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Iranische Demonstranten skandieren gegen die USA und Israel / picture alliance / NurPhoto | Morteza Nikoubazl

Iranische Stimmen, Teil 2 - „Die Angriffe Israels werden hier nicht unterstützt“

Israel und Iran befinden sich seit Tagen im Krieg. Doch wie erleben Iraner diesen Konflikt? In zwei Cicero-Artikeln erzählen je drei Iraner im Iran und im Exil von ihren Ängsten und Hoffnungen, damit ihre Stimmen nicht ungehört bleiben. Dies ist der zweite Artikel.

Clemens Traub

Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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In der Nacht auf den 13. Juni 2025 hat Israel das Atomprogramm und zahlreiche Militärstützpunkte des Irans angegriffen. Seither befinden sich beide Länder faktisch im Krieg miteinander. Die Frontlinie der hiesigen Debatte verläuft zwischen der Überzeugung, Israel verteidige damit sein Fortbestehen, und dem Vorwurf an den jüdischen Staat, einen völkerrechtswidrigen Angriff auf das Mullah-Regime gestartet zu haben. Doch was denken Iraner über die jüngste Eskalation? Cicero hat Iraner im Iran und im Exil gebeten, ihre Gedanken aufzuschreiben. Dies ist der zweite von zwei Teilen.  

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„Wer sich politisch auskannte, wusste: Dies ist die letzte Schlacht“

Ich bin dreißig Jahre alt und lebe in Deutschland. Vor drei Jahren kam ich hierher, um meinen Master zu machen – mit dem festen Vorsatz, nach Abschluss meines Studiums in meine Heimat zurückzukehren. Als ich deutschen Boden betrat, waren gerade zehn Tage seit Beginn der Proteste um Mahsa Amini vergangen. Die täglichen Schreckensnachrichten aus dem Iran ließen meinen seelischen Zustand rasch ins Bodenlose stürzen. Und obwohl mein Rückflug bereits gebucht war, rief ich bis zum letzten Tag vor meinem Abflug auf den Straßen meiner Stadt lautstark Parolen – in der Hoffnung, gehört zu werden.

Doch ich wusste, dass diese Bewegung nicht in einen Regimewechsel münden würde. Die Welt war noch nicht bereit für einen freien Iran. Es wurde viel Blut vergossen, und doch war der Weg des Widerstands der einzige, der blieb. Die Wahrheit ist: Das aktuelle Regime repräsentiert das iranische Volk nicht. Vor 46 Jahren kam es durch Täuschung und unter Ausnutzung der Unwissenheit der Bevölkerung an die Macht. Es war eine unheilige Allianz aus „Rot“ und „Schwarz“ – der roten, kommunistischen Reaktion und der schwarzen, islamistischen Reaktion.

Heute ist bekannt, dass westliche Regierungen damals wesentlich zur Absetzung des verstorbenen Schahs beitrugen und die Etablierung des Klerikalregimes begünstigten – etwas, das viele später bereuten. Seither verbreiten sich Terror und Angst im Nahen Osten. Eine Region, in der einst Menschen ein einfaches Leben führten, ist in ein regelrechtes Inferno verwandelt worden. Es hat Jahre gebraucht, bis wir Iraner begriffen, in wessen Hände unser Land gefallen war. Immer wieder setzten wir auf Reformen, wählten jene, die uns Hoffnung auf Wandel gaben – bis 2009. Damals erkannten wir: Selbst einig zu sein und unseren Kandidaten zu wählen, reicht nicht, wenn ein „Oberster Führer“ das Votum des Volkes nach Belieben annullieren kann.

Mit diesem Moment starb die Hoffnung auf Reform. Und wir begriffen: Wir stehen einem anti-nationalen, anti-iranischen Regime gegenüber – einer Figur, die sich nie als Iraner bezeichnet hat, sondern nur als Muslim. Für ihn sind Iraner nur Mittel zum Zweck, das Land und seine Ressourcen nichts als Beute für die Verbreitung einer politischen Ideologie. 2017 flammten erneut Proteste auf – ausgelöst durch wirtschaftliche Not, getragen von einer Vielzahl aufgestauter Forderungen: Gerechtigkeit, Freiheit, Würde.

Zum ersten Mal wurden keine religiösen Parolen gerufen – sondern nationale. Das Volk hatte verstanden: Ein religiöses Regime kann man nicht mit den Mitteln der Religion bekämpfen. Die junge Generation wandte sich fast geschlossen vom Islam ab, viele wurden atheistisch. Obwohl auch diese Proteste brutal niedergeschlagen wurden, kam es seitdem immer wieder zu regionalen Aufständen.

Der blutigste war im November 2019: Innerhalb von drei Tagen tötete das Regime 1500 Menschen mit gezielten Kopfschüssen. In diesem Moment starb die Islamische Republik in den Herzen der Menschen. Jeder wusste: Dieses System muss verschwinden. Doch uns fehlten Waffen – nicht Mut. Diese unterdrückte Wut entlud sich 2022 nach dem Mord an einem unschuldigen jungen Mädchen. Drei Monate lang erschütterten Proteste und Streiks das ganze Land.

Doch das Regime hat eine Armee von Gehirngewaschenen, die glauben, durch Mord und sogar Vergewaltigung das Paradies zu verdienen. Manche wären bereit, ihre eigenen Mütter, Schwestern oder Brüder zu töten – alles im Namen des Regimes. Wir hofften auf den Zusammenbruch der Sicherheitskräfte und die Einnahme der Machtzentren. Doch das geschah nicht.

Heute stehen wir mitten in einem Krieg zwischen der Islamischen Republik und Israel. Für mich ist es kein Krieg zwischen Iran und Israel, sondern ein Krieg zwischen Israel und dem Regime. Seit über 46 Jahren verfolgt dieses ideologische System offen das Ziel, Israel zu zerstören – und hat in der Zwischenzeit unser eigenes Land, unser Volk, unsere Zukunft zerstört.

Schon nach einem Tag dieses Krieges hat das Regime viele seiner Kommandanten verloren – und wir, das Volk, wollen diesen Krieg nicht. Die Israelis wissen: Das iranische Volk ist nicht sein Regime. Deshalb versuchen sie, bei ihren Angriffen größtmögliche Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen – auch wenn es im Krieg keine absolute Sicherheit gibt.

Wie ich mich fühle? Als der Krieg begann, wusste ich: Der Tag, den ich gefürchtet hatte, war gekommen. Wir hätten dieses Regime zuvor stürzen können – doch wir haben es nicht geschafft. Nun liegt das Schicksal nicht mehr in unseren Händen. Nun entscheiden die Weltmächte, was mit uns geschieht. Ich empfinde gleichzeitig Angst und Hoffnung: Hoffnung, dass dieser Krieg endlich das Ende des Regimes bedeutet – und Angst vor einer ungewissen Zukunft.

Am ersten Tag des Krieges konnte ich nichts essen. Ich saß acht Stunden am Schreibtisch, las Nachrichten – bis ich vor Erschöpfung einschlief. Am zweiten Tag war mein Zustand kaum besser. Ich hatte Kopfschmerzen, Schwindel – bis ich realisierte, dass ich seit zwei Tagen nichts gegessen hatte. Mein Geist funktioniert nicht mehr. Ich verlaufe mich auf dem Heimweg. Meine Freunde leiden ebenfalls – unter Vergesslichkeit, Panikattacken, körperlicher Erschöpfung.

In Gesprächen, in Familien, auf sozialen Netzwerken beobachtete ich: Einige begriffen sofort, dass der Krieg begonnen hatte. Andere – vor allem im Iran – glaubten es zunächst nicht. Während Bomben auf militärische Ziele fielen, fuhren viele noch Fahrrad oder gingen zur Arbeit, weil sie frühere, kontrollierte Scharmützel zwischen Israel und Iran gewohnt waren und dies für ein weiteres hielten. Doch wer sich politisch auskannte, wusste: Dies ist die letzte Schlacht.

In meinem Umfeld spaltete sich die Stimmung bald: Die einen waren erschüttert und betrachteten den Krieg unabhängig vom Regime als Angriff auf das Land. Für sie war der Unterschied zwischen dem Iran als Nation und dem Regime nicht wichtig. Die anderen – und ich zähle mich dazu – glaubten, dass ein Regime, das seit 46 Jahren das Ziel verfolgt, Israel zu vernichten, dafür unser Leben, unser Geld und unsere Freiheit geopfert hat, nicht überleben darf.

Das führte zu Meinungsverschiedenheiten – selbst unter Geschwistern und Freunden. Doch als viele sahen, wie präzise und gezielt Israel vorging, begann sich die Haltung zugunsten der Angriffe zu verschieben. Für mich war Israel nie ein historischer oder strategischer Feind. Vor 2500 Jahren befreite Kyros der Große, Gründer des persischen Reiches, die Juden aus der babylonischen Gefangenschaft und erlaubte ihnen den Wiederaufbau ihres Tempels – ein Ereignis, das auf der Kyros-Zylinder-Inschrift verewigt ist, einem der frühesten Zeugnisse der Menschenrechte. Manche glauben, dass nun die Zeit gekommen ist, in der das jüdische Volk diese alte Schuld an Iran zurückzahlen könnte.

Was mir jedoch Angst macht: Wenn Israels Ziel allein die Zerstörung der Nuklearanlagen ist, könnten Israel und die USA bald keinen Grund mehr sehen, das Regime vollständig zu beseitigen. In diesem Fall wird sich das Regime an uns rächen – mit Massenhinrichtungen und Blutvergießen, bis es die Bevölkerung so weit dezimiert hat, dass Hoffnung auf Wandel kaum noch existiert. Und doch – die iranische Gesellschaft ist heute nur einen Hauch davon entfernt, ihr Land zurückzuerobern.

Wir sehnen uns nach einem freien, säkularen Iran, gegründet auf Menschenrechten – ein Iran, der keinen Krieg führt, sondern Schönheit schafft; ein Iran, der normale Beziehungen mit dem Westen, mit Israel und den USA pflegt; ein Land, in dem Frauen frei wählen dürfen, was sie tragen, Menschen ihren Glauben oder Nicht-Glauben leben können, und niemand wegen seiner Meinung getötet wird.

Dieses Morgen ist nur möglich mit dem Tod von Ali Khamenei. Wenn er in einer solchen Phase stirbt, wird niemand mehr da sein, der Massaker befiehlt. Und niemand wird den Mut haben, an seine Stelle zu treten. Dann werden die Menschen auf die Straße gehen, den Krieg beenden – und die Islamische Republik endgültig stürzen. In meinen Augen ist die geeignetste Person, um in diesem Moment der Übergangsphase das Volk zu vertreten, freie Wahlen auf säkularer Basis zu ermöglichen und das Fundament für ein neues Iran zu legen: Reza Pahlavi, der Sohn des verstorbenen Schahs.

Behnam, Deutschland, 30 Jahre alt

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Verschleierte Frauen vor der Stadt Qom / picture alliance / NurPhoto | Morteza Nikoubazi

„Dieses neue Leid ruft alte Wunden wach“

Ich lebe in Teheran, der Hauptstadt des Iran. Und obwohl inzwischen fünf Tage seit dem Ausbruch des Krieges vergangen sind, habe ich mich an den Lärm noch immer nicht gewöhnt. Die Geräusche sind allgegenwärtig – bedrohlich, zersetzend. Ich höre sie, während ich arbeite, sie reißen mich aus dem Schlaf, sie jagen mich durch die Straßen, wenn wieder ein Einschlag in der Nähe gemeldet wird.

Und dennoch weiß ich: Das, was wir hier erleben, ist nur ein Schatten dessen, was die Menschen in Gaza durchmachen. Und doch ist es nah – erschreckend nah. Es ist das Echo vergangener Schrecken, das uns einholt. Ich sehe es besonders in den Augen meiner Eltern. Ihre Angst speist sich nicht allein aus dem Hier und Jetzt, sondern aus den Erinnerungen an den acht Jahre währenden Krieg gegen den Irak. An die Bomben und Leichen. Dieses neue Leid ruft alte Wunden wach. Ich sehe, wie sie vergleichen, wie sie warnen – und wie sie sich fürchten, dass sich die Geschichte wiederholt.

Ich selbst habe Teheran verlassen – meiner Eltern wegen, ihrer Sicherheit wegen. Doch mein Herz ist geblieben, bei meiner Stadt, bei meinen Freunden, bei all den Menschen, die ich liebe. Die Angst begleitet mich überall hin. Angst davor, dass nichts bleibt außer Ruinen. Angst um meine Familie, um all das, was einmal Heimat war. Ich versuche, stark zu bleiben – für sie. Doch ich weiß nicht, wie lange meine Kraft noch reicht. Krieg ist kein heroisches Schauspiel. Er kennt keine Helden, nur Opfer. Ich sehe keine Befreiung, keine Ehre – nur das Blut der Unschuldigen, die Stille nach der Explosion und die stumme Angst in den Augen der Kinder.

Ich sage das als jemand, der sein ganzes Leben lang das Mullah-Regime abgelehnt hat, es verachtet, sich gegen seine Unterdrückung aufgelehnt hat: Die Angriffe Israels werden von den meisten Menschen hier nicht unterstützt. Gerade jene, die für einen freien und demokratischen Iran kämpfen, sehen in diesem Krieg kein Mittel der Befreiung, sondern ein weiteres Verbrechen. Wir tragen keine Sympathie für eine Macht, die Bomben auf unsere Städte wirft und unsere Häuser in Flammen setzt. Es war Israels Verteidigungsminister Katz, der davon sprach, dass die Menschen in Teheran einen „hohen Preis zahlen“ werden müssen.

Wir werden auch jenen entgegentreten, die – fern von hier – versuchen, aus diesem Leid politisches Kapital zu schlagen. Reza Pahlavi spricht nicht in unserem Namen. Er repräsentiert nicht den Wunsch des Volkes, sondern missbraucht unser Leid, um eine Vergangenheit wiederzubeleben, die wir längst überwunden haben. Dieser Krieg wird kein Regime stürzen. Er stürzt nur Leben ins Verderben. Er ist kein Akt der Befreiung – sondern eine Absage an alles Menschliche. Denn wer Bomben wirft, erklärt nicht einem Staat den Krieg – sondern der Menschlichkeit.

Hiva, Teheran, 22 Jahre alt

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Zerstörtes Gebäude in Teheran / picture alliance/dpa/Iranian Red Crescent Society | Uncredited

„Seit Tagen weine ich“

Meine Eltern leben im Nordwesten Teherans. Dieser Tage schlug eine israelische Rakete unmittelbar hinter ihrem Haus ein, traf einen nahegelegenen Militärstützpunkt. Ich telefonierte mit meiner Mutter, während noch der Staub der Explosion in der Luft lag. Ihre Stimme zitterte, ihre Kleidung war von grauem Staub bedeckt – in ihren Augen: blankes Entsetzen. Es war ein Bild des Krieges. Die Angst meiner Eltern ist auch meine. Seit Tagen weine ich. Und mit jedem Gedanken, der zu ihnen zurückkehrt, brennt die Hilflosigkeit tiefer. Es ist ein schmerzhaftes, kaum auszuhaltendes Gefühl, den Menschen, die man liebt, aus der Ferne nicht beistehen zu können.

Nach der Grünen Bewegung von 2009 bin ich nach Deutschland gezogen – in der Hoffnung, endlich frei atmen zu können. Ich kam als Frau, die sich nicht länger vom islamischen Regime erniedrigen lassen wollte, einem System, das Frauen verachtet und sein eigenes Volk im Stich lässt.

Was man sich dieser Tage aus Teheran erzählt, erschüttert mich zutiefst: Während Raketen niedergehen und die Stadt in Angst versinkt, sind es nicht Krankenwagen, die durch die Straßen eilen – sondern die Sittenwächter, die wie gewohnt Frauen ohne Kopftuch verfolgen. Welche moralische Ordnung kann in einem Staat existieren, der junge Frauen wegen fehlender Verschleierung verhaftet, während Verletzte auf medizinische Hilfe warten? Ich sage es offen: Dieses Regime ist verbrecherisch. Hannah Arendt hatte recht – unfreie Systeme kennen nur eine Richtung: die des Verschließens. Ihre innere Logik ist die Angst vor Veränderung – und vor dem eigenen Volk.

In ihrer Verzweiflung setzen viele Iraner nun Hoffnung in jene, die ihre Peiniger von außen bekämpfen. So wie Deutschland 1945 durch die Alliierten von der nationalsozialistischen Herrschaft befreit wurde, glauben manche heute, dass nur der Druck von außen, sogar in Form von israelischen Raketen, das Mullah-Regime zu Fall bringen kann. Es ist eine bittere Hoffnung, geboren aus jahrzehntelanger Unterdrückung und immer wieder gescheiterten Aufständen.

Zara Forouq Kanaani, Berlin, 41 Jahre alt
 

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Thomas Veit | Do., 19. Juni 2025 - 12:59

"Was mir jedoch Angst macht: Wenn Israels Ziel allein die Zerstörung der Nuklearanlagen ist, könnten Israel und die USA bald keinen Grund mehr sehen, das Regime vollständig zu beseitigen"

Leider ist das auch meine Prognose..., Trump strebt einen bzw. 'den besten Deal aller Zeiten (very beautiful!!)' an..., und Israel will in erster Linie die militärische Potenz des Iran drastisch schrumpfen... Ist das erreicht werden beide sich zurückziehen. An einer 'D-Day Befreiung' des iranischen Volkes ist niemand (im Westen) wirklich interessiert. Das geht wohl nur von innen...

Sorry - Behnam.

Thomas Veit | Do., 19. Juni 2025 - 13:01

für diese beiden hervorragenden Artikel zum Thema - ungefilterte Einblicke aus erster Hand.

Sehr gut!

Hans Süßenguth-Großmann | Do., 19. Juni 2025 - 23:40

können gar keine weiteren Maßnahmen als Luftangriffe durchführen, für "boots on the ground" haben sie keine Mittel