
- Der wahre Gewinner von Singapur
In der Absichtserklärung nach dem gemeinsamen Gipfeltreffen machen die USA weitreichende Zugeständnisse an Nordkorea. Doch davon profitieren vor allem China und sein Präsident Xi Jinping. Nun wird das Land seinen Einfluss in Ostasien ausbauen
In seinen kühnsten Träumen hätte sich der chinesische Präsident Xi Jinping keinen besseren Ausgang des Gipfeltreffens von US-Präsident Donald Trump mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un vorstellen können – zumindest nicht, was Chinas Interessen betrifft. Die mit Abstand größten Zugeständnisse in den Verhandlungen in Singapur kamen vom amerikanischen Präsidenten Trump. Auf der Pressekonferenz nach dem Gipfel erklärte er seine Bereitschaft, gemeinsame militärische Übungen mit südkoreanischen Truppen einzufrieren und deutete sogar einen möglichen Abzug der amerikanischen Truppen an.
Monatelang beschrieb die amerikanische Regierung ein Aussetzen der Truppenübungen als nicht verhandelbar. Dann aber machte sich Trump Nordkoreas Ansichten zu eigen und erklärte, dass die gemeinsamen militärischen Übungen „sehr provokativ“ für Nordkorea seien. Die künftige Aussetzung der Übungen könnte den USA „eine enorme Summe Geld sparen“. China schlug einen Verzicht auf militärische Übungen bereits im Vorfeld des Gipfels vor. Es brachte die sogenannte „doppelte Suspendierung“ ins Spiel, bei der Nordkorea die Atom- und Raketentests und Südkorea und die USA die militärischen Übungen aussetzen. Während der Pressekonferenz des chinesischen Außenministeriums nach dem Gipfeltreffen sah China diese „doppelte Suspendierung“ durch Trumps Ankündigung als bestätigt an.
Schlüsselfigur mit Macht auf beiden Seiten
Noch weitreichender ist allerdings Trumps Vorschlag, die circa 30.000 US-amerikanischen Soldaten in Südkorea abzuziehen: „Ich möchte unsere Soldaten nach Hause bringen.“ Das kommt einem langgehegten Wunsch Chinas entgegen. Im Oktober 1950 hatte China die sogenannte Volksfreiwilligenarmee (VFA) in den Koreakrieg geschickt. Die VFA sollte eine dauerhafte Präsenz amerikanischer Truppen auf der koreanischen Halbinsel verhindern. Insgesamt opferte die chinesische Regierung für dieses Ziel fast eine Million chinesischer Soldaten. Dennoch musste China die Teilung Koreas hinnehmen. Seither leistet Peking wesentliche Unterstützung für Nordkorea. Es soll unter allen Umständen verhindert werden, dass je amerikanische Truppen an der chinesischen Grenzlinie am Yalu Fluss stehen.
Mit dem Gipfeltreffen hat Trump nicht nur das nordkoreanische Regime legitimiert. Vor allem hat er damit einen Prozess eingeleitet, der Peking langfristig als Schlüsselfigur mit großem Einfluss auf beiden Seiten etabliert hat. Noch vor wenigen Monaten war die Beziehung zwischen Peking und Pjöngjang schlecht. Die Raketentests und die verbalen Auseinandersetzungen zwischen Kim und Trump wurden als gefährliche Destabilisierung betrachtet. Aber bei den beiden Treffen zwischen Xi Jinping und Kim Jong-un im Vorfeld des Gipfel wurde beschlossen, die Konflikte der Vergangenheit zu überwinden und pragmatisch nach Vorne zu schauen. China begrüßt und unterstützt Kims Bereitschaft zu Reformen und zur Öffnung Nordkoreas.
China als Vorbild für Korea
Eine solche Politik folgt dem Vorbild der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik unter Deng Xiaoping vor vierzig Jahren. In China ist die politische Führung davon überzeugt, dass die Fortsetzung der bisherigen Isolation und Konfrontation unweigerlich den Zusammenbruch des nordkoreanischen Regimes nach sich ziehen würde. Allein das einzigartige chinesische Modell von wirtschaftlicher Öffnung und sozialistischer Einparteienherrschaft bietet einen Ausweg. Deswegen steht das Land bereit, erhebliche Investitionen in Nordkorea zu tätigen. Es wird die marode Infrastruktur sanieren, Hochgeschwindigkeitszüge liefern, die nordkoreanische Wirtschaft modernisieren und industrielle Anlagen zum Export in den Westen errichten. Auch bei der koreanischen Wiedervereinigung möchte Peking helfen. Denn unter dem Slogan „Ein Land, zwei Systeme“ wird innerhalb der Volksrepublik China der Sozialismus aufrechterhalten, während Hongkong und Macao ihr kapitalistisches System beibehalten dürfen. Das soll auch auf Korea angewendet werden.
Für China ist der Ausgang des Gipfeltreffens ein unverhoffter strategischer Glücksfall. Nordkorea hat keine spezifischen Verpflichtungen bezüglich des Abbaus seines Atomprogramms zugesagt. In der gemeinsamen Erklärung bekräftigte Kim „seine feste und unbeirrte Verpflichtung, die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel abzuschließen“ – ein Hinweis auf frühere Abkommen, die bis 1992 zurückreichen, aber bisher nicht umgesetzt wurde. China wird aber ohne Zweifel seinen Einfluss dahingehend geltend machen, dass die von Kim Jong-un gemachten Zusagen eingehalten und umgesetzt werden.
Nordkorea ist auf Hilfe angewiesen
China und Nordkorea haben ihre Strategie koordiniert und nun – dank Trump – ihr gewünschtes Gipfelergebnis erreicht. In der Zwischenzeit riskiert Trump durch seine Zugeständnisse, Verbündete wie Japan zu entfremden, die strategische Position der USA in Ostasien zu untergraben und Chinas bevorzugten strategischen Rahmen zu unterstützen. Das Erodieren des Vertrauens in US-Allianzen ist ein Schlüsselgewinn für Xi Jinping. Wenn Pekings strategisches Ziel darin besteht, Amerikas Ansehen in der Region zu schwächen, hat Trump dafür ein gutes Stück Arbeit geleistet. Zudem liefert China das vermutlich weltweit einzige Vorbild, nach dem Nordkorea einen politischen System- oder Machtwechsel bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Modernisierung vermeiden kann. Nordkorea ist jetzt mehr als je zuvor auf chinesische Unterstützung angewiesen.