Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

Demokratie - Die unehrliche Pflege des griechischen Mythos

In Griechenland entscheidet bald das Volk über den Verbleib in der Eurozone. Syriza empfiehlt den Austritt. Warum dieser Akt der Volksbeteiligung sehr gut in die Strategie der Regierung passt, erklärt Judith Hart

Autoreninfo

Judith Hart ist Ressortleiterin Weltbühne bei Cicero

So erreichen Sie Judith Hart:

Natürlich durfte die übliche Suada von der „unerträglichen Zumutung an das griechische Volk“ nicht fehlen, bevor Griechenlands Finanzminister Giannis Varoufakis am Freitagnachmittag den Verhandlungen mit der Eurogruppe den Rücken kehrte. Dieses Mal hatte sich die Syriza-Regierung einen besonderen Clou ausgedacht, der allerdings bei allen anderen Finanzministern den Geduldsfaden reißen ließ: Man werde per Referendum über das Angebot abstimmen lassen, das Griechenland – als Gegenleistung für längst fällige Reformen – angeboten wurde. Das passte in die Strategie der Selbststilisierung Griechenlands als Wiege der Demokratie und als Dornenkronenträgerin aller unter dem Kreuz deutscher Austeritätspolitik leidenden Europäer: Hier bei uns stimmt, in alter Tradition, demos, das Volk ab. Ihr da in der Europäischen Union hingegen seid ein demokratisch nicht legitimierter Haufen sturrköpfiger Beamter, die auf „Regeln“ bestehen.

Diese romantische Selbstverklärung ist nur mit einem weiteren Wort aus dem (Alt-) Griechischen zu bezeichnen: Sie ist reiner Mythos. 

Die Wiege der Demokratie galt schon den Römern als zerfallen
 

Beginnen wir bei der Ursaga: Ja, Griechenland hat „uns“, das Abendland, gegen die „orientalische Despotie“ Persiens verteidigt. Ja, und es waren die alten Griechen, die die Idee von der „Herrschaft des Volkes“, der „Demokratia“ hatten. Wobei zum „Volk“ selbstverständlich nur Männer, aber weder Sklaven noch Frauen gehörten. Die wesentlichen Beigaben aber kamen erst später hinzu: Die Idee der Herrschaft des Rechts (dank der Römer), der Trennung von Staat und Kirche (im katholischen Mittelalter angelegt und durch die Emanzipation fortgesetzt), die unveräußerlichen Rechte des Individuums (schottische Aufklärer, Thomas Jefferson), die Gewaltenteilung und das System der „checks and balances“ (amerikanische Revolution). Macht nichts, dass die „Wiege der Demokratie“ schon zu Zeiten der Römer als „dem orientalischen Despotismus“ verfallen galt. Mit ihrem Unabhängigkeitskampf gegen die Osmanen Mitte des 19. Jahrhunderts konnten sie sich wiederum zu Freiheitskämpfern im Namen des demokratischen (westlichen) Projekts stilisieren – mit tätiger Mithilfe europäischer Romantiker.

Diese Verklärung, dieser Rückzug auf vergangene – und historisch ohnehin eher zweifelhafte – Verdienste machen einen nüchternen Blick auf das eigene Staatswesen und damit eine Einigung im Streit um Schulden und Reformen so schwer. Das Griechenland von heute hat nichts, aber auch rein gar nichts mehr mit der – ohnehin stilisierten – Republik Athen oder dem disziplinierten Sparta zu tun. Es ist ein Land, das sich nicht intensiv mit den historischen Bürden auseinandergesetzt hat, die die lange Herrschaft eines osmanischen Imperiums hinterlassen hat. Längst hat Griechenland den Anschluss an die europäische Moderne verloren. Unaufgearbeitet geblieben sind auch die Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs (in dem es Opfer war), des Bürgerkriegs nach 1944, der Tausenden das Leben kostete, oder der zwischen 1967 und 1974 andauernden Militärdiktatur. Seine Gesellschaft hat – auch aufgrund seiner Historie – nie verantwortungsvolle Eliten hervorgebracht, sondern eine über Jahrhunderte ungebrochene Oligarchenstruktur.

Syriza hält nichts von Demokratie
 

Wie verantwortungslos diese Elite ist, das zeigt sich an der mangelhaften Steuermoral reicher Griechen. Das zeigt sich auch im Regierungsstil einer linken Partei wie Syriza, die von sich behauptet, dem Oligarchentum zu Leibe zu rücken und die „wahre Demokratie“ zu verkörpern. Bis heute hat Syriza es nicht geschafft, die von Brüssel (also den „herzlosen Beamten“) vorgeschlagene Besteuerung der Reichen durchzusetzen. Das Referendum, das die Partei nun vorschlägt, ist alles andere als ein ehrlich gemeintes Mittel, den Volkswillen abzufragen. Weil die Regierung selbst schon eine Empfehlung gibt – nämlich das Reformpaket abzulehnen. Weil dieses Reformpaket de jure schon gar nicht mehr auf dem Tisch liegt. Weil Tsipras weder den Mut hat, seinem Volk zu sagen, dass es hier um eine Abstimmung über den Verbleib im Euro geht, noch, seinen Regierungsauftrag wahrzunehmen und eine Entscheidung zu treffen (wie das in einer repräsentativen Demokratie üblich ist).

Ehrlich ist die Regierung auch nicht, weil sie mit dem überfallartigen Vorschlag eines Referendums – und damit der absehbaren faktischen Beendigung der Verhandlungen – bewiesen hat: Sie hält nichts vom Kernelement der Demokratie, der Suche nach auf Kompromiss basierenden Lösungen. Solidarität – beispielsweise mit den Ländern, die harte Reformen begonnen und auch erfolgreich durchgesetzt haben – ist ihr Schnuppe. Diese Regierung will offensichtlich keine ökonomische Lösung, sondern ein politisches Zugeständnis, weil Griechenland von allen überschuldeten Ländern am meisten leide und deshalb die größte Nachsicht gebühre. Mit „Demokratie“ hat das nichts mehr zu tun. Es geht um nichts weiter als die Pflege des alten Mythos.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.