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Erdogan schießt in seiner Rede gegen Emmanuel Macron. Was hat das für Folgen für Deutschland? / dpa

Was bedeutet Erdogans Rede für Deutschland? - „Der Machtwahn hat Spuren bei Erdogan hinterlassen“

Mit seiner Wutrede gegen Macron hat der türkische Präsident Erdogan auch Deutschland den Kampf angesagt. Mit dieser Rhetorik will er sein gespaltenes Land einen und von der Wirtschaftskrise ablenken. Doch warum stößt er auch bei türkischstämmigen Deutschen auf offene Ohren?

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Eren Güvercin ist Gründungsmitglied der Alhambra-Gesellschaft und Mitglied der 4. Deutschen Islamkonferenz. 2012 erschien von ihm das Buch „Neo-Moslems. Porträt einer deutschen Generation“ bei Herder.

Herr Güvercin, die Enthauptung eines französischen Lehrers durch einen Islamisten zieht immer größere Kreise. In einer viel zitierten Rede bei einem Parteitag seiner Regierungspartei AKP hat der türkische Präsident Erdogan Macron als geisteskrank bezeichnet und zum Boykott französischer Produkte aufgerufen. Überrascht Sie diese heftige Reaktion?

Nein, ganz und gar nicht. Wenn man Erdogan schon etwas länger beobachtet, dann ist diese Rhetorik gegenüber politischen Gegnern gar nicht neu. Mit derselben Rhetorik agiert er im Umgang mit oppositionellen Politikern im eigenen Land. 

Aber es ist doch ein Unterschied, ob er irgendeinen Oppositionellen attackiert oder den französischen Präsidenten. 

Aber auch das ist nicht wirklich etwas Neues. In Deutschland können wir uns noch gut an die heftigen Diskussionen erinnern, als es um das Verfassungsreferendum in der Türkei oder um Wahlkampfauftritte von AKP-Politikern bei uns ging. Auch damals hat Erdogan Deutschland schon als „Nazi-Deutschland“ bezeichnet. Auch die türkische Presse war nicht zimperlich. Auf Titelseiten hat sie Angela Merkel in einer SS-Uniform und mit Hitlerbärtchen abgebildet. Diese beleidigende Rhetorik gehört zu einem Autokraten wie Erdogan. 

Seine Rede ist auch eine Kampfansage an deutsche Politiker. Erdogan bezeichnet sie als „Kettenglieder der Nazis“. Er spricht von einer Lynchkampagne gegen den Islam und vergleicht sie mit der Judenverfolgung im Dritten Reich. Warum fährt er so schweres Geschütz auf? 

Seit Anfang des Jahres hat die türkische Lira gegenüber dem Dollar und dem Euro rapide an Wert verloren. Erst gestern hatten wir wieder ein Rekordtief. Wenn im eigenen Land die Wirtschaft den Bach herunter geht, dann müssen neue Feindbilder her oder alte Feindbilder wieder aufgewärmt werden. Das ist ein typisches Muster in Diktaturen. Erdogan versucht, die Reihen im eigenen Land geschlossen zu halten, um umso heftiger nach außen zu prügeln. 

Und wie sieht es mit den türkisch-stämmigen Menschen in Deutschland aus?

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Tomas Poth | Di., 27. Oktober 2020 - 18:47

Ist diese Trennung in einen "Guten" und einen "Bösen" Islam möglich?
Der Koran ist die Grundlage nicht nur für religiöses sondern mehr noch die Basis für Gesellschaftsordnung und Expansionspolitik!
Der Versuch hier eine Unterscheidung zu treffen kann nicht funktionieren.
Gewiss die Mehrheit der Muslime ist nicht radikal wie jene die offen gegen das "Westliche" kämpfen. Aber diese "zahme" Mehrheit in Europa ist der Unterschlupf und die Rekrutierbasis für die Radikalen!
Wenn die "zahme" Mehrheit sich nicht offen gegen die Radikalen stellt, sie nicht verstößt, verdienen sie dann unser Vertrauen??
Wir, alle Nicht-Muslime, sollten hier eine ganz konsequente, harte Linie fahren. Nur so können wir auch die "zahmen" Muslime unterstützen.

Armin Latell | Di., 27. Oktober 2020 - 18:55

wie man will, tolle Analysen aus dem Hut zaubern, aber am Ende ist es doch so: dieser Mensch ist eine Riesengefahr für den (Welt)Frieden, als Natomitglied erst recht. Dass die Türken hier nicht als gleichberechtigte Bürger betrachtet werden, halte ich für eine mittelschwere Fehleinschätzung. Indirekt wird damit doch schon wieder die Opferrolle bedient. Solange die Scharia bei vielen Moslems über dem Grundgesetz steht, betrachte ich das per se als Problem. Wo sind die Verurteilungen, Distanzierungen der moslemischen Community? Weder im Fall Paty noch im Fall Dresden - Funkstille. Auf der anderen Seite, warum sollte man das verurteilen, hört man doch von offizieller deutscher Seite nur windelweiches Gewäsch. Ein starker Staat spricht anders, handelt anders, das lieben viele Türken an Erdogan. In gewisser Weise kann ich das gut verstehen.

Holger Jürges | Di., 27. Oktober 2020 - 19:08

Zitat:"Aber Erdogans aggressive Freund-Feind-Rhetorik kann natürlich bei bestimmten Menschen dazu führen, dass sie sich ermutigt fühlen, zur Tat zu schreiten. Diese Gefahr kann man aber nie ausschließen. Das ist bei der AfD genauso."

Geht´s noch: Die AFD in Zusammehhang mit dem Despoten Erdogan zu bringen ? Die Schmähung der Partei musste wohl noch irgendwie untergebracht werden in Dialog. - Das nimmt alle Sachlichkeit aus dem Interview und entlarvt für mich das ganze Gespräch als eine unehrliche Konversation.

... noch dazu hintereinander angeordnet mit tiefgründigen, sachlichen Argumenten - einfach toll.
Der Tag kann nach so einer Zeitungsschau nur gut werden. Da kann der einäugige Zeitgeist "pastern" und "lamentieren", was immer er vermag. Es prallt ab.
Danke Ihnen Beiden, Frau Wallau, Herr Jürges. Schön, dass es Sie gibt.

hätte sich Frau Hildebrandt wirklich sparen können: "...Attentat...auch bei uns passiert?"
Hat die Tat von Dresden (auch ein Toter!) weniger Gewicht?
Und die Einlassung von Herrn E. Güvercin: " Das ist bei der AfD genauso" ist nun völlig fehl am Platz. Zu der Partei kann man stehen wie man will aber einen "Mordaufruf", kam aus dieser Ecke noch nie! Und wenn, dann wäre dies eine Anstieftung zum Mord! Da wäre ja wohl ermittelt worden, auch vom Staatsschutz.
Man soll die Kirche im Dorf lassen.

Christa Wallau | Di., 27. Oktober 2020 - 19:19

Ob bei Herrn Erdogan oder bei Frau Merkel:
Wenn jemand zu lange an der Macht ist, bringt das
immer große Gefahren mit sich.
Das Ego des Machthabers und seine Angst vor dem Verlust der Macht wachsen überproportional mit jedem weiteren Jahr, aber die Abgehobenheit des Machthabers, sein Abstand von der Realität wächst noch viel stärker und rascher, da er inzwischen nur noch willfährige Leute um sich hat.

Deshalb ist es zwingend notwendig, die Zeiten zu
b e s c h r ä n k e n , in denen jemand an der Macht sein darf. In den USA ist das so geregelt, daß eine
Person nur e i n m a l wiedergewählt werden darf.
Das ist gut so. Diese Regelung müßte in Deutschland sofort eingeführt werden.

Was wäre uns alles erspart geblieben, hätte Merkel
2013 das Feld räumen müssen!!!

auf eine Stufe zu stellen zeugt von einem ideologiegesteuerten Politikverständnis.
Aber eigentlich ging es in dem Beitrag um einen nationalistisch-religiösen Autokraten in der Türkei, und nicht um die Regierungschefin in einer deutschen Demokratie. Die man ja abwählen kann. Was aber viele Deutsche - von der Foristin daher gerne zum "Michel" degradiert - nicht wollen.
Sowas nennt man Demokratie.

Dirk Jäckel | Mi., 28. Oktober 2020 - 11:46

Antwort auf von Gerhard Lenz

Sehr geehrter Herr Lenz, selbstverständlich wurden beide Personen nicht auf eine Stufe gestellt; es wurde hier lediglich von Machtwahn gesprochen, nicht von der konkreten Machtausübung. Und hier gebe ich dem Vorkommentator eindeutig Recht. So sehr ich diese zugleich pseudokollegial-herrische wie gnadenlos opportunistische ehemalige FDJ-Sekretärin verachte, sehe ich immer noch große Unterschiede gegenüber dem Faschisten aus Ankara. Freilich weiß man nicht, wie erstgenannte Person regieren würde, wenn sie unumschränkte Macht hätte.

Dirk Jäckel | Mi., 28. Oktober 2020 - 13:52

Antwort auf von Dirk Jäckel

Ich meinte natürlich Vorkommentatorin.

Helmut Bachmann | Di., 27. Oktober 2020 - 19:27

Wieviele Türken fühlen sich denn eigentlich als Deutsche? Nach meinen Erfahrungen sehr sehr wenige. Türkischer Nationalismus und dogmatischer Islam dienen als Haltgeber für die Kränkung des Ausgewandertseins. War auch vor 40 Jahren schon so. Heute eben schlimmer. Man kann die Leute nicht erreichen, die nur aus Not zu uns gekommen sind und mit unserer Kultur gar nichts anfangen können. Da gibt es auch keine schöngeistige Lösung. Man verdrängt diese Tatsache, deshalb wird sie nicht verschwinden. "Der"(real existierende) Islam passt nicht zu Deutschland, einen Euroislam gibt es leider nicht. Türkischer Nationalismus passt jedoch in keinster Weise zu Deutschland und das muss man auch benennen. Macron tut dies.

christoph ernst | Di., 27. Oktober 2020 - 19:36

ist ein Fehler.
Mark Twain meinte dazu mal: "Wenn du einen hungrigen Hund fütterst, beißt er dich hinterher nicht. Das ist entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Hund."
Die Feindseligkeit der vieler Turk-Deutschen gegenüber denen, die sie in ihr Land aufgenommen haben, entlarvt und disqualifiziert sie. Denn klar, mitunter zählt schon Loyalität. Wer die Werte des Gemeinwesens verachtet, dem er Sicherheit, Auskommen und Frieden verdankt oder sie sogar aktiv bekämpft, hat dort nichts verloren.
Genau das macht den Unterschied zwischen Bürgern und Bewohnern aus. Bürger kennen Rechte und Pflichten. Sie treten notfalls für ihre Leute und ihr Gemeinwesen ein. Bewohner zahlen bestenfalls Steuern, aber entwickeln in der Regel bloß Ansprüche. Sie zu Bürgern zu machen, ist dumm. Im Ernstfall belasten sie die anderen und erweisen sich als Risiko.

Charlotte Basler | Di., 27. Oktober 2020 - 22:36

Zuerst einmal finde ich es sehr befremdlich, dass mit keinem bedauernden Wort auf diese abscheuliche Tat eingegangen wird. Und auch wenn H. Güvercin
Dinge kritisch anspricht, stellt er letztlich die türkischen Mitbürger wieder als Phänomen dar, auf die wir Rücksicht nehmen müssen.
Zitat: "Für ihn gibt es keine Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus." Frage: Gibt es diesen Unterschied oder wird er uns nur vermittelt, damit wir wohlwollender reagieren?
"Wenn ich ein Türke bin, bin ich halt etwas Besonderes." passt nicht zur Botschaft des nächsten Zitats: "Man muss sie als gleichberechtigte Bürger behandeln." Sind sie nun was Besonderes oder nur gleichberechtigte Bürger? Fakt ist, es leben viele verschiedene Nationalitäten mit unterschiedlichen Religionen in Deutschland. Nur die mit dem islamischen Hintergrund machen Sorgen. Und statt dankbar für unsere Offenheit und Gastfreundschaft zu sein, werden ständig Zugeständnisse erwartet. Nein danke!

Robert Schmidt | Di., 27. Oktober 2020 - 23:15

Wenn man sich bedenkt, dass die Türkei laut DNA-Analysen ein wildes Mischmasch ist, also die übliche verwandtschaftliche Genealogie gering ist - beeindruckt umso stärker die Kombination aus fanatischem Nationalismus und Religion mit Anspruch auf Ausschließlichkeit.
Diese Kombination ist sogar so stark, dass selbst in der 3ten Generation, das Land in das man ausgewandert ist, nicht angenommen wird und hinter dem verlassenen Land zurücksteht (zum eigenen Nachteil).
Ich glaube nicht, dass die Lösung darin besteht, dieser ideologischen Wucht zu huldigen - wir können schon heute beobachten, dass die Appeasement Effekte praktisch nicht eintreten, sondern stattdessen immer radikaler "mehr" gefordert wird.
Man sollte stattdessen endlich erkennen, wie wichtig und erfolgreich Nationbuilding sein kann und davon sollte man sich etwas abschauen.
Wenn Deutschland wirklich ein Einwanderungsland sein will und folglich ebenfalls ein "Mischmasch" darstellt, braucht es dringend "Nationbuilding"!

helmut armbruster | Mi., 28. Oktober 2020 - 07:16

in der 3. oder 4. Generation - trotz perfekter Sprachkenntnisse und guter Berufe - Türken geblieben.
Das deutet darauf hin, dass Integration nicht statt gefunden hat. Normalerweise haben sich Immigranten spätestens nach der dritten Generation ins Aufnahmeland integriert und die ursprüngliche Herkunft ihrer Großeltern spielt keine Rolle mehr.
Nicht so hier. Und das ist seltsam und nicht gewöhnlich und wirft eine Menge Fragen auf warum das so gelaufen ist und nicht anders.
Wir sollten hier nicht in den typisch deutschen Fehler verfallen und die Schuld nicht bei uns alleine suchen.
Eine nach wissenschaftlichen Grundsätzen arbeitende soziologische Untersuchung könnte vielleicht Licht in dieses merkwürdige Dunkel bringen.

ich könnte mir vorstellen, daß ein Grund die geographische Nähe zu Deutschland ist, der andere, daß es sich um einen völlig anderen Kulturkreis handelt. Weiterhin ist zu bedenken, daß Inselgesellschaften in sich geschlossene Strukturen darstellen,
die alles Äussere (in dem Fall die autochthone Ursprungsgesellschaft) als Bedrohung sehen. Wir alle kennen den Begriff des "Gastarbeiters". Dies drückt den Ursprungsgedanken des Daseins dieser Menschen aus. Aus gedachten Gästen auf Zeit, sind Dauerbewohner ohne ein entwickeltes Bewusstsein für ihr neues Dasein geworden. Dies ist allerdings auch und insbesondere ein Totalversagen der jeweiligen Regierungen. Es mag zynisch klingen, aber die Selbstdarstellung des jetzigen Türkischen Ministerpräsidenten sollte allen hier lebenden Türken vor Augen führen, wie gross dessen Fehlleistung ist. Sie sollten erkennen, daß hier zu leben ein Privileg ist. Wer es dennoch anders sieht zurück in die Heimat, denn die werden hier nie ankommen.

Fritz Elvers | Mi., 28. Oktober 2020 - 12:21

Antwort auf von Rainer Mrochen

Danke für Ihren aufschlussreichen Kommentar. Er erklärt wunderbar, warum ich mich als Deutscher mit ausschließlich deutschen Vorfahren, in diesem unserem Lande weiterhin nicht integriert fühle.

Romuald Veselic | Mi., 28. Oktober 2020 - 10:25

gleiche. Nur hier im Westen war der Politestablishment so geblendet, dass man dem Obermuslimbrüder alles glaubte. Den Rest hielt man für ortsbezogene Rhetorik u. Folklore.
Nebenbei: Ich kaufe keine TR-Produkte, sowie kein Urlaub in TR.
Im Rahmen der Buntheit; esse ich Kebap mit Schweinefleisch.
MfG Der kleine Muck ✔

Fritz Elvers | Mi., 28. Oktober 2020 - 12:12

Blasphemie ist in Frankreich bewußt nicht strafbar, sondern als Religionskritik durchaus erlaubt, eine republikanische Errungenschaft.
In den meisten anderen Ländern ist sie weiterhin veboten und steht unter Strafe, ein Macht-instrument der Kirchen.

Insofern, bei aller Ablehnung von Erdogan und der AKP, ist die Solidarität mit Macron nicht ganz ehrlich bezüglich der Wutanfälle des Despoten.

Frankreich feiert seine Sekularität, die meisten anderen Länder sind diesbezüglich ebenfalls eher mittelalterlich.