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Hunger und Not in Syrien – eine Bevölkerung am Limit / dpa

Hungerkrise - Corona und Sanktionen richten Syrien zugrunde

Die Coronakrise trifft besonders die Länder, denen es ohnehin schlecht geht, wie etwa Syrien. Hilfsorganisationen warnen dort nun vor der größten Hungerkrise seit Kriegsbeginn. Hinzu kommen neue Sanktionen aus den USA. Wie lange wird die Bevölkerung noch durchhalten?

Autoreninfo

Ninve Ermagan (Foto privat) ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und Tochter assyrischer Christen. Die 21-jährige Studentin bloggt über den Nahen Osten und die Rolle der Frau in patriarchalen Kulturkreisen.

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Syriens Präsident Baschar al-Assad hat die Corona-Beschränkungen gelockert, auch weil die katastrophale Lage ihm keine andere Wahl gelassen hat. Trotzdem kam es durch Corona und die verschärften Sanktionen zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, einer gestiegenen Inflation und einer Versorgungsknappheit, die die Menschen letztlich in die bittere Armut treibt.

Finanzielle Unterstützung seitens der Regierung gibt es kaum. Der Wirtschafts- und Gesundheitssektor ist stark beschädigt. Jeder, der kann, versucht einen Vorrat an haltbaren Lebensmittel zu kaufen und auch die Versorgungsängste sind mittlerweile so groß, dass Syrer in die Dörfer ziehen, um sich zumindest von den Feldern dort ernähren zu können.

Hunger ist für die Syrer bedrohlicher als Corona

Es fehlen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Medikamente. Zudem mangelt es an Hygieneprodukten und Schutzmasken, um sich vor Corona schützen zu können. Syrien hat zurzeit etwas über 300 Infizierte und neun Tote. Sollte die Krankheit dort stärker ausbrechen, wird sie auf Grund fehlender medizinischer Kapazitäten nicht behandelt werden können.

Eine 25-jährige IT-Studentin aus der syrischen Küstenprovinz Latakia, berichtet über unerträgliche Lebensumstände: „Ich arbeite mit armen Menschen und obdachlosen Kindern zusammen. Ihre Zahlen sind seit der Pandemie stark angestiegen. Die Menschen verhungern und haben Existenzängste. Öl wird nur noch per Glas und Ghee per Löffel gekauft. Man denkt über jeden einzelnen Schritt nach. Wenn man jetzt in einen Laden geht oder ein Taxi nimmt, fragt man direkt nach dem Preis.“

Der Caesar Act – neue US-Sanktionen

Nach dem Caesar Act, dem neuen „Sanktionsgesetz“ der USA, sollen Personen und Firmen, die mit Syriens Regierung Geschäfte machen, bestraft werden. Die Folge daraus ist: Lebensmittel und Hygieneprodukte sind um ein Vielfaches preislich angestiegen. Selbst inländische Produkte wie Öl, Zucker und Brot sind schwer zugänglich geworden. Olivenöl kostet inzwischen 100.000, vor der Pandemie 35.000 Pfund. Dabei liegt der Durchschnittslohn eines syrischen Beamten bei etwa 50.000 Pfund im Monat, das sind rund 17 Dollar. 

Die Syrer verzichten jetzt auf ihre Zigaretten und den Tabak für ihre beliebte Shisha - gekauft wird nur noch das Allernötigste. Jetzt, wo die meisten Cafés geöffnet sind, hat keiner das Geld hinzugehen. Eine Cola kostete vor der Pandemie im Februar ungefähr 400 Pfund und nun liegt der Preis bei 1.200. Die Folge: Viele Restaurants schließen und Menschen verlieren ihre Existenz. 

Syrien hat einen gesellschaftlichen Tiefpunkt erreicht

Der politische Aktivist und Vorsitzende der assyrischen Hilfsorganisation „Syria Mother Cause“, Ahikar Issa, berichtet: „Unsere Situation war schon vor Corona schlecht, aber nun ist ein gesellschaftlicher Tiefpunkt erreicht. Und die Situation wird sich noch verschlimmern, denn derweil hat auch die Kriminalität deutlich zugenommen. Es kommt vermehrt zu Diebstählen, Morddelikten und zum Suizid, weil die Menschen verhungern und keinen anderen Ausweg sehen.“

Selbstverständlich tragen Korruption und Habgier auch zum Anstieg der Preise bei. Denn ein weiteres Problem stellen die Geschäftsmänner dar, die bereits vor Corona die Situation zu ihren Gunsten ausgenutzt und nun durch den Caesar Act und Corona eine gute Ausrede für ihr unmoralisches Handeln gefunden haben. 

Arbeit der Hilfsorganisationen wird unterbunden 

Die USA sehen es nun vor, künftig auch Firmen aus Drittstaaten zu bestrafen, die sich am Wiederaufbau in Syrien beteiligen. Damit möchte Washington das Assad-Regime zu Reformen zwingen, verlängert aber auch die Not der Bevölkerung in dem zerstörten Land. In einer Erklärung aus dem Weißen Haus hieß es, dass die Sanktionen auch regimetreue Geldgeber miteinschließt, die die Wiederaufbaubemühungen unterstützten.

Die Auswirkungen des neuen US-Sanktionspakets betreffen nicht nur Syrien, sondern auch den Libanon. Viele syrische Geschäftsleute erhalten von dort ihre Güter, doch nun steht dieses Land vor dem Staatsbankrott. Dazu gehörte der Import von wichtigen Produkten wie Erdöl, um so die internationalen Sanktionen zu umgehen.

Sanktionen erschweren die Arbeit von Hilfsorganisationen

Derweil beklagen Hilfsorganisationen, dass ihre Arbeit durch die in der Vergangenheit auferlegten Sanktionen gegen Syrien erschwert wurde. So wird beispielsweise als großer Kritikpunkt herangezogen, dass kein Geld aus dem Westen nach Syrien überwiesen werden kann. Demnach können aus dem Ausland lebende Verwandte nur über Umwege oder Mittelsleute ihre Familien unterstützen. Sie nutzen oftmals das inoffizielle Hawala-Finanzsystem. Simon Maksielyas, der Vorsitzende der humanitären Hilfsorganisation „Save Our Souls – 1915.de e.V.“ erklärt: „Wir müssen die Arbeit der Hilfsorganisationen vereinfachen.

Save Our Souls – 1915.de
Hilfslieferungen der Organisation „Save Our Souls – 1915.de e.V.“

Humanitäre Hilfe darf nicht durch Finanzblockaden verhindert werden. Die Bevölkerung zahlt den Preis für die internationalen Sanktionen. Hinzu kommt, dass bereitgestellte Hilfsgüter durch die Auswirkungen der Pandemie nicht oder erschwert eingeführt werden können.“ Aktuell sammeln sie mit ihren Partnern für verarmte Familien, um ihnen Lebensmittelrationen für die kommenden Monate zu sichern. „Wenn wir keine Unterstützung erhalten, steuert die internationale Gemeinschaft bewusst auf eine humanitäre Katastrophe zu,“ so Maksielyas.

Gerade Minderheiten sehen keinen Grund mehr zu bleiben

Die religiösen und ethnischen Minderheiten wie die Christen und Eziden, die in den letzten Jahren durch fundamental-islamistische Gruppen wie dem Islamischen Staat verfolgt und vertrieben wurden, trifft die aktuelle Situation besonders. Gerade die christliche Region am Khabour-Fluss wurde von den Terroristen eingenommen, geplündert und zerstört. Nach dem Rückzug des IS sollte der Wiederaufbau beginnen.

Durch die wirtschaftlichen Sanktionen wird das nun verhindert. Welch eine Ironie des Schicksals, dass gerade dort die einstigen Völkermordüberlebenden im Osmanischen Reich sich nach hundert Jahren wieder auf die Flucht begeben müssen. Das nimmt gerade den Minoritäten die Hoffnung, um noch weiterhin in Syrien zu bleiben. Unter diesen Umständen werden noch mehr christliche Assyrer und Armenier ebenso wie die Eziden versuchen, das Land zu verlassen. 

Die Regierung interessiert sich nicht für das Wohl ihres Volkes

Eins ist gewiss: Die 6,9 Milliarden Euro, die EU und UNO auf der Geberkonferenz am 30. Juni bereitstellten, werden Syriens Situation nicht grundlegend ändern. Die westlichen Sanktionen müssen überdacht werden, ein neues Konzept muss her, denn die Strafen treffen nicht die, die sie treffen sollten. Die jahrelangen Sanktionen gegen den Irak und die Sanktionen gegen Kuba zeigen doch immer das gleiche Muster: Die Regierung interessiert sich nicht für das Wohl ihres Volkes.
 

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Romuald Veselic | Mo., 6. Juli 2020 - 17:09

Diese Faktenlage ist erst nicht seit gestern bekannt. Was macht Deutschland mit ihrem vereidigten Außentandler Heiko M dafür/dagegen?
Wenn D den Hongkong Chinesen nicht helfen kann, wie soll es dann in Syrien funktionieren? Welche machbare Optionen liegen vor?
Die D-Politkamarilla sollte sich mehr dafür engagieren u. vor Ort mit persönlichem Beispiel vorangehen. Kriege sind für Klimarettung sehr nachteilig/kontraproduktiv.

Der damalige, deutsche Aussenminister durfte diesen Satz ungestraft nachplappern. Er musste nicht wegen erwiesener Inkompetenz deutsche Interessen öffentlich zu vertreten abtreten. Auch die aus deutscher Perspektive haarsträubende, geopolitische Dummheit hat ihn nicht disqualifiziert. Zu Syrien : nur Syrer können Syrien befrieden, notfalls auch aufteilen. In einem Land von ca. 20 Mio. hatte der Diktator nur ein Militär von ca. 150,000. Es haben sich nie genug Leute für oder gegen den Diktator gefunden um den Krieg im ersten Jahr zu beenden. Nur ein Drittel der geflüchteten Männer mit Heugabeln und Dreschflegeln hätte das Regime überrennen können. Auf der anderen Seite hätten kaum mehr als 100,000 für Assad die Kontrolle aufrechterhalten, und das endlose Blutvergiessen und die Zerstörung des Landes verhindern können. Sie wollten weder das eine noch das andere tun.

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 7. Juli 2020 - 13:23

Antwort auf von Bernhard K. Kopp

Medienberichterstattung den Eindruck bekam, hier kämpfe ein heroisches Volk gegen seinen Diktator.
Als ich dann merkte, dass auch evtl. Herr Erdogan in diesem Krieg "mitmischte", fragte ich mich dann doch einmal, wer da gegen wen kämpft.
Ich bin kein Nahostexperte, aber danach waren die Fronten für mich nicht mehr unbezweifelt Demokratie vs. Assadregime, eher Religionskrieg zwischen Alawiten ff. und Sunniten.
Die Sunniten sehe ich, vlt. fälschlich eher Richtung Saudi Arabien und frage mich deshalb, wie die Türkei auf die Idee kommen kann, zu ihren Gunsten, gegen Alawiten und Kurden in diese Auseinandersetzung einzugreifen.
Wenn evtl. wie in der Türkei, sich Moderne/Assad ff und Gottesstaat/Sunniten gegenüberstehen, werde ich nicht den Gottesstaat unterstützen, wohl aber eine Teilung Syriens, denn mit "Gottesstaatlern" ist evtl. nicht gut Kirschen essen in einem gemeinsamen Staat.
Leider will Assad die territoriale Unversehrtheit Syriens und verlängert Bürgerkrieg und Diktat?

zwischen einem Major der FSA also Gegner Assads und Herrn Scholl-Latour aus dem Buch "Der Fluch der bösen Tat". Ich zitiere " man glaubt der Aufstand in Deraa an der Grenze zu Jordanien sei spontan ausgebrochen, er (der Major) könne jedoch bezeugen, dass der Aufruhr nicht ganz spontan ausgebrochen war. Er selbst wurde schon ein Jahr zuvor von jordanischen und getarnten amerikanischen Agenten kontaktiert. Unter Zusicherung finanzieller Vorteile wollten sie ihn dazu ermutigen sich einer umstürzlerischen "Freien Syrischen Armee" anzuschließen. Dank massiver Finanzierung durch SA und Quatar aber unter der Regie der CIA habe die Aufrüstung der Rebellen mit modernem Kriegsgerät stattgefunden. Ein internationales Komplott sei damals zweifellos gegen das Baath-Regime von Damaskus geschmiedet worden."

und dem Stichwort "Syrienkrieg" bei YT. Der ehemalige französische Aussenminister macht 2 Jahre nach Beginn des Krieges vor laufenden Kameras eine Aussage, die Ihre Angaben bestätigen.
Darüber hat es auch eine guten Artikel im "Guardian" gegeben. In deutschen Medien sucht man das vergeblich.

hat es öffentlich gemacht "7 Länder in 5 Jahren" man schaue sich nur mal die Realität an und vergleiche sie mit dem Plan. Wie sieht es aus in Libyen, Libanon, Somalia, Irak, Afghanistan und als Abschluss steht noch der Iran auf der Abschussliste. Die 5 Jahre konnten nicht gehalten werden weil der böse Russe sich eingemischt hat.

Alexander Mazurek | Mo., 6. Juli 2020 - 17:43

... ist Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, sondern insbesondere auch die Sanktionen. Deren Opfer werden uns gerne als Opfer der "Regime" verkauft, die nicht einknicken. Es geht um Interessen, nicht um die Moral. Bis zum Äußersten.

Dirk Weller | Di., 7. Juli 2020 - 09:06

aber die dummen kapieren es NIE.

Ein Zitat von Egon Bahr :

"In der internationalen Politik geht es NIE um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt."
- - - - -
Der Westen/USA opfert die Zivilbevölkerung in Syrien, um angeblich Menschenrechte durchzusetzen.
Gleichzeitig wirft man Russland die Missachtung der Menschenrechte vor.
Eine ekelhafte und schizophrene "Politik" des Westens/USA !!

Ernst-Günther Konrad | Di., 7. Juli 2020 - 09:25

Was schlagen Sie vor Frau Ermagan? Es müsste alles neu überdacht werden? Herr Maas soll das überdenken oder die EU oder die Weltgemeinschaft? Ich bezweifele Ihre Angaben an keiner Stelle. Was will denn aber das syrische Volk eigentlich? Mehrheitlich Assad oder etwas neues? Warum sind die vielen junge Männer aus Syrien als Fachkräfte avisiert hier bei uns und nicht in ihrem Land, um es entweder zu befreien oder aufzubauen? Will man Assad weg haben, darf er keinerlei Mittel in die Hand bekommen, Waffen zu kaufen oder seine eigenen Soldaten zu ernähren.
Das ist Sinn und Zweck von Sanktionen. Klingt zynisch ist aber eben Kriegsrealität. Natürlich leidet darunter automatisch die zivile Bevölkerung.

Juliana Keppelen | Di., 7. Juli 2020 - 11:22

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

Die Frage ist doch wer und warum will man Assad weghaben? Und warum ist Herr Assad der vorher doch von den guten Demokraten auch leicht hofiert und benutzt wurde plötzlich in Ungnade gefallen? Denn unter den ganzen Despoten im nahen und mittleren Osten hatten die Syrer eine eher gemäßigte Diktatur die versuchte mit eiserner Hand die verschiedenen Regionen und Ethien unter einen Hut zu bringen.

AliceFriedrich | Di., 7. Juli 2020 - 14:18

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

haben nichts Wesentliches , außer Not und Elend für die Bevölkerung , bewirkt, rein gar nichts. Auch wenn sie verschärft wurden. Mit ihrer Abschaffung hingegen hat man ein Pfand in der Hand, mit dem man in Verhandlungen moderate Forderungen durchbringen kann, denn natürlich sind sie unbequem und piesacken...allerdings in erster Linie die Bevölkerung.WER will Assad eigentlich "weg haben"? Es wäre für die verschiedenen Geheimdienste eine Leichtigkeit, ihn auszuschalten. Dass sein Palast durch Bomben in Schutt und Asche gelegt worden sei, ist mir auch nicht bekannt. Wäre Assad weg, wüchse ein anderer Kopf aus dem weitverzweigten Clan nach, ist so ein bisschen wie die Geschichte mit der Hydra und ihren Köpfen.

gabriele bondzio | Di., 7. Juli 2020 - 11:36

5 Fingern abzählen, dass Corona in Ländern mit einem niedrigen Lebensstandart weit mehr Verwüstungen in der Bevölkerung anrichtet, da es hier kaum ein funktionierendes Gesundheitssystem gibt. Besonders in den ärmeren Schichten, stellt sich eine andere Frage nach jahrelangen Krieg und Verwüstung.Sterbe ich am Virus, Hunger bzw. anderen Mangelkrankheiten.
Den Meisten, welche hier betroffen sind, dürften ja auch die Mittel für eine Flucht fehlen.Und wo die Ausweglosigkeit den Alltag beherrscht.Ist es nicht weit zu Diebstählen, Morddelikten und zum Suizid.
Die Auswirkungen des neuen US-Sanktionspakets verschärft die Lage weiter. Die, welche es treffen soll, haben jedoch einen längeren Atem.

jwe | Mi., 8. Juli 2020 - 14:07

Mich wundert, das das syrische Volk nicht schon komplett nach Merkelland ausgewandert. Denn Merkels Einladung aus 2015 gilt doch nach wie vor und wurde nie widerrufen. Es galt doch für alle Araber: "Alle dürfen kommen, niemand wird abgewiesen, alle dürfen bleiben!" Deshalb sagten doch Iraker im Fernsehen: "Die Deutschen wollen das wir kommen, die bauen sogar schon Häuser fur uns. Wir gehen bald alle nach Deutschland!"