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Krise in der Ukraine - Zwischen Don und Dnjepr herrscht Krieg

Die eskalierende Gewalt droht alle Friedensbemühungen in der Ostukraine wegzuspülen

Autoreninfo

Stefan Scholl ist Moskau-Korrespondent des Wirtschaftsmagazins brand eins, schreibt außerdem für Internationale Politik, Geo spezial oder Vanity Fair

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Im Süden und Osten der Ukraine tauchen immer mehr Punkte auf, die rot vor Blut sind. An den Straßensperren der von ukrainischen Truppen belagerten Separatistenhochburg Slawjansk sind die Schießereien allnächtlich geworden, die Zahl der Toten ist ungewiss, geht aber in die Dutzende. In Mariupol wehren ukrainische Polizisten mit Gewehrfeuer die Attacke einer mit Knüppeln und Kalaschnikows bewaffneten Menge ab, im Ergebnis sterben mindestens sieben Menschen.

In Krasnoarmejsk bedrängt eine unbewaffnete prorussische Menge ukrainische Kämpfer, die schießen, zwei Tote. In Odessa greifen mit Schusswaffen bewaffnete Separatisten eine friedliche proukrainische Demonstration an, die Polizei deckt ihnen offen den Rücken – fünf Tote. Beim Gegenstoß wütender Maidan-Krieger gerät ein Gewerkschaftsgebäude in Brand, in dem sich Separatisten verschanzt haben – 43 Tote.

In der Ostukraine herrscht Krieg

 

Zwischen Don und Dnjepr herrscht keine politische Krise mehr, hier herrscht Krieg. Ein sonderbarer Krieg, im Kleinen noch, aber schon voll Gier nach Mord und Rache. Ihm fehlt die klare Front üblicher Landkriege, aber auch die Asymmetrie eines Partisanenkrieges. Man könnte ihn Bürgerkrieg nennen, weil hier prorussische gegen prowestliche Ukrainer kämpfen. Man könnte auch von einem hybriden Angriffskrieg reden, weil russische Geheimdienstoffiziere und ganze Stoßtrupps beurlaubter Elitesoldaten die militärputschartigen Besetzungen von Geheimdienstgebäuden, Fernsehtürmen und Verkehrsknotenpunkten anführen.

Diese schleichende Intervention wickelt sich in den unbewaffneten Protest prorussischer Zivilisten, darunter Frauen und sogar Kinder. „Es ist schwer, eine schwarze Katze in einem dunklen Raum zu finden, besonders, wenn sie gar nicht da ist“, witzelt Russlands Verteidigungsminister Sergei Kuschugetowitsch über die eigenen Militärs in der Ukraine: „Und wenn sie klug und kühn ist.“ Russlands schwarze Katze scheint in den Regionen Donezk und Lugansk ihrer noch herumtaumelnden Beute das Genick bereits gebrochen zu haben: Hier zeichnet sich angesichts kollaborierender Wirtschaftsoligarchen, Regionalpolitiker und Sicherheitsorgane, sowie angesichts einer dem russischen Staatsfernsehen inbrünstig vertrauenden Rentner- und Arbeiterschaft die Wiederholung des Krimszenarios aus.

Gerade erst stimmte ein Großteil der Bevölkerung für die Abspaltung der Ukraine, in einem Referendum voller Formfehler aber durchaus mit politischer Aussagekraft: Offenbar will eine Mehrheit der ethnischen Russen hier heim in die Sowjetunion. Schon hat die Volksrepublik Donezk Russland förmlich um Aufnahme gebeten. Schwerbewaffnete Maskierte gehören inzwischen zum Alltag. Gerüchte, auch Videos, über mutmaßliche Elitekämpfer aus Tschetschenien in Donezk mehren sich.

Aber auch die patriotische, die antirussische Ukraine macht mobil. Die Hotels von Dnepropetrowsk sind voll mit Soldaten frisch aufgestellter Bürgerwehrbataillone, in den Waffengeschäften von Odessa stehen zum Kampf entschlossene Krieger Schlange, in der Region Nikolajew sind Verkehrsschilder mit Putin-Karikaturen übermalt, die ein Hitlerbärtchen tragen. Unterschrift: „Raus hier!“

Es drohen ethnische Säuberungen

 

Von Charkow im Nordosten bis Cherson an der Schwarzmeerküste formiert sich doch eine Linie ostukrainischer Frontregionen, wo vor allem Amateurstreitkräfte zur blutigen Gegenwehr und Vergeltung bereit sind wie in Odessa, aber auch zu blutigen Gegenangriffen wie in Krasnoarmejsk. Unklar ist, ob sie letztlich zahlreich genug sind, um weitere Schläge der westwärts drängenden Hybridangreifer abzuwehren. Schon debattieren die in Donezk versammelten Reporterhundertschaften, ob man zu den ukrainischen Präsidentschaftswahlen am 25. Mai besser nach Charkow oder nach Odessa fährt. Um dort die nächste der gewaltsamen Großveranstaltungen zu covern, mit denen Moskau die Wahlen im Besonderen und die ukrainische Staatlichkeit im Allgemeinen torpediert.

Der Deutsche Außenminister und andere Berufsgutmenschen reden jetzt von einem „Runden Tisch“ zur Befriedung der Ukraine, beratschlagen, wie man denn welche Konfliktparteien an dieser hölzernen Veranstaltung beteiligen kann. Aber die hat kaum mehr Erfolgschancen als die „Runden Tische“ während der Kiewer Maidan-Revolution im Winter, die sämtlichst von der Wucht neuer Straßenschlachten weggespült worden sind. Damals hassten die Aufständischen die Obrigkeit und ihre knüppelnde Einsatzpolizei. 

Jetzt aber hassen sich die Bürger der Ukraine gegenseitig, bezichtigen einander des Faschismus. Der patriotischen Minderheit in den separatistischen „Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk drohen schwarze Listen und nächtlicher Totschlag. Ukrainische Nationalisten werden in den Regionen, in denen sie sich behaupten können, kaum mehr Gnade gegenüber prorussischen Aktivisten walten lassen. Bandera,der ukrainische Nationalist und Partisanenführer der 40er-Jahre gegen Putin, Sammlung der russischen Erde gegen europäische Idee, beiden Seiten droht jene Gewalt, die in den 90er Jahren unter dem Begriff „ethnische Säuberung“ bekannt wurde, diesmal aber zu einem jahrelangen weltanschaulichen Morden ausarten könnte. Der Ukraine droht eine Geographie, die schwarz vor Blut sein wird.

Zwischendurch spuckt Wladimir Putin Friedenstauben. Kürzlich riet er seiner ostukrainischen Anhängerschaft, ihre Abspaltungsvolksabstimmungen doch ein wenig zu verschieben, um einen neuen politischen Dialog zu ermöglichen. Heuchelei, Lüge? Wohl eher eine weitere Kriegslist, um die internationale Öffentlichkeit zu verwirren, der Krieg erlaubt bekanntlich alle Mittel. Und im Gegensatz zu seinen westlichen Kollegen kennt Präsident Putin die Spielregeln des Krieges in der Ostukraine bestens. Nicht zuletzt deshalb, weil er ihn begonnen hat.

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