Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
picture alliance

EU-Beitritt Kroatiens - Keine blauen Sternenbanner, nirgends

Die Begeisterung über den EU-Beitritt am 1. Juli ist in Kroatien begrenzt. Cicero-Autor Reinhard Mohr reiste durch ein Land, das drängende Probleme zur Seite schiebt

Autoreninfo

Reinhard Mohr (*1955) ist Publizist und lebt in Berlin. Vor Kurzem erschien sein Buch „Deutschland zwischen Größenwahn und Selbstverleugnung. Warum es keine Mitte mehr gibt“ (Europa Verlag, München).

So erreichen Sie Reinhard Mohr:

Es scheint eine Ewigkeit her: Bomben auf Dubrovnik, Granaten auf Sarajevo, Massenmord in Srebrenica. Das türkisblaue Meer an der endlos langen dalmatinischen Küste glitzert wie im bildersatten Werbefilm für einen luxuriösen Aperitif, und wäre nicht der nahezu geschlossen felszerklüftete Saum der weit über 1200 Inseln, der Sandstrände zur großen Seltenheit macht: die mondäne Cote d’Azur müsste sich warm anziehen. Dennoch strömen – gerade einmal 18 Jahre nach Ende des vier Jahre währenden mörderischen Balkankriegs – die Touristen vor allem aus den nordeuropäischen Ländern an die kroatische Mittelmeerküste, die ab morgen auch von Brüssel aus regiert wird. Der ehemalige Teilstaat Jugoslawiens wird EU-Mitglied Numero 28.

Offiziell wird die „Rückkehr nach Europa“ gefeiert, doch von Begeisterung ist wenig zu hören und zu sehen, wenn man kurz vor dem historischen Datum eine Woche lang mit dem Segelboot die Küste Kroatiens bereist. Ein kleiner Zahlenvergleich mag hilfreich sein: Während beim Referendum über die Unabhängigkeit Kroatiens 1991 mehr als 93 Prozent mit „Ja“ votierten, waren es zwanzig Jahre später nur zwei Drittel der Wahlberechtigten, die dem EU-Beitritt zustimmten – bei einer Wahlbeteiligung von weniger als 50 Prozent. Und tatsächlich: Nirgendwo sahen wir Zeichen der kommenden Veränderung, das europäische Sternenbanner oder Werbeplakate für den Aufbruch in die neue Zukunft. Eher schon alte nationalistische Parolen an Hauswänden – und natürlich die kroatische Nationalfahne.

[video:EU-Beitritt eines Krisenkandidaten?]

Sieben Jahre wurde mit der EU verhandelt, bis sie schließlich die notwendigen Bedingungen für den Beitritt erfüllt sah. Etwaige Zweifel wurden mit jener notorischen Begründung weggewischt, die auch in der anhaltenden Euro-Krise zum Passepartout geworden ist. Es gehe hier um das große politische Friedensprojekt der europäischen Einigung. Das Problem ist nur: Im Namen der großen Idee werden die selbst gesetzten konkreten Bedingungen sehenden Auges immer wieder beiseitegeschoben.

So ist völlig klar, dass zum Stichtag 1. Juli 2013 weder der nach wie vor aufgeblähte postsozialistische Staatsapparat noch die alltägliche Korruption und die organisierte Kriminalität hinreichend eingedämmt worden sind. Ähnlich war es schon in Bulgarien und Rumänien, wo sich an den kritisierten Zuständen bis heute kaum etwas gebessert hat.

Die vor Jahren schon fest versprochene Privatisierung der zwei großen, milliardenschwer überschuldeten staatlichen Werften Kroatiens ist immer noch nicht realisiert – man findet für die maroden Betriebe einfach keinen solventen Investor. Dazu kommt, dass sich das Land im fünften Rezessionsjahr nacheinander befindet. Die Arbeitslosigkeit ist unterdessen auf 20 Prozent gestiegen. Mit ihrem Bruttoinlandsprodukt von 60 bis 70 Milliarden US-Dollar erwirtschaften die rund 4,5 Millionen Kroaten nicht einmal ein Drittel des Sozialprodukts, das das Bundesland Hessen jährlich aufbringt. Umso mehr werden sie auf die mehr als 14 Milliarden Euro angewiesen sein, die bis 2020 aus Brüssel fließen sollen. Und auf den Tourismus, der naturgemäß im langgestreckten Westen am Adriatischen Meer seine größten Attraktionen besitzt.

In der Marina Kastela bei Split etwa herrscht jedes Wochenende Hochbetrieb. Dann wechseln hunderte von gemieteten Segelyachten ihre Besatzung, und eine ganze Armada von Hilfskräften rückt aus, um die Boote zu säubern und wieder in Schuss zu bringen. Dutzende Taxifahrer wetteifern um Kundschaft, die zum Flughafen will, und in den umliegenden Läden, Cafés und Restaurants herrscht Hochkonjunktur. Die gemischte Fischplatte kommt da fast so schnell auf den Tisch wie der Äppelwoi und das Rippchen mit Kraut im „Gemalten Haus“ in Frankfurt am Main.

Hier, an einem Hotspot des zumindest auf den ersten Blick exklusiven Tourismus, gewinnt man den Eindruck, dass die Kroaten tatsächlich so etwas wie die Preußen des Balkans sein könnten. Eingedenk jener Loriot’schen Urlaubsszene in einem südlichen Land wäre der Ausruf „Alles sehr sauber hier!“ jedenfalls nicht falsch. Zuweilen läuft gar ein offizieller Einweiser auf dem hunderte Meter langen Pier wie eine deutsche Mischung aus Hausmeister und Bademeister auf und ab, Dienstkäppi, strenge Miene und Trillerpfeife inklusive. Da heißt es schnell die Mooring auffangen, millimetergenau einlaufen und blitzschnell festmachen.

Rechts und links, im Abstand von ein paar Handbreit, sind derweil schon jeweils sechs bis acht Österreicher, Schweden, Russen und Deutsche damit beschäftigt, die Bord-Vorräte des süffigen Karlovacko-Biers zu dezimieren. Dazu hören sie gerne laute Musik bis in die Abenddämmerung hinein, um die romantische Hafen-Stimmung zu unterstreichen. Durch besondere Lebensfreude fallen vor allem die Österreicher auf, die dankbar den Vorteil nutzen, die kroatische Küste von Salzburg, Graz und Wien aus bequem auf dem Landweg erreichen zu können. Die Freude über die kurze Anreise in mediterrane Gefilde steht ihnen regelrecht ins gebräunte Gesicht geschrieben. Sie drückt sich auch akustisch aus. „Da ist dann immer ein großes Hallo!“ hätte Evelyn Hamann gesäuselt.

Es mag zudem eine Rolle spielen, dass sich die heurigen Nachfolger des Habsburger-Reichs historisch-gefühlsmäßig auf heimischem Territorium befinden. Bis Ende 1918 gehörte Kroatien wie nahezu der gesamte Balkan zum Vereinigten König- und Kaiserreich Österreich-Ungarn. Nicht zu vergessen: Die k.u.k.-Kriegsmarine war zu ihren Hochzeiten die sechstgrößte Flotte der Welt. Während des Ersten Weltkriegs versenkte sie so manch feindliches Schiff in der Adria. Ein kleiner Segeltörn mit der „Hanse 400e“ ist da immerhin ein schöner Ersatz.

[gallery:Europäische Einigung]

Der Kontrast jedenfalls zwischen den maritimen Stützpunkten und den stillen Buchten an den vorgelagerten Inseln Hvar, Vis, Korcula, Lastovo oder Mljet könnte nicht größer sein. In den kleinen pittoresken Hafenstädtchen wiederum sieht man, wie der Tourismus sich seine eigene ökonomische Struktur schafft – freilich begleitet von Umständen, auf die der ruhesuchende, kontemplative Freund von Sonne, Meer und Wind, Flora und Fauna durchaus verzichten könnte. Durch die Altstadt von Dubrovnik etwa wälzen sich Tag für Tag tausende Passagiere von Kreuzfahrtschiffen auf ihrem obligatorischen Landgang.

Doch auch an abgelegenen Stellen sind neue Häuser entstanden, vor denen, Zeichen frisch errungenen Wohlstands, Autos der gehobenen europäischen Mittelklasse parken – ob von Kroaten, die aus ihrem Exil zurückgekehrt sind, oder von Ausländern, die ihren Traum vom mediterranen Rückzugsort mit Meeresblick wahr machen wollten. Ästhetische Schandtaten wie an der spanischen oder türkischen Mittelmeerküste sind kaum zu sehen – ein zukunftsträchtiger Standortvorteil.

Doch pünktlich zum EU-Beitritt stellt sich für Kroatien dieselbe Frage, die auch Griechenland beantworten muss. Schnöde formuliert: Welches Geschäftsmodell ist realistisch, wie und wo kann die Wirtschaft wieder in Schwung kommen?

Als wir nach einer Woche unser Segelboot verließen, wanderten auch Lebensmittelreste in die Müllsäcke. Ins Flugzeug konnten wir sie nicht mitnehmen. An den großen Tonnen am Rande der Marina erwarteten uns schon mehrere Frauen und Männer auf Klappstühlen, die Brauchbares aussortieren. Freundlich kamen sie uns entgegen und nahmen uns die Tüten aus der Hand.

„Danke!“ sagten sie.

Auch das gehört zu einer Realität, die man von Brüssel aus nicht wahrnimmt.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.