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Neujahrsrede - „Kim Jong-un plant keine Versöhnung mit Südkorea“

Kim Jong-un ist kein Friedensstifter, sagt Hanns Günther Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Im Cicero-Online-Interview verrät der Wissenschaftler, warum Nordkoreas Machtinhaber ein gerissener Stratege ist, der es versteht, sich China, Südkorea, Europa und die USA gefügig zu machen

Autoreninfo

Jana Illhardt studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften und Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität in Berlin. Sie schreibt für Cicero Online und lebt in Berlin.

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Mit seiner Neujahrsansprache hat Kim Jong-un für Furore gesorgt: 2013 werde ein Jahr „großer Schöpfungen und Veränderungen sein, die einen radikalen Umschwung bewirken“, verkündete Nordkoreas Machtinhaber im Staatsfernsehen. Er wolle den Lebensstandard seines Volkes erhöhen und sein Land zu einem „wirtschaftlichen Riesen“ machen. Die größte Überraschung: Nach 60 Jahren Kriegszustand mit Südkorea könne „die Teilung des Landes beendet und seine Wiedervereinigung erreicht werden“. Die Vergangenheit habe schließlich gezeigt, dass die Konfrontation zwischen den Landsleuten zu „nichts als Krieg“ geführt habe.

Herr Hilpert, werden wir schon bald eine Wiedervereinigung Nord- und Südkoreas feiern können, so wie es Kim Jong-un in seiner Neujahrsrede vom Dienstag in Aussicht gestellt hat?
Wohl eher nicht. Eine Wiedervereinigung wäre für Kim Jong-un nur dann interessant, wenn er als oberster Führer auch über Südkorea herrschen würde. Das wird nicht geschehen. Genauso wenig wird er selbst seine Koffer packen.

Warum dann die Ankündigung?
Kim Jong-un versucht, Südkorea als Sponsoren für sein Land zu gewinnen.

Hanns Günther Hilpert

Mit China hat Nordkorea doch aber schon einen starken Verbündeten.
Die Volksrepublik China ist – wenn überhaupt – Nordkoreas einziger Verbündeter. Ohne den Warenverkehr wäre Nordkorea vermutlich innerhalb von vier Wochen erledigt. Insofern ist die Abhängigkeit von China enorm. China könnte Nordkorea implodieren lassen, das aber wollen sie nicht, denn Nordkorea dient als Pufferzone gegenüber dem Süden. Dessen ist sich wiederum Kim Jong-un bewusst. Er befindet sich in der Position, China trotzen zu können. Mit der Zuwendung zu Südkorea geht es ihm nicht um eine Abkopplung von China, sondern um einen zweiten Sponsor für sein Land – einen Zugewinn an Handlungs- und Machtspielraum. Mit eigenen Ernten kann Nordkorea frühestens im Mai rechnen. Die Lieferungen aus China und die Schenkungen des World Food Program reichen kaum. Käme aus Südkorea eine erste Kooperationsdividende, würde das dem Land sehr helfen. Zugleich könnte Kim Jong-un damit seine Position als „obersten Führer“ – so nennt er sich – stabilisieren.

Warum versucht Kim Jong-un nicht, die Wirtschaft im eigenen Land anzukurbeln?
Die Wirtschaft Nordkoreas ist total zerrüttet. Da ist wenig zu holen. Es findet eine De-Industrialisierung statt, die Infrastruktur verrottet und die Böden sind ausgelaugt. Was am schlimmsten ist: die Machtstrukturen verfallen, alle Ebenen sind korrumpiert. Kim Jong-un kann da nur wenig bewegen. Er muss auf den Kapital- und Know-how-Transfer aus dem Ausland setzen. Deswegen wird er sicherlich auch immer wieder in Europa vorstellig werden.

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Inwiefern?
Er wird versuchen sich als jemand darzustellen, der versucht, Frieden zu schaffen – so wie in seiner Ansprache am Dienstag. Er wird sich als der David im Kampf gegen den amerikanischen Goliath zeigen und den USA die Schuld an den Verhältnissen seines Landes geben, an der Teilung Nord- und Südkoreas sowie der ökonomischen Schieflage, die ihn abhängig von wirtschaftlichen Zuwendungen macht. Diese Argumentationslinie fährt Nordkorea seit langem und ist damit auch durchaus erfolgreich. Sein Hauptziel muss es jedoch sein, Südkorea als Sponsoren zu gewinnen.

Welches Interesse hat Südkorea, sich auf diese Rolle einzulassen?
Nordkorea ist ein großer Unruheherd in Nordostasien. Wir erinnern uns: 2010 hat Nordkorea das südkoreanische Kriegsschiff Cheonan versenkte und die Insel Yeonpyeong beschossen. Und Nordkorea hat viele weitere Möglichkeiten, militärisch aggressiv tätig zu werden. Wenn sich Südkorea durch Dialoge und Kooperationen die Stabilität auf der Halbinsel erkaufen kann, wird man es tun. Das ist immer noch kostengünstiger und politisch zielführender als die Konfrontationspolitik der vergangenen Jahre.

Im Februar löst Park Geun-hye Präsident Lee Myung-bak ab. Im Wahlkampf kündigte Frau Park bereits an, stärker mit Nordkorea zusammenarbeiten zu wollen. Wie schnell wird es zu Gesprächen kommen?
Möglicherweise finden bereits erste Gespräche hinter verschlossenen Türen statt. Substanziell kann jedoch erst nach ihrem Amtsantritt im Februar etwas geschehen. Was genau herauskommen wird, lässt sich noch nicht sagen. Frau Park ist dafür bekannt, sich mit einem relativ kleinen Beraterkreis zu umgeben und Entscheidungen hinter verschlossenen Türen zu treffen. Fest steht, dass sie auf Diplomatie und Gespräche setzen wird und sich nicht wie ihr Vorgänger Lee Myung-bak mit selbst erklärten Konditionalitäten ihren Handlungsspielraum unnötig einengen wird.

Seite 2: Informationskontrolle, Führerkult und Terror – das Machtverständnis des Kim Jong-il

In seiner Neujahrsrede sprach Kim Jong-un von einem „radikalen“ Wechsel in der Politik seines Landes. Oberstes Ziel sei es, die Wirtschaft anzukurbeln und die Lebensbedingungen seines Volkes zu verbessern. Wie viel geben Sie auf diese Worte?
Bei einer wirklich „radikalen“ Wende würden die Grundlagen des Systems, nämlich Macht wegbrechen. Ich halte sie daher für unmöglich.

Kim Jong-un hat die Reihen der Mächtigen „gesäubert“. Von der alten Führungsgarde seines Vaters Kim Jong-il ist nur noch sein Onkel Chan Song-taek übrig. Lässt das nicht darauf schließen, dass sich Kim Jong-un klar vom politischen Kurs seines Vaters abkoppeln will?
Kim Jong-un stützt sich nicht so sehr auf die Militärs, so wie es sein Vater getan hat. Vielmehr verschiebt sich das Regime hin zu einer Parteiherrschaft. Dennoch tut er das gleiche wie sein Vater Kim Jong-il: Er ersetzt die alte Führungsgarde durch Personen, die er in das Amt gehievt hat und die ihm persönlich verpflichtet sind. Er tauscht die Machteliten, aber es bleibt bei einer personalisierten Herrschaft.

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Es zeichnet sich ab, dass Kim Jong-un vielmehr in die Fußstapfen seines Großvaters – dem Staatsgründer Kim Il-sung – denn seines Vater zu treten versucht. Kim Il-sung ist für die Nordkoreaner das Sinnbild des Übervaters, des ewigen Präsidenten, der verehrten Person schlechthin. Davon versucht Kim Jong-un einen Teil für sich zu entleihen. Er sieht seinem Großvater nicht nur sehr ähnlich sondern versucht, ihn auch im Habitus nachzuahmen. Dazu gehört auch die zu Zeiten Kim Il-sungs übliche Neujahrsrede. Sein Vater hatte sich niemals persönlich ans Volk gerichtet.

In der Substanz kann Kim Jong-il jedoch nicht viel ändern: Nordkorea befindet sich wirtschaftlich und politisch in einer Sackgasse. Sein einziges Faustfand ist die konventionelle Abschreckung und jetzt auch die Nuklearwaffe.

Dieses Faustfand hat er ja erst am 12. Dezember wieder unter Beweis gestellt…
Eben. Der Raketenstart vom 12. Dezember war ein eindeutiger Verstoß gegen die Resolution 1874 des Sicherheitsrates, wie auch schon der missglückte Raketenstart am 13. April letzten Jahres. Jetzt steht die Reaktion des Weltsicherheitsrates aber noch immer aus.

Deswegen die friedenstiftende Neujahrsrede, um die Gemüter zu beruhigen?
Mit seiner friedensbetonten Botschaft hat Kim Jong-un sicherlich dem Sanktionswillen der USA, Südkoreas und Japans den Zahn gezogen. Es ist nicht mehr opportun, auf Nordkorea draufzuhauen. China hatte sowieso bereits angekündigt, einer Verurteilung Nordkoreas nicht zustimmen zu wollen. Die Reaktion des Weltsicherheitsrates wird also sehr gemäßigt ausfallen. Es liegt im Übrigen in der diplomatischen Tradition Nordkoreas, mit geschicktem Timing positive Botschaften ins Ausland zu senden und damit auf den Gang der Ereignisse Einfluss zu nehmen.

Eine Liberalisierung ist demnach nicht zu erwarten?
Nein. Eine wirtschaftliche Liberalisierung zeichnet sich nur ansatzweise ab. Im September erließ Kim Jong-un ein Gesetz, das es den Bauern erstmals erlaubt, einen Teil ihrer Ernte privat zu verkaufen. Dies war aber nur eine Anpassung an die verzweifelten Versuche der Landbevölkerung ihr Überleben zu sichern und keine grundsätzliche Liberalisierung. Würde Kim Jong-un diese anstreben, würde sein Machtregime erodieren: Es würden sich unabhängige Händlerklassen herausbilden, die aufgrund ihres Kapitals innenpolitisch Einfluss nehmen könnten. Außerdem würde eine Liberalisierung eine gewisse Informationsfreiheit voraussetzen. Das würde wiederum dazu führen, dass hinterfragt wird, was das Regime leistet und tut. Dieser Kritik wird man sich kaum  aussetzen wollen. Vielmehr hat Kim Jong-un in seiner bisherigen Regierungszeit sein repressives, totalitäres Machtregime konsolidiert mit allem was dazu gehört: Informationskontrolle, Propaganda, Führerkult, Repression, Terror, Bedrohung der Nachbarstaaten, Massenvernichtungswaffen. Da hat sich nichts geändert. Dass er friedlicher spricht, ist reine Taktik.

Herr Hilpert, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Hanns Günther Hilpert ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Forschung in Berlin. Die Stiftung berät den Bundestag sowie die Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Integrationsprozesse in Ostasien sowie die Wirtschaft Koreas sind zwei von Hilperts Forschungsgebieten.

Das Gespräch führte Jana Illhardt.

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