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Front National - Frankreich ist das Problem

Die politische Klasse Frankreichs steht dem Front National ratlos gegenüber. Statt sich zu wehren, demontieren sich die traditionellen Parteien weiter munter selbst. In einem der Gründungsländer der Union stehen die proeuropäischen Kräfte mit dem Rücken zur Wand

Autoreninfo

Simon Marti hat in Bern Geschichte und Politikwissenschaft studiert und die Ringier Journalistenschule absolviert. Er arbeitet für die Blick-Gruppe in der Schweiz.

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Die etablierten Parteien Frankreichs sind bei der Europawahl krachend gescheitert. Doch während sich die europäischen Regierungschefs beraten, ob Jean-Claude Juncker nun Kommissionspräsident werden darf oder nicht, widmet sich die politische Klasse der Grande Nation weiter mit beeindruckender Hingabe der Selbstdemontage. In einem Kernland der Union stehen die europafreundlichen Kräfte mit dem Rücken zur Wand. Darin, und nicht in der Causa Juncker, liegt die wirkliche Gefahr für das vereinigte Europa.

Der rechtsextreme Front National hat die Europawahl mit 25 Prozent der Stimmen klar gewonnen. Und was Parteichefin Marine Le Pen für Brüssel übrig hat, ist bekannt. Ob sie der EU denn gar nichts Positives abgewinnen könne, fragte sie der „Paris Match“ im Mai. „Non“, lautete Madame Le Pens kurze Antwort.

Dass diese Partei nun Frankreichs größte Abordnung in Straßburg und Brüssel stellt, ist um einiges beängstigender als das Geplänkel um Juncker. Zumal der Aufstieg Le Pens einhergeht mit einem beispiellosen Niedergang  jener Kräfte, die ihr eigentlich Paroli bieten sollten. Das beginnt im Élysée-Palast: Der hilflos agierende sozialistische Präsident François Hollande beklagt die schlechtesten Umfragewerte in der Geschichte der Fünften Republik. Auf die strukturellen Problemen seines Landes, der lahmenden Konjunktur und einer Arbeitslosenquote von über zehn Prozent, hat er keine Antworten.

Hollande scheint am Ende seines politischen Lateins angelangt: Auf das Desaster bei den Regionalwahlen Ende März reagierte er mit einer Kabinettsumbildung. Der populäre Innenminister Manuel Valls darf sich seither als Premier versuchen. Bei den Europawahlen, dem ersten Test für die neue Mannschaft, ist der versuchte Neustart aber bereits gründlich missglückt.

Alle starten sie von Neuem

 

Auch bei der bürgerlichen UMP ist von Neustart die Rede. Normalerweise müsste sie, als natürliche Konkurrentin der Sozialisten, von der linken Misere profitieren. Doch die UMP hat mit sich genug zu kämpfen. Nach heftigen internen Auseinandersetzungen tritt Parteichef Jean-François Copé Ende der Woche ab. Er soll gewusst haben, dass der Präsidentschaftswahlkampf von Nicolas Sarkozy im Jahr 2012 rechtswidrig alimentiert wurde. Alain Juppé, Jean-Pierre Raffarin und François Fillon, allesamt ehemalige Premierminister, nehmen nun vorübergehend das Heft in die Hand. Im Herbst soll dann ein Parteikongress eine neue Führungsriege bestimmen. Das Triumvirat hat sich damit vorläufig gegen Ex-Präsident Sarkozy durchgesetzt, der seinerseits über ein politisches Comeback nachdenkt. Wie die Auseinandersetzung an der Spitze der UMP ausgehen wird, ist offen.

Für sich alleine genommen, wären diese Vorgänge noch nicht dramatisch. Nicht zum ersten Mal werden Unregelmäßigkeiten im Finanzgebaren einer Partei ruchbar, nicht zum ersten Mal wird einer der beiden ideologischen Blöcke von inneren Machtkämpfen erschüttert. Und dass ein amtierender Staatschef im Verlauf seiner Amtszeit in der Gunst der Wähler sinkt, ist in einer Demokratie eher die Regel statt Ausnahme. Das große Problem ist die Gleichzeitigkeit, mit der sich die beiden traditionellen demokratischen Lager gerade selbst zerlegen. Die Demokraten wanken just in dem Moment, als die von Marine Le Pen scheinbar stubenrein getrimmten Frontisten zur stärksten politischen Kraft avancieren.

Immerhin, auf einen ist noch Verlass im Mutterland der Menschenrechte: Den Gründer des Front National, Jean-Marie Le Pen. Der Vater der Parteichefin macht derzeit wieder einmal mit antisemitischer Polemik von sich reden. So menschenverachtend böse und von solch ausgesuchter politischer Dummheit seine jüngste Beleidigung auch ist, das Gepolter des alten Le Pen hat die praktische Eigenschaft, den Franzosen nochmals und in aller Deutlichkeit zu zeigen, wes Geistes Kind sie da gerade zum Wahlsieger gekürt haben. Verständlich, dass Marine ihren Vater am liebsten ganz aus der Öffentlichkeit verbannen will. Im Interesse Europas bleibt zu hoffen, dass ihr wenigstens dies nicht gelingt.

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