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(picture alliance) „13 Verwandte in Haft, vier im Exil“: Exilsyrer in Deutschland protestieren - wie hier Anfang Februar vor dem Brandenburger Tor - gegen Assad und fühlen sich unter Druck gesetzt

Syrische Revolution, made in Berlin - Ein Wettlauf gegen den Tod

Während Regimegegner in Syrien tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzen, unterstützen Menschen in Deutschland den Widerstand mit Kräften. Auch das nicht ohne Risiko: Sie werden von Agenten beobachtet, ihre Familien daheim unter Druck gesetzt. Aktham Abazid vom Verein „Adopt a Revolution“ hat das selbst erlebt

Wenn Aktham Abazid über seine Mutter spricht, huscht ein Schatten über sein Gesicht. „Ich habe heute noch nicht mit ihr sprechen können. Wegen der Stromausfälle sind die Telefonnetze ständig gestört.“ Der gebürtige Syrer hat große Angst um seine Familie, wenigstens einmal am Tag versucht er anzurufen. Abazids Mutter wohnt mit seiner Schwester im syrischen Dara‘a. Als die Gewalt dort eskalierte, habe sie sich geweigert, die Stadt zu verlassen.

Dara‘a ist mittlerweile eine der gefährlichsten Städte Syriens. Erst vor einer Woche kam es dort erneut zu Übergriffen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Regierungstruppen hätten willkürlich um sich geschossen, berichteten Vertreter der Opposition. Die Vereinten Nationen stehen unter Zugzwang, umso mehr, als das Syrien-Veto im Sicherheitsrat jüngst scheiterte. Das Blutvergießen soll nun der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan stoppen, der zum Sondergesandten für Syrien ernannt wurde. Zuvor hatte der amtierende General Ban Ki Moon gesagt, was sich in Syrien abspiele, sei  „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. „Wohngebiete werden willkürlich beschossen, Krankenhäuser als Folterzentren genutzt und Kinder, zum Teil nur zehn Jahre alt, werden angekettet und misshandelt.“

Aktham Abazid wird selbst Ende Mai Vater. Seinem Kind werde er auf keinen Fall die syrische Staatsbürgerschaft weitergeben, sagt Abazid, der auch den deutschen Pass hat. Der studierte Umweltingenieur trägt Cordhosen und Wanderschuhe; er sitzt in einem kargen, mit  IKEA-Möbeln ausgestatteten Hinterzimmer im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Der Weg führte durch zwei Innenhöfe in die fünfte Etage eines Gründerzeithauses, vorbei an einer stählernen Einbruchschutztür und durch ein Großraumbüro der alternativen Künstlerszene.

Hier ist die Zentrale des Vereins „Adopt a Revolution“, der die syrischen Oppositionellen mit „Revolutionspatenschaften“ unterstützen will. Bislang hat das Netzwerk rund 700 Unterstützer. An einem Whiteboard hängt ein A3-Blatt, darauf sind die Projektziele in roter Farbe markiert. Ganz oben: „Promi-Appell in der IV. Woche“. 

Initiator und Pressesprecher Elias Perabo, Kapuzenshirt und mittellange Haare, sagt, dass der Promi-Appell erst später kommen soll. Momentan seien Netzwerkpflege und Spenderkommunikation wichtiger. „Adopt a Revolution“ schickt die Werkzeuge des Widerstandes nach Syrien – Smartphones, Kameras, SIM-Karten und Netzanschlüsse sind die wichtigsten. Aber auch Geld, denn die Revolutionäre brauchen „Drucker, Papier, sie müssen umherfahren, kommunizieren“, wie Abazid erklärt. „Die Revolutionäre machen das schon selbst, aber sie brauchen, wenn sie regelmäßig zusammengeschossen werden, von außen auch mal eine klitzekleine Motivationsspritze – und dann geht der Protest weiter.“

Abazid arbeitet auch noch für eine deutsch-syrische Nichtregierungsorganisation, die er gegründet hat, den „Lien e.V.“, das heißt Barmherzigkeit auf Arabisch. „Da geht es eher um Hilfe für die Familien und Opfer, also Medikamente, Decken, Lebensmittel. Eine fünfköpfige Familie braucht zum Überleben etwa 200 Euro im Monat“, erklärt der Deutsch-Syrer. Über Mittelsmänner werden die Spenden zu den Flüchtlingen in die syrischen Nachbarländer transportiert, aber auch in die Hochburgen des Widerstands. [video:Gewalt in Syrien: Opposition macht im Ausland mobil]

Es ist ein Wettlauf gegen den Tod. Erst vor ein paar Tagen hatte Abazid mit einem Aktivisten vor Ort telefoniert. Das Geld sei angekommen, sagte dieser. Am nächsten Tag war der Mann nicht mehr am Leben.

Während er das erzählt, umklammert Abazid sein Glas Mineralwasser so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. Vor zwölf Jahren kam er zum Studium nach Deutschland, sein hier lebender Onkel unterstützte ihn finanziell. Seitdem kehrte er kaum noch in seine Heimat zurück. Denn dort wäre er zur Armee eingezogen worden, der Wehrdienst dauert 21 Monate. 2009 hat er seine Familie zum letzten Mal besucht.

Seite 2: „In Syrien gibt es insgesamt 16 Geheimdienste“

Als vor elf Monaten in Dara’a die Proteste ausbrachen, waren die Abazids in den ersten Reihen der Aufständischen. „Es war an einem Freitag im März 2011, als mein Bruder Ibrahim die Moschee verließ.“ Draußen hätten schon die Sicherheitskräfte gewartet. Einige aufgebrachte Jugendliche versammelten sich vor der Al-Omari-Moschee zu einer Demonstration, die schnell von Sicherheitskräften aufgelöst wurde. „Mein Bruder sagte mir noch: Der Mann, der da in dem Youtube-Video die weiße Fahne schwingt, das bin ich.“ Mittlerweile lebt auch Ibrahim Abazid im Exil, in Jordanien.

Sofort wurde Aktham Abazid in Berlin aktiv, protestierte jeden Freitag vor der syrischen Botschaft. Einmal organisierte die diplomatische Vertretung eine Pro-Assad-Demonstration. Abazid war der einzige Gegendemonstrant – und wurde von der Polizei auf die andere Straßenseite geführt. Immer wieder hätten Botschaftsmitarbeiter Fotos von ihm und den anderen Aktivisten gemacht. „Das waren Agenten“, sagt der Rebell. „In Syrien gibt es insgesamt 16 Geheimdienste.“

Kurz danach erhielten seine Angehörigen in Dara‘a Anrufe. Was denn ihr Sohn in Deutschland da für Dummheiten mache? Ob sie ihn nicht zur Vernunft bringen könnten? Zweimal seien Sicherheitsbeamte ins Haus von Abazids Mutter gekommen, erzählt der 38-Jährige. Ein Onkel sei sogar zum Verhör einbestellt worden. Der junge Mann hat eine große Familie, „13 meiner Verwandten sitzen in Haft, vier sind aus dem Land geflohen.“ [gallery:Ägypten: Ein Land im Umbruch]

Dass der syrische Geheimdienst Oppositionelle ausspäht und über Familienangehörige zu Hause unter Druck setzt, ist für Abazid sicher. Anfang Februar wurden in Berlin zwei mutmaßliche Spione verhaftet. Der 34-jährige Syrer Akram O. und der 47-jährige Deutsch-Libanese Mahmoud al-A. sollen für den syrischen Geheimdienst ein Agentennetz aufgebaut und Informationen über Regimekritiker weitergegeben haben. Akram O. soll sogar in der diplomatischen Vertretung als Pressesprecher fungiert haben. Die Angelegenheit löste fast eine diplomatische Krise aus: Das Außenministerium bestellte den syrischen Botschafter ein.

„Adopt a Revolution“ begann  im November vergangenen Jahres mit seiner Arbeit. Die Initiatoren Elias Perabo und Andre Find hatten da schon Kontakt zu Cyber-Aktivisten aufgenommen; Perabos Interesse war durch eine Syrien-Reise im Frühjahr geweckt worden. Dann suchten sie in Deutschland Partner, „denn wir können ja kein Arabisch und stecken nicht in den syrischen Netzwerken drin“, erklärt Perabo. So kamen sie auf Aktham Abazid. „Das waren die ersten Deutschen, die mich dazu kontaktierten“, sagt dieser, „und ich dachte, hey, klasse.“

Der Verein erstellte eine Webseite, schickte Nachrichten durch soziale Netzwerke, organisierte Filmmaterial für deutsche Fernsehsender. Das Medieninteresse war gewaltig, Mitte des Monats stellte der Verein seine Ziele auf der Bundespressekonferenz vor. Die Opposition ist ein Vollzeitjob geworden. Wie lange die Aktivisten das noch machen wollen, wissen sie auch nicht. „So lange, bis Assad gestürzt ist“, sagt Perabo, „und noch länger.“ Denn dann beginnt die politische Arbeit für ihn und die Exilrevolutionäre erst richtig – schließlich muss der Übergang zur neuen Staatsform organisiert werden.

Perabo drückt es so aus: „Wir wollen nicht, dass aus Syrien ein zweites Ägypten wird.“

Fotos: picture alliance, privat

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