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Ungarische Flüchtlingspolitik - Orbáns Krieg gegen das Fremde

Der neue Grenzzaun an der ungarisch-serbischen Grenze war nur der Anfang. Für Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat die Eindämmung der Flüchtlingsströme Priorität. Orbán inszeniert sich dabei als wahrer Hüter westlicher Werte – ganz ohne Multikulti, christlich und weiß

Autoreninfo

Krisztian Simon ist ein ungarischer Journalist. Er war Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung in Berlin. Zurzeit ist er unterwegs in Zentralasien.

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Von wegen Flüchtlinge. Die Ungarische Regierung kennt nur „Migranten” und „illegale Einwanderer”. Und ihr Verdikt lautet: diese haben nichts in Europa zu suchen. Premierminister Viktor Orbán baut einen Zaun an der serbisch-ungarischen Grenze und wettert gegen Ausländer. Wahrscheinlich steckt dahinter eine mehr oder weniger kohärente Ideologie.

71 Leichen haben die Ermittler letzten Donnerstag in einem luftdicht verschlossenen Kühlwagen in der Nähe vom österreichischen Parndof gefunden. Bei den Toten handelt es sich wahrscheinlich um syrische Flüchtlinge, denen Schlepper in Ungarn eine Reise nach Deutschland versprochen hatten.

Der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer rief darauf zu einer Schweigeminute auf, an einem Gedenkgottesdienst in Wien nahm fast die ganze österreichische Regierung teil, Papst Franziskus forderte zum stillen Gebet auf für all jene, „die auf ihren fürchterlichen Reisen“ sterben. Und auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die sich vorher Wochen lang geweigert hatte, über die Flüchtlinge zu sprechen, rief zu Mitgefühl und einem Umdenken der Flüchtlingspolitik auf.

Flüchtlinge sind für die Ungarn „illegale Einwanderer”
 

Nur die ungarische Regierung scheint davon völlig unberührt zu sein. So sagte Regierungssprecher Zoltán Kovács am Tag nach der Tragödie in einem Fernsehinterview, die Verstorbenen seien selber daran schuld, was mit ihnen passiert ist, in Europa herrsche nämlich Frieden, also gebe es auch keinen Grund dazu, von einem Land in das andere zu fliehen.

In der offiziellen Kommunikation der ungarischen Regierung sind die Flüchtlinge, oder wie sie offiziell genannt werden „Migranten” und „illegale Einwanderer”, das Thema Nummer eins. Im Land findet man hunderte Plakate mit der Aufschrift: „Wenn du nach Ungarn kommst, musst du unsere Kultur respektieren”. Eine Nachricht an die Syrer und Afghanen, die die ungarische Grenze illegal überqueren. Nur, der Text ist in Ungarisch verfasst, richtet sich folglich an die einheimische Bevölkerung, um Vorurteile zu stärken.

Und das mit Erfolg. Das regierungsnahe Meinungsforschungsinstitut Századvég meldete im Juli, dass 61 Prozent der Befragten dafür seien, dass Ungarn die Flüchtlinge mit einem Nato-Drahtzaun an der serbischen Grenze vom Land fern halte. 63 Prozent meinten auch, sie seien nicht einverstanden mit der Idee des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker, Flüchtlinge in ganz Europa zu verteilen. 75 Prozent waren der Ansicht, die Länder der EU sollten selber entscheiden können, was sie mit den Flüchtlingen anfangen sollen.

Ungarische Medien verdrehen Merkels Äußerungen

 

Der Bürgermeister vom Budapester Bezirk Józsefváros verbreitet auf seiner offiziellen Facebook Seite, dass die Flüchtlinge mit Messern Angriffe ausüben. Die kostenlose Zeitung seines Bezirks fragt auf der ersten Seite, warum die Migranten teure Schuhe und Handys besitzen.

Und beim Fernsehsender Echo TV spricht der Moderator Ferenc Szaniszló davon, dass die Flüchtlinge von den Amerikanern losgeschickt wurden, um Europa zu schwächen (derselbe Moderator meinte auch, den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider hätte man mit CIA-Dronen ermordet).

Dies alles folge einer gut geplanten Choreografie. Nach dem Charlie-Hebdo-Attentat, als Regierungschefs aus aller Welt in Paris zusammentrafen, um Solidarität mit den Opfern zu zeigen, und sich nebenbei für Toleranz auszusprechen, gab der ungarische Premierminister sein erstes Interview zum Thema „Einwanderung".

Orbán verriet in einem Gespräch mit der ungarischen Presseagentur MTI, was er glaubt, aus den Ereignissen in Paris gelernt zu haben: Dass tatsächlich die liberale Einwanderungspolitik des Westens an diesem Anschlag Schuld sei. Er versprach seinen Wählern, solange er in der Regierung sei, gäbe es keine Einwanderung in Ungarn.

Die Wähler sollten darüber hinaus auch glauben, dass die westliche Politik auf Ungarns Seite sei. Nur halt etwas zögerlicher und zaghafter, weil man nicht so konsequent wie Orbán auftreten könne. So verdrehen zum Beispiel regierungsnahe Medien die Aussagen von Angela Merkel: Wenn sie sagt, die Flüchtlingspolitik sei im Moment die größte Herausforderung in der EU, dann berichten sie, Merkel habe gesagt, die „Einwanderung” sei das größte „Problem” des Kontinents.

Orbán glaubt, die Welt besser zu verstehen
 

Die Fremdenfeindlichkeit der Orbánschen Politik ist wohl mehr als nur ein zynischer Versuch, Stimmen für die nächste (in drei Jahren stattfindende) Wahl zu gewinnen, indem die Partei dem rechtsradikalen Konkurrenten Jobbik die Themen wegnimmt. Der ungarische Premierminister glaubt sehr wahrscheinlich selbst daran, die Welt besser zu verstehen als seine naiven Kollegen im Westen.

Der Entwicklungsökonom Paul Collier schrieb in seinem Buch Exodus: Warum wir Einwanderung neu regeln müssen, die heutige Migration sei ein Produkt der extremen globalen Ungleichheiten. Die Schere zwischen den armen und reichen Ländern habe sich vor zwei Jahrhunderten geöffnet, aber man könne erwarten, dass die Länder der Welt in ungefähr einem Jahrhundert konvergieren würden, und der Wohlstand sich damit globalisieren werde.

Deshalb meint Collier auch, Flüchtlinge müsse man im Westen aufnehmen, aber man sollte sie auch ermutigen, wenn der Krieg vorüber ist, in ihre Heimatländer zurückzukehren, denn diese brauchten die Leute für den Wiederaufbau.

Ungarn müsse in Europa lukrativ bleiben
 

Orbáns Weltbild hingegen ist viel düsterer, er bereitet sich schon auf ein globales Inferno vor: In den Kriegen der Zukunft wird es um Ackerland und Drinkwasser gehen, sagte er noch 2012, als er über seine neue Strategie zur Entwicklung des ländlichen Raums sprach. Damals waren noch die Ratingagenturen die Soldaten dieses Krieges, die die ungarische Wirtschaft seiner Meinung nach ohne Grund herabgestuft hatten, jetzt sind das wohl die „Migranten”.

Wenn wir seiner Vision folgen, wird in kurzer Zeit außerhalb vom Westen nur noch Elend herrschen, deshalb ist die Abschottung wichtig, und deshalb müsse auch Ungarn in Europa irgendwie lukrativ bleiben. Da das Land wirtschaftlich nicht viel zu bieten hat, versucht Orbán den komparativen Vorteil des Landes anders zu definieren als die rückläufigen Mächte des Westens: Ungarn soll in Orbáns Welt dadurch attraktiv erscheinen, dass dort die Männer noch Männer und die Frauen noch Frauen sind, die Politik noch nicht mit Multikulti experimentiert hat, und die Leute fast ausschließlich christlich und weiß sind.

Natürlich wagt er als gläubiger Christ nicht zu sagen, dass man Flüchtlinge nicht beschützen sollte. Er formuliert es anders, sagt, dass man die Menschen, die in den letzten Jahren nach Europa gekommen seien, nicht als "Flüchtlinge" bezeichnen könne. Vielleicht waren sie welche, als sie den Irak oder Syrien verlassen hatten, aber sobald sie in den sicheren Nachbarländern ihrer Heimat angekommen sind, haben sie kein Recht mehr darauf, in anderen Ländern Zuflucht zu suchen.

Und natürlich sollte Europa den Europäern gehören, und Ungarn den Ungarn, nur so hat der Kontinent eine Chance zu überleben. Wenigstens in Orbáns Vorstellungen.

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