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Flüchtlinge in Polen - Türen zu im Christenland?

Die starke Bindung der Polen an die katholische Kirche sollte das Land eigentlich zum bevorzugten Ziel von Flüchtlingen machen. Doch die mächtige Amtskirche macht ihren Einfluss kaum geltend – eher im Gegenteil

Autoreninfo

Jan Opielka ist Korrespondent für n-ost und für die Berliner Zeitung.

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Die Caritas-Einrichtung im 150-Seelen-Dorf Sulistrowiczki ist menschenleer. Die 16 schlicht eingerichteten Mehrbettzimmer, allesamt mit kleinen Kreuzen über den Türen, beherbergen bislang meist Jugendgruppen. Schon bald aber könnten bis zu 100 Flüchtlinge hier Schutz finden, eine Erklärung dazu hat die Breslauer Erzdiözese unlängst abegegeben. Heute indes beeilt sich die Diözese zu betonen, dass wahrscheinlich keine Flüchtlinge kommen werden. Und dass die Medien „ungesunde Emotionen schürten, die in die ruhige Gemeinschaft von Sulistrowiczki“ einbrächen.

Tatsächlich könnte es vor allem für muslimische Flüchtlinge, so sie denn kommen, ungemütlich werden. Vor dem Dorfladen des Ortes, 60 Kilometer südwestlich von Breslau gelegen, steht ein halbes Dutzend Männer. Sie reden vor allem über eines: die Syrer. „Die haben doch nur auf ein Signal gewartet, um Europa zu stürmen“, sagt Wojtek. Der 35-Jährige will seinen Nachnamen nicht nennen, denn für die nächsten Sätze könnte er in Polen vor Gericht landen. „Warum sollen die ausgerechnet hierher kommen, in den Auschwitz-Lagern gibt es doch auch Platz“, sagt er. Dann streichelt er seinem kleinen Sohn zärtlich den Kopf.

„Wenn sie keine Krankheiten bringen“


Widerspruch kommt kaum. Nur Rentner Edward Kubica kann sich indes vorstellen, künftig Nachbar von Flüchtlingen zu sein – unter Bedingungen: „Wenn sie keine Krankheiten bringen und es nur Frauen und Kinder sind“, sagt er. Die männlichen Syrer sollten nämlich lieber für ihre Heimat kämpfen und nicht flüchten. Und was meint der hiesige Gemeindepriester Ryszard Staszak zu den Flüchtlingen? „Die Caritas, das ist eine Sache – der Priester eine ganz andere“, meint Kubica.

Katholische Geistliche genießen in den Dörfern und Kleinstädten Polens eine hohe Autorität. Was sie sagen, hat großes Gewicht für die Gläubigen, vor allem für die Älteren. Unter Polens Dorfbewohnern bezeichnen sich nur drei Prozent als nichtgläubig.

Am frühen Nachmittag ist Pfarrer Staszak in seinem Gemeindebüro. In der kleinen Heilig-Herz-Kirche hängen im Eingang Bilder von Kindern, auf einem hat die kleine Hela ein einsames Schiff auf dem Meer gemalt, darin zwei Menschen. „Ich werde keine Interviews mehr zu der Sache mit den Flüchtlingen geben“, sagt Staszak im Flur der Pfarrei abwehrend. Die Diözese habe dies bereits getan, dem sei nichts hinzuzufügen. Aber die möglichen Flüchtlinge, die beträfen doch vor allem seine Gemeinde? „Warten wir es ab. Die Regierung wechselt, und so kann sich auch die Situation ändern.“

Die PiS und die katholische Kirche


Staszak hat Recht – in Warschau regiert seit den Parlamentswahlen vom Oktober die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Die PiS um Gründer und Chef Jaroslaw Kaczynski gilt dabei als der politische Arm der mächtigen katholischen Kirche. Sei es bei der Forderung nach Verschärfung des ohnehin restriktiven Abtreibungsrechts oder einer stärkeren Präsenz religiöser Gebote in der Verfassung – PiS und Amtskirche fahren fast immer die gleiche Linie.

Beim Thema Flüchtlinge ist die PiS-Regierung restriktiv und will möglichst keine Flüchtlinge aufnehmen – zumal nach den Terroranschlägen von Paris. Dabei hat sich die Vorgängerregierung in einer EU-weiten Regelung zur Aufnahme von 7000 Flüchtlingen verpflichtet. Regierungschefin Beata Szydlo versucht nun auf Zeit zu spielen. Die Sprache der PiS ist inzwischen auch etwas zurückhaltender als im Wahlkampf. Denn zehn Tage vor der Wahl hatte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski von „Cholera auf den griechischen Inseln und allen Arten von Parasiten und Bakterien“ gesprochen. „In den Organismen dieser Menschen sind sie harmlos, hier aber können sie gefährlich werden“, so Kaczynski.

Die einflussreichen Bischöfe hätten die PiS maßregeln können – wenn nicht gar müssen. Die Amtskirche aber schwieg. Michal Okonski, stellvertrender Chefredakteur der katholischen Zeitschrift „Tygodnik Powszechny“, sieht darin keinen Grund zur Kritik. „In einer idealen Welt hätte das Episkopat womöglich reagieren können. Es hat aber zuvor klar Stellung bezogen im Sinne der Flüchtlinge“, sagt er. Okonski meint eine Erklärug des Episkopats noch vor Kaczynskis Ausfällen. Im Anschluss an Papst Franziskus‘ Aufruf zur Aufnahme von Flüchtlingen in Kirchengemeinden hatte es auf das Matthäus-Evangelium verwiesen: „Ich bin Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt“ (Mt 25:35). Den Gebeten, hieß es, müsste auch „aktives Engagement“ folgen, die polnische Caritas sei da in der Pflicht.

Doch mehr als das vatikanisch korrekte Minimum geben die Bischöfe nicht von sich. Zu einem von vielen Beobachtern erwarteten Hirtenbrief über Flüchtlinge, gerichtet an die Gemeinden des Landes, hat sich das Episkopat bis heute nicht durchringen können. Zu stark sind offenbar die Vorbehalte in den Reihen der Amtskirche.

Fern aller Flüchtlingsrouten


Bischof Piotr Libera aus Plock etwa vergleicht muslimische Flüchtlinge mit deutschen Kreuzrittern, mit denen das Königreich Polen vor 600 Jahren gekämpft hatte. „Wenn man einen Fremden in sein Haus lädt, in ein schwaches Haus, das noch im Bau ist, dann kann man sich großen Ärger einhandeln. Wir wissen, dass dies in wesentlich reicheren Häusern wie Deutschland oder Österreich geschah, nachdem sie Millionen von Muslimen hineinließen“, sagte Libera bei einer Messe vor Parlamentarierern.

Nur wenige Geistliche äußern sich so progressiv wie Bischof Tadeusz Pieronek. „Als polnische Christen und als Menschen sollten wir für Flüchtlinge offen sein, denn sie müssen aus ihren Ländern wegen kriegerischer Konflikte fliehen und in Angst, Leben und Gesundheit zu verlieren.” Auch die polnische Kirche könne viele Heimplätze anbieten, sagte der Bischof Ende November.

Dabei liegt Polen, anders als die Balkanstaaten und Ungarn, bislang fern aller Flüchtlingsrouten. Und im ersten Halbjahr 2015 haben nur gut 50 Syrer Asyl in Polen beantragt, im September waren es 17. Die meisten von ihnen erhalten den Flüchtlingsstatus gemäß Genfer Konvention, anders als das Gros der insgesamt 4000 Asylsuchenden anderer Länder meist aus ehemaligen Sowjetrepubliken und Russland, die im ersten Halbjahr dieses Jahres in Polen Schutz suchten. Also vorerst keine Millionen von Muslimen.

Solidarität mit Flüchtlingen


Dass es in Polen dennoch Gläubige und Geistliche gibt, die in erster Linie den Menschen im Flüchtling sehen, zeigen nicht nur einzelne Gemeinden, deren Priester sich zur Aufnahme syrischer Familien bereit erklärt haben oder solche, die Gebete für Flüchtlinge sprechen. Nach einem tätlichen Angriff von Hooligans auf einen christlichen Syrer in der Stadt Posen Anfang November besuchte Erzbischof Stanislaw Gadecki das Opfer im Krankenhaus und entschuldigte sich für seine Landsleute. 

Auch Priester Tomasz Gill zeigt sich offen für Flüchtlinge. Seine Gemeinde zur Auferstehung des Herrn in Warschau liegt unweit von einem der polenweit dreizehn Flüchtlingsheime. Gill sitzt in der Sakristei, durch das Fenster dringen Kinderstimmen vom Spielplatz der kirchlichen Kita hinein. „Auch ein Flüchtlingskind ist unter ihnen“, sagt Gill. Der Priester redet einfühlsam, aber entschieden. „Wir haben gleich nach der Öffnung des Asylheims ein Integrationsprojekt mit der Stadt gestartet. Von unserer Seite sind wir offen, die Flüchtlinge aber sind mitunter verschlossen, was aber auch an ihren Kriegserfahrungen liegen kann“, sagt er. Vor allem die nahe gelegene Schule sei ein guter Ort, in dem sich die polnischen Mütter mit jenen der Flüchtlingskinder träfen. „Sie haben die gleichen Anliegen, das verbindet.“

Gills Worte klingen echt, der Priester versteckt sich nicht hinter der Pressestelle seiner Diözese. Also keine Panik und keine Angst vor Fremden, selbst vor Muslimen nicht? „Ich hoffe auf guten Kontakt und Zusammenarbeit mit dem Imam der Muslimischen Glaubensvereinigung Polens.“

Und die Gläubigen? Gill überlegt nicht lange. „Wissen Sie, wir sind hier ein eher armer Bezirk und viele dieser Leute hatten einst selbst Probleme. Vielleicht haben sie deswegen größeres Verständnis für die Sorgen der Flüchtlinge.“

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