheimdienst wiederholt Informationen über eine Gruppe hochrangiger nordkoreanischer Beamter weitergegeben, die Kims jüngsten Schritten misstrauisch gegenüberstehen. Berichten zufolge waren sie mit seiner Entscheidung, Truppen nach Russland zu schicken, nicht einverstanden. Im Gegenzug hielten sie die wirtschaftliche und militärische Unterstützung für weniger zuverlässig als das, was China anbieten könnte. (Der Zeitpunkt der Enthüllungen ist interessant; der Süden könnte versuchen, die Aufmerksamkeit von seinen eigenen politischen Problemen abzulenken – obwohl er auch ein Interesse daran hat, die Welt vor einem möglichen Putsch zu warnen, der die gesamte Region erschüttern könnte.) In den Berichten heißt es auch, dass Mitglieder dieser Fraktion der Meinung sind, dass Kims Anwendung der Todesstrafe außer Kontrolle geraten ist. Im vergangenen September ließ er 30 Beamte am selben Tag hinrichten, weil sie es versäumt hatten, schwere Überschwemmungen im Lande zu verhindern. Die Fraktion hat offenbar auch erwogen, das nordkoreanische Erbfolgesystem zu ersetzen.

Einem in diesem Monat vom Forschungsdienst der südkoreanischen Nationalversammlung veröffentlichten Bericht zufolge hat sich Choe als Anführer dieser Gruppierung herauskristallisiert. Weitere wichtige Teilnehmer sind Berichten zufolge die Militärs Ri Yong Gil, No Kwang Chol und Kim Su Gil sowie der Ministerpräsident Pak Thae Song. In den zurückliegenden Monaten haben Choes öffentliche Auftritte zugenommen, und kritischerweise tauchte er auch bei Veranstaltungen auf, bei denen Kim aus unbekannten Gründen abwesend war, wie etwa bei einer zweitägigen Parlamentssitzung im Januar und beim jährlichen Besuch des Mausoleums seines Großvaters Kim Il Sung am Geburtstag des verstorbenen Staatsgründers im April.

Überraschend, dass Choe als Gegner des Kim-Regimes noch am Leben ist

Choe hat zwar nie öffentlich Kims Entscheidung kritisiert, Russland den Vorzug vor China zu geben, aber die ständigen Gerüchte über Reibereien, seine Aufnahme in den Geheimdienstbericht, seine überraschende Machtkonsolidierung und seine langjährigen Beziehungen zu Peking lassen vermuten, dass der Hauptstreitpunkt zwischen ihm und Kim die Beziehungen Nordkoreas zu China und Russland sind. Außerdem ist Choe ein militärischer Führer, der für seine Hingabe zu den Streitkräften bekannt ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass er nicht wollte, dass Truppen nach Russland geschickt werden, wo nordkoreanische Soldaten möglicherweise für eine Waffenallianz sterben, die er für wackelig hielt.

Ein überraschendes Element dieser Geschichte ist, dass Choe trotz der Veröffentlichung seiner Rolle als Gegner des Kim-Regimes noch am Leben ist. Die Tatsache, dass es ihm gelungen ist, seine politische Position zu halten, deutet darauf hin, dass er von einer externen Kraft (wahrscheinlich China) unterstützt wird, die auch eine Rolle beim Durchsickern der Informationen über den Machtkampf gespielt haben könnte.

Inmitten der Ungewissheit über die US-Zölle hat Peking seinen Partnern, darunter Japan und Südkorea, die Hand gereicht, um eine gemeinsame Antwort auf die Handelspolitik der USA zu finden. Auf dem letzten trilateralen Treffen nannten Tokio und Seoul die nukleare Bedrohung durch Pjöngjang als Haupthindernis für eine Verbesserung der Beziehungen und signalisierten damit ihren Wunsch, Peking möge die nuklearen Ambitionen Pjöngjangs eindämmen. Es liegt nun in Chinas Interesse, diese trilaterale Partnerschaft fortzusetzen. In Anbetracht des Vertrages zwischen Nordkorea und Russland sowie Kims wachsender Sympathie für Putin wäre es für China jedoch schwierig, seinen Einfluss auf den Norden zurückzuerlangen – es sei denn, es könnte eine prominente Persönlichkeit unterstützen, die bereits eine Machtbasis aufgebaut hat, welche Kims Entscheidungen tatsächlich herausfordern könnte.

China könnte davon profitieren, einem neuen nordkoreanischen Führer zur Macht zu verhelfen

Sollte es Choe und seinen Anhängern gelingen, die derzeitige Führung zu stürzen, würde dies sehr wahrscheinlich eine Verschiebung des Bündnissystems in Ostasien bedeuten. Als Unterstützer dieser Fraktion könnte China seinen Einfluss auf den Norden zurückgewinnen, die Atomverhandlungen wieder aufnehmen – und so das Bündnis mit Japan und Südkorea voranbringen. Dies könnte sogar zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und China führen, da Washington seit langem möchte, dass Peking die nordkoreanische Bedrohung in den Griff bekommt – wofür Washington wahrscheinlich bereit wäre, Peking in irgendeiner Weise zu entschädigen.

Eine Zügelung Pjöngjangs könnte sogar Pekings Bemühungen um die Vermittlung bei den Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine unterstützen. Das würde Moskau wahrscheinlich verärgern, aber die Beziehungen zwischen Russland und China haben bereits tiefe Risse, auch wenn beide Seiten etwas anderes behaupten. China könnte sicherlich davon profitieren, wenn es einem neuen nordkoreanischen Führer zur Macht verhelfen würde. Aber es muss auch bedenken, dass die Kim-Familie die Macht seit Jahrzehnten fest im Griff hat und dass es gelinde gesagt nicht einfach wäre, ein solches Kunststück zu vollbringen.

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Ernst-Günther Konrad | Sa., 26. April 2025 - 10:29

Ist da nicht auch viel Wunschdenken dabei? Was dieser UN für ein Mensch zu sein scheint und das er ein widerlicher Diktator ist dürfte unstrittig sein. Das er aber einen neben sich duldet, der jetzt ihm so gefährlich werden könnte bezweifele ich. Diktatoren sind von Haus aus äußerst skeptisch und vorsichtig. Sobald sich normalerweise da jemand abzeichnet, der ihnen gefährlich werden könnte, wird der doch vorher schnell abserviert. Entweder offen oder versteckt mittels einem kleinen Mord. Und selbst wenn es so wäre. Was käme da wirklich nach? Glaubt jemand ernsthaft, dass würde zur Demokratie führen? Besteht nicht nur einfach die Gefahr, das ein Diktator durch einen anderen ausgetauscht wird? Dieses geschundene Volk ist über Jahrzehnte unterdrückt worden. Nicht wenige haben es sich da sicher auch ganz bequem gemacht und dieser Familiendynastie gedient. Was würde mit denen passieren? Können die Demokratie? Würde ein neuer Führer sich an China, USA oder Russland ausrichten? Abwarten.