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Nach Camerons Wahlsieg - Treten die Briten nun aus der EU aus?

David Cameron hat seine Partei bei den britischen Unterhauswahlen zu einer klaren Mehrheit geführt. Jetzt wird der Chef der konservativen Tory-Partei ein EU-Referendum abhalten müssen. Die Gefahr eines „Brexit“ ist damit gestiegen

Tessa Szyszkowitz

Autoreninfo

Tessa Szyszkowitz ist Londoner Korrespondentin des österreichischen Wochenmagazins Profil. Im September 2018 erschien „Echte Engländer – Britannien und der Brexit“. Foto: Alex Schlacher

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„Das ist der süßeste Sieg aller Zeiten“, rief David Cameron am frühen Morgen in der Parteizentrale der konservativen Tory-Partei. Fürwahr: Der 48-jährige britische Premierminister hat triumphal gesiegt. Ein an sich schon viel zu oft verwendeter Songtitel gewann am Freitag in Großbritannien neue Bedeutung: „The winner takes it all“. Entgegen aller Umfragen kehrt David Cameron nicht nur nach 10 Downing Street für eine zweite Amtszeit zurück. Seine Partei erreichte 331 der 650 Sitze im Unterhaus. Eine klare Mehrheit geführt, die es ihm in den kommenden fünf Jahren erlaubt, ohne Koalitionspartner zu regieren.

Auf dem Schlachtfeld blieben fast alle seiner Herausforderer zurück: Ed Miliband, der glücklose Chef der Labour-Partei, trat am Mittag zurück. Seine Partei errang nur 232 Mandate (minus 26). Auch Nick Clegg, Chef der Liberaldemokraten und in den vergangenen fünf Jahren Camerons kleiner Koalitionspartner, legte den Vorsitz der Partei zurück. Clegg musste die Verantwortung für die Dezimierung seiner Abgeordneten von 57 auf 8 übernehmen. Auch Nigel Farage, der charismatische Führer der xenophoben, EU-feindlichen UKIP-Partei verlor am Freitag Haus und Hof. Sein Sitz ging an die Konservativen. Er hatte versprochen, in diesem Falle auch den Parteivorsitz zurückzulegen. Am Ende hatte UKIP 13 Prozent der Stimmen, aber dank des Mehrheitswahlsystems nur ein Mandat gewonnen.

David Camerons Konservative dagegen räumten ab. Das Votum ist eine Bestätigung seiner bisherigen Arbeit und ein Mandat für dessen Fortsetzung: Eine Mehrheit der Briten sprach den Tories die Kompetenz zu, die Wirtschaft in Schwung gebracht zu haben. Dass dies mittels eines schmerzhaften Sparprogramms geschah, nahmen die Wähler den Konservativen offenbar nicht übel. Im Gegenteil. Sie bedankten sich noch bei ihrem Premierminister mit dem Auftrag für eine Alleinregierung.

Mehrheitswahlsystem wird wohl nicht mehr reformiert


Im Vorfeld des Urnengangs wurde geunkt, dass mit dem Aufstieg der schottischen Nationalisten und UKIP das Ende des britischen „First-past-the-post“-Systems bevorstünde. Dieses Prinzip, bei dem nur einer pro Wahlkreis gewinnen kann und der Rest der Stimmen verfällt, hatte seit 130 Jahren fast immer einer Partei eine Mehrheit besorgt. Doch „First-past-the-post“ schien nicht mehr zu funktionieren: Anhand der Meinungsumfragen hatte man noch vor dieser Wahl vermutet, dass nicht einmal eine Zwei-Parteien-Koalition aus Tories und Liberademokraten genügend Stimmen für eine absolute Mehrheit hätte. Cameron hat dies nun wieder zurechtgerückt. Eine Reform des Mehrheitswahlsystems scheint unwahrscheinlicher denn je.

Der Erfolg der schottischen Nationalisten unter der energetischen Sympathieträgerin Nicola Sturgeon wird eine Herausforderung für Cameron darstellen. Die SNP hat ihre Mandate fast verzehnfacht: von 6 auf 56 Sitze. Ihre Forderungen nach mehr Autonomie für Schottland bis hin zu einem neuen Unabhängigkeitsreferendum wird Cameron unter Zugzwang bringen, auch England innerhalb der Union zu stärken. Er wird sowohl Schottland als auch England das Recht geben müssen, die Höhe der Einkommensteuern selbst festzusetzen. All das wird am Gerüst des Vereinigten Königreichs rütteln.

Für die Partner auf dem europäischen Kontinent ist vor allem aber ein Ergebnis dieser Wahlen von Bedeutung: Camerons Entscheidung, den Briten ein Referendum über den Verbleib in oder den Ausstieg aus der Europäischen Union zu versprechen, war offenbar richtig. Damit steigt nun aber auch die Gefahr eines Brexit – dem Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union.

Die EU spielte zwar im Wahlkampf keine besonders große Rolle – Europa rangierte auf der Prioritätenliste der Briten weit hinter Wirtschaft, Immigration und Gesundheitsversorgung. Doch nach diesem Sieg wird Cameron sein Wahlversprechen über ein In-Out-Referendum bis zum Jahr 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit umsetzen.

„Die EU muss Cameron irgendetwas geben“


„Auch EU-Befürworter werden sich jetzt eindeutig für ein Referendum aussprechen, um die Frage ein für allemal zu klären“, meinte Tony Travers, Politologie-Professor an der London School of Economics im Gespräch mit Cicero spät in der Wahlnacht. Travers ist „optimistisch, dass eine Mehrheit für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union stimmt. Immerhin gibt es genug historische und wirtschaftliche Gründe, warum die EU existiert und warum Großbritannien darin Mitglied ist.“

Die Wirtschaftselite des Landes ist ebenso für den Verbleib in der EU wie die Labour-Partei und große Teile der Konservativen. Alle gemeinsam müssten eine Mehrheit der Bevölkerung überzeugen können, der EU nicht den Rücken zu kehren. Cameron selbst ist für den Verbleib in der EU – allerdings nur, wenn sie reformiert wird. „Die EU muss David Cameron halt irgendetwas geben, das er als Erfolg verkaufen kann“, meint Travers.

Das wird nicht ganz leicht sein. Großbritannien hat in der Vergangenheit bereits alle denkbaren Sonderregelungen bekommen. Margaret Thatcher bekam 1984 den „Rebate“ zugestanden. Damals gingen 80 Prozent des EU-Budgets an landwirtschaftliche Zuschüsse. Da Großbritannien davon weit weniger profitierte als etwa Frankreich, handelte Thatcher damals eine teilweise Rückerstattung der britischen Zahlungen aus. Heute macht der „Rebate“ knapp vier Millliarden Euro jährlich aus. Dabei ist der Prozentsatz des EU-Budgets, der für die Landwirtschaft ausgegeben wird, inzwischen auf etwa 40 Prozent geschrumpft. Die Briten denken selbstverständlich nicht daran, ihren Rebate deswegen aufzugeben.

Migration verhindern


Welche Reformen David Cameron nun von der EU verlangt, ist immer noch unklar – vielleicht hält der Tory-Chef dies mit Absicht so. Schließlich will er sich den Rücken von seinen europafeindlichen Hinterbänklern in der eigenen Partei freihalten. Und auch gegenüber den EU-Chefs wäre eine zu genaue Festlegung vor Beginn der Verhandlungen kein Vorteil.

Auf Camerons Einkaufsliste für mögliche Zugeständnisse an Großbritannien stehen unter anderem: Neue Regelungen, um „riesige Migration“ zu verhindern. Zentral dabei ist Camerons Forderung nach einer Kürzung der Sozialleistungen für Migranten. Da könnte Angela Merkel mit Cameron an einem Strang ziehen. Man bräuchte dafür auch keine Änderung der EU-Verträge.

Außerdem möchte Cameron die nationalen Parlamente stärken und keinesfalls weitere Schritte in Richtung einer politischen Union mittragen müssen. Dafür hat zwar zur Zeit auch sonst kaum jemand in der EU die Kraft. Cameron könnte aber vorsorglich ein Sonderprotokoll aushandeln, in dem festgelegt wird, dass Großbritannien nicht zur politischen Union gezwungen werden kann. Vorlagen für ein derartiges „Opt-out“ gibt es ja bereits: Die Briten sind weder Mitglied des Euro, der gemeinsamen Währung, noch der grenzfreien Schengen-Zone.

Am Tag nach den Wahlen selbst spielte Europa kaum eine Rolle. Das Erstaunen über Camerons Sieg dominierte. Die Frage, wie er die Mühen der Ebene angehen wird, wurde vertagt.

Europafreunde harsch abgestraft


Die Europafreunde sind jedenfalls von den britischen Wählern harsch abgestraft worden. Die Liberaldemokraten, die einzig wahre pro-europäische Partei, verlor fast alle Mandate. Die Strategie von Ed Miliband, sich gegen ein EU-Referendum auszusprechen, machte sich nicht bezahlt. Allerdings dürfte der Misserfolg der Liberaldemokraten und der Labour-Partei wenig mit dem Thema EU zu tun haben. Die Liberaldemokraten haben als kleiner Koalitionspartner ihr Protestpotenzial verloren und die Sozialdemokraten unter „Red Ed“ Miliband konnten die Wähler einfach nicht davon überzeugen, dass sie die wirtschaftliche Kompetenz haben, besser als die Tories zu regieren.

Eine Indikation dafür, wie wenig das EU-Thema bei diesen Wahlen mobilisieren konnte, ist auch der relative Misserfolg der EU-feindlichen, xenophoben UKIP-Partei. Die United Kingdom Independence Party errang dreizehn Prozent der Stimmen und lag damit unter den Erwartungen. Dank des „First-past-the-post“-Mehrheitswahlsystems gewann UKIP am Ende nur ein Mandat – und zwar das eines Tory-Überläufers.

Selbst der charismatische Parteiführer Nigel Farage verlor sein Mandat an die Konservativen. „Persönlich fühle ich mich erleichtert und ich war noch nie glücklicher!“, rief er etwas zu vergnügt, um authentisch zu wirken. Farage war für den Erfolg seiner Partei ein zentraler Faktor. Dem europafeindlichen Lager fehlt damit erst einmal der Kopf.

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