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Griechenland - Die Syriza-Revolution ist gescheitert

Mit ihrem Referendum gegen die Sparauflagen aus Brüssel hat die griechische Regierung versucht, ihre Revolte gegen die Institutionen in die Mitte Europas zu tragen. Dieser Versuch dürfte aber missglückt sein. Die wahre Revolution findet jetzt in Brüssel statt

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Kann, sollte oder muss man Alexis Tsipras eigentlich zu „seinem“ Sieg im gestrigen Referendum gratulieren? Ich fürchte nein, denn die Abstimmung hat zwar stattgefunden, aber sie ist trotzdem gescheitert – und zwar inhaltlich wie formal. Formal war sie ohnehin nicht zu gewinnen, denn was da zur Wahl stand, stand ja eben genau nicht zur Wahl: nämlich der letzte (und nicht mehr gültige) Vorschlag von EU-Kommission, EZB und IWF im Schuldenstreit mit Griechenland. Aber da Formalismen und Förmlichkeit in dieser Angelegenheit schon lange nichts mehr gelten, kommen ohnehin nur noch inhaltliche Aspekte in Betracht. Worin jedoch besteht dieser Inhalt?

Da gibt es mehrere Antworten. Den rund 60 Prozent der griechischen Nein-Wähler dürfte es in erster Linie darum gegangen sein, ihre Unzufriedenheit mit der Vorgehensweise der „Institutionen“ zum Ausdruck zu bringen. Dass deren Politik in Griechenland unbeliebt ist, war allerdings schon vorher bekannt; sonst wäre Syriza im Januar ja nicht an die Macht gekommen. Das vordergründige Angebot dieser linksextremen Sammlungsbewegung ans eigene Volk bestand also wohl eher darin, über den Erlass von Schulden abzustimmen, die Griechenland selbst, durchaus freiwillig übrigens, bei anderen aufgenommen hat. Und da wird sich jetzt erst einmal zeigen müssen, ob sich in einer Wirtschafts- und Währungsunion finanzielle Verbindlichkeiten dieser Art einfach abwählen lassen. Meine Prognose lautet: eher nicht. Und ich vermute, das ist auch Tsipras und seinen Hintersassen durchaus bewusst.

Denn wenn ihnen tatsächlich daran gelegen gewesen wäre, die Verhandlungen auch nur halbwegs konstruktiv fortzusetzen, hätten sie in der vergangenen Woche einen anderen Wahlkampf geführt. Oder glauben die wirklich, man könne sich jetzt mit frischem Rückenwind von der eigenen Bevölkerung zurück an den Brüsseler Verhandlungstisch setzen und mit Leuten wie Wolfgang Schäuble den Gesprächsfaden wieder aufnehmen, der während der vergangenen Woche von Syriza landesweit als die Inkarnation des Bösen plakatiert wurde? Oder mit Gläubigern, die aus den Reihen der griechischen Regierung als Terroristen beschimpft wurden? Nein, auch die Leidensfähigkeit und die Langmut der Verhandlungspartner sind irgendwann erschöpft. Und zwar spätestens jetzt. Alexis Tsipras weiß das ganz genau, so naiv ist er nicht.

Das eigentliche Ziel: europäische Institutionen abschaffen
 

Kommen wir also zum eigentlichen Kern dieses seltsamen Referendums. In Wirklichkeit – und das tritt inzwischen immer deutlicher zutage – war es ein Versuch der griechischen Regierungsmannschaft, die Revolution vom Rand Europas in dessen Mitte zu tragen. Es geht ihr eben längst nicht nur um irgendwelche Schuldenschnitte in eigener Sache. Sondern darum, die europäischen Institutionen (und zwar nicht nur in Form der Troika) zu diskreditieren und abzuschaffen. Das ist aus der entsprechenden Weltsicht natürlich allemal einen Versuch wert. Als problematisch erweist sich allerdings, dass der revolutionäre Funke nicht so recht überspringen will.

Es mag ja sein, dass es etlichen Feuilletonisten in ganz Europa angesichts des Referendums jetzt ganz warm ums Herz wird und ihnen „die kommende Revolte“ wie ein Silberstreif am Horizont erscheint. Aber mal ganz ehrlich: Spontane Großkundgebungen zur Feier des griechischen Abstimmungsergebnisses waren in den anderen europäischen Metropolen doch eher die Seltenheit. Wenn die türkische Nationalmannschaft gewinnt, ist in Neukölln oder in Kreuzberg jedenfalls deutlich mehr los auf den Straßen. Vielleicht liegt das ja auch nur daran, dass der revolutionäre Furor von Tsipras und seinen Leuten bisher über das Niveau einer präpotenten Großmäuligkeit nicht herauskam. Es wurden ja, Gott sei Dank, keine Oligarchen auf dem Syntagma-Platz guillotiniert, und auch der Rest der griechischen Kleptokraten-Elite läuft bis heute relativ ungeschoren in der Gegend herum – mit Vorliebe übrigens in London, New York oder in Gstaad.

Da hilft es auch nicht, dass der inzwischen als Finanzminister zurückgetretene Giannis Varoufakis gestern Abend noch den Völkern Europas seine, wie er es nannte, „helfende Hand“ entgegenstrecken wollte. Diese hat er ja jetzt wohl zurückgezogen; vielleicht auch, weil er feststellen musste, dass niemand sie entgegennehmen wollte. Und mit Motorradstiefeln auf einer Yamaha XJR 1300 ins Ministerium zu fahren, auch das war für sich genommen noch kein wirklich aufrührerischer Akt. Revolutionäre dieses Kalibers hätte Mao sich allenfalls zum Frühstück in seine Nudelsuppe gekrümelt.

Die wirklichen Revolutionäre sind jetzt in Brüssel und in den anderen Hauptstädten der Eurozone gefragt. Sie müssen nun wahrhaft neue Wege beschreiten und den Versuch unternehmen, Athen möglichst geschmeidig aus der gemeinsamen Währung heraus zu komplementieren. Denn wie heißt noch gleich jener angeblich bei Victor Hugo entliehene Poesiealbumsspruch der Revolutionäre dieser Welt: „Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Und dieser Zeitpunkt ist jetzt.

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