Kemal Kılıçdaroglu hat ein breites Bündnis gegen Recep Tayyip Erdogan geschmiedet / dpa

Erdogans Herausforderer - Der türkische Gandhi

Bei den bevorstehenden Wahlen will Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroglu seinen Rivalen Erdogan besiegen und die Türkei wieder in eine parlamentarische Demokratie verwandeln.

Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

So erreichen Sie Ilgin Seren Evisen:

Der „ewige Verlierer“ Kemal Kılıçdaroglu ist gewiss kein „Traumkandidat“, der es rhetorisch mit jenem Mann aufnehmen könnte, den er jetzt besiegen will. Dennoch avancierte der 74-Jährige in den vergangenen Monaten zum Hoffnungsträger von Millionen Türken, die sich ein Ende der Ära Erdogan wünschen. Dass Kılıçdaroglu, der bisher alle Wahlen gegen den amtierenden Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verloren hat, sein Verlierer-Image abschütteln konnte, liegt vor allem an seinen volksnahen Auftritten im Erdbebengebiet und an seinem Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft.

Der im ostanatolischen Tunceli geborene Kılıçdaroglu gehört der ethnisch-religiösen Minderheit der Zaza-Aleviten an, in deren religiöser Praxis der Koran keine Rolle spielt. Für gläubige Sunniten ist das Häresie, weshalb der einstige Ökonom für viele islamisch-konservative Wähler nicht der Kandidat ihrer Wahl ist. In einem Land, in dem der vorbildliche Bürger viele Jahrzehnte lang über seine religiös-ethnische Identität definiert wurde, haben solche Besonderheiten eine hohe politische Bedeutung.

Cicero Plus weiterlesen

  • Monatsabo
    0,00 €
    Das Abo kann jederzeit mit einer Frist von 7 Tagen zum Ende des Bezugzeitraums gekündigt werden. Der erste Monat ist gratis, danach 9,80€/Monat. Service und FAQs
    Alle Artikel und das E-Paper lesen
    • 4 Wochen gratis
    • danach 9,80 €
    • E-Paper, App
    • alle Plus-Inhalte
    • mtl. kündbar

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.

Tomas Poth | Mi., 10. Mai 2023 - 14:43

Die wahlberechtigten Türken die in Deutschland leben, ca. 1,5Mio, sind das Zünglein an der Waage.
Letztes mal haben sie mit übergroßer Mehrheit für Erdogan gestimmt.
Ein bißchen Krass, die wählten eine Politik die sie nicht ertragen/aushalten müssen!

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 10. Mai 2023 - 15:05

ein grandioser Vergleich, von der beschriebenen Art her nicht minder.
Dennoch, so sehr ich der Türkei den Abschied von der Person Erdogan wünsche, so muss evtl. doch noch etwas dazu kommen, bevor sich auch traditionell glaubendende Türken* diesem Mann öffnen.
Eine Rückkehr zum Säkularen ist zu wenig, wenn es nicht von vornherein unter Atatürk doch auch mehr gewesen wäre als eine westliche geprägte Gesellschaft.
Die Säkularisierung/Modernisierung Europas wurde evtl. vorangetrieben durch die Reformation, durch Christus bei den Menschen.
Dies prägte m.E. einen konkreten, existenziellen Humanismus als theo*-poetische Überschreitung.
Da passt sehr gut Nietzsches Zarathustra, den man als eine theologische Reformation der Moderne lesen sollte.
Asien scheint den spirituellen Nietzsche angenommen zu haben?
Vielleicht ist dieser "Ghandi-Kemal" eine Ausprägung eines, sagen wir auch theo*-poetischen Islam?
Wenn die Türkei darin voranginge, einem friedlichen, islamischen Leben ... gesegnet sei sie

Ernst-Günther Konrad | Mi., 10. Mai 2023 - 15:13

Naja, mit den Vergleichen lebender oder bereits verstorbener Personen läuft man immer Gefahr, diesen Personen nicht gerecht zu werden. Wenn es die Türken schaffen, den Despoten abzuwählen - hoffentlich unblutig -, dann soll es so sein. Das mag in diesem Land etwas ändern, aber nicht unbedingt mit den Türken, die hier streng muslimisch leben und Erdogan weiterhin huldigen, sich heimlich über ihre Moscheen mit islamistischen Gedankengut beschäftigen und gemäßigte, weltoffene und integrierte Muslime bedrängen, bedrohen oder gar mehr. Ich bin deshalb mal gespannt, sollte Erdogan abgewählt werden und wie auch immer das Amt räumen, wie sich die hier lebenden Türken verhalten werden. Denn wenn ein Wechsel stattfinden sollte, würde sich mutmaßlich auch die Politik der Türkei gegen Erdogans muslimische "Truppen" hier bei uns ändern. Jedenfalls hatte ich während meiner Dienstzeit öfter mit Aleviten zu tun und fast nur gute Erfahrungen gemacht. Ob K. sechs Parteien einigen kann auf Dauer?

Albert Schultheis | Mi., 10. Mai 2023 - 16:17

Ihre Hoffnungen bez des Kandidaten, Herrn Kılıçdaroglu, sind ehrenwert und ich wünschte, er hätte Erfolg in der Türkei, allein mir fehlt die rechte Zuversicht. Ein Alevit als Präsident der Türken, zudem ein "Ghandi" - das passt so wenig wie der ewige Kandidat und Verlierer der Democrats in USA, der Kommunist Bernie Sanders! - Nein, niemals, Frau Evisen. Die Türken sind noch immer ein Reitervolk, auch wenn sie die Gäule mit modernen hochgezüchteten Verbrennern eingetauscht und sogar gelernt haben, Drohnen zu bauen! In diesem Punkt geb ich dem Militärexperten Heinsohn recht: die türkischen Muslime setzen zu viele streitbare Buben in die Welt, die sich ihr Erbe draußen in der Welt besorgen müssen, weil es zuhause nicht soviel zu verteilen gibt. Da passt kein alevitischer "Ghandi" ins Bild und das weiß der Faschist Erdoğan nur allzu gut! Der funktioniert Minarette zu Bajonetten um, wie wir wissen.