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Israel im Cyberkrieg - Jenseits von NSA, BND und GCHQ

Israel ist ein Hightech-Land mit der relativ größten Zahl an Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern weltweit. Während man in Deutschland über Abhörtechniken durch NSA, BND und GCHQ lamentiert, werden dort schon Schüler auf die Cyberwelt vorbereitet. In Kooperation mit dem Tagesspiegel

Autoreninfo

Malte Lehming ist Autor und Leitender Redakteur des Berliner "Tagesspiegels".

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Wer auf das Dach des Gebäudes steigt, an großen, runden, metallenen Lüftungsschächten vorbei, wird mit einem Rundumblick über die Negev-Wüste belohnt. Nur ahnen lässt sich, dass an dieser Stelle eine Art Mittelpunkt ist – im Nordwesten Tel Aviv, im Nordosten Jerusalem, im Süden Be’er Sheva, im Westen der Gazastreifen und das Mittelmeer, im Osten das palästinensische Hebron und das Tote Meer. Der Radius, der all diese Orte verbindet, beträgt kaum 80 Kilometer. Willkommen bei der Chipfabrik Intel, in der Wüstenstadt Kiryat Gat, dem Herzstück von Israels Technologiewirtschaft!

Drinnen im Gebäude, in einem kleinen, fensterlosen Saal, der an ein Kino erinnert, wird ein Informations- und Werbefilm über Intel-Israel gezeigt.

Vor 40 Jahren wurde in Haifa der erste ausländische Ableger des US-Unternehmens gegründet. Inzwischen gibt es weitere Forschungs- und Entwicklungsstätten in Petah Tikva, Jerusalem und im Kibbuz Yakum. Knapp zehntausend Mitarbeiter hat das Unternehmen und ist damit Israels größter privater Arbeitgeber. Mehr als eine Milliarde Mikrochips wurden bereits exportiert, mehr als zehn Milliarden Dollar investiert. Und ungefähr eine halbe Million Israelis – insbesondere Schüler, Studenten und Lehrer – hat an von Intel organisierten Kursen teilgenommen.

„Neugierig, flexibel, kreativ – und sehr ehrgeizig“
 

Israel ist Hightech-Land, auch durch Intel. Hier arbeitet die größte Zahl an Wissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern der Welt, pro Kopf der angestellten Bevölkerung. Ausgebildet werden sie an sieben Universitäten für acht Millionen Einwohner. „Wir sind neugierig, flexibel, kreativ – und sehr ehrgeizig“, sagt eine Intel-Mitarbeiterin. In Haifa wurde der 8088 Prozessor entwickelt, der Pentium MMX Prozessor und – als Grundlage der gesamten Laptop-Revolution – der Pentium M- Prozessor. In Kiryat Gat wird gegenwärtig der 22-Nanometer- Chip produziert. Vor wenigen Wochen erst hat das Mutter-Unternehmen in Kalifornien bekannt gegeben, weitere sechs Milliarden Dollar in den Ausbau dieser Produktionsstätte stecken zu wollen.

Während man in Deutschland über Abhörtechniken durch NSA, BND oder GCHQ lamentiert, Big Data mit Orwell identifiziert, den Datenschutz als Menschenrecht beschwört und Untersuchungsausschüsse einrichtet, deren Mitglieder nicht etwa die technologische Rückständigkeit des Landes skandalisieren, sondern sich mit Asylrechtsfragen für Edward Snowden befassen, bereiten sich Israelis schon in der Schule intensiv auf die neue Cyberwelt vor. Das von der Armee entwickelte Programm besteht aus 900 Unterrichtsstunden, die auf die Lehrpläne von der 10. bis zur 12. Klasse verteilt sind. Die Jahrgangsbesten werden für Cybereinheiten rekrutiert, um die Infrastruktur des Landes vor Hacker-Angriffen zu schützen – oder um Computerviren und -würmer zu entwickeln, die gegnerische Atomanlagen lahmlegen.

Mikrochip mit Paprikageschmack
 

„Die Bedrohung unseres Landes durch Cyberangriffe ist eines der akutesten sicherheitspolitischen Probleme“, sagt im Hintergrundgespräch ein Offizier im Verteidigungsministerium in Tel Aviv. „Wir sind nicht immun dagegen, investieren sehr viele Ressourcen.“ Der einzig stabile Faktor in der Region sei die Instabilität, „wir erwarten in jedem Moment das Unerwartete“. Den cybertechnologischen Vorsprung zu halten, sei heute für die Sicherheit Israels mindestens ebenso notwendig, wie es früher die militärtechnologische Überlegenheit war.

Den Bogen spannt die Geschichte. Dov Frohman wurde 1939 in Amsterdam geboren. Seine Eltern, die als polnische Juden in die Niederlande geflohen waren, wurden von den Nazis ermordet. Der Junge wuchs in einem Waisenhaus im damaligen Palästina auf, bevor ihn Verwandte adoptierten. Am Technion in Haifa studierte er Elektroingenieurswesen, ging in die USA, heuerte im Silicon Valley an, entwickelte mit Eprom den ersten löschbaren und programmierbaren Nur-Lese-Speicher, der lange Zeit Intels profitabelstes Produkt war.

Frohman wurde Vizepräsident von Intel, doch sein langfristiger Plan war, aus Israel ein Hightech- Zentrum zu machen. Und so begann Intel in Israel vor 40 Jahren mit einem kleinen Ableger in Haifa, Frohman wurde Chef des Unternehmens – zu einer Zeit, als sich in Europa bei dem Wort „Mikrochip“ lediglich die Frage aufdrängte: Sind die mit Zwiebel- oder Paprikageschmack?

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