Überführung des Sargs der verstorbenen Königin Queen Elizabeth II. vom Buckingham Palace über The Mall zur Westminster Hall / dpa

Britische Traditionspflege - God save Britannia!

Großbritannien ist sowohl traditionsverhaftet als auch freiheitsliebend. Kein Wunder, dass das für viele Deutsche nicht zusammenpasst, sind sie doch zumeist weder das eine noch das andere. Dabei wünschen sich manche insgeheim, es gäbe so etwas auch in Deutschland: Anführer mit Integrität, Rückgrat und Verlässlichkeit, die nicht nur dem Zeitgeist hinterherhechten.

Matthias Heitmann

Autoreninfo

Matthias Heitmann ist freier Publizist und schreibt für verschiedene Medien. Kürzlich hat er das Buch „Entcoronialisiert Euch! Befreiungsschläge aus dem mentalen Lockdown“ veröffentlicht. Seine Website findet sich unter www.zeitgeisterjagd.de.

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Ich bin wahrlich kein Monarchist. Dementsprechend interessieren mich die Zeremonien um die Beerdigung der britischen Königin Elizabeth II. kein Stück. Aber wenn ich mir ansehe, für was die pseudo-modernen Eliten und „Ökoristokraten“ unserer Zeit stehen und wie sehr verbunden sich ihnen der neue britische König Charles III. fühlt, dann halte ich doch lieber an manchen Wertvorstellungen der guten alten Elizabeth fest. 

Viel spannender als die Ereignisse im Vereinten Königreich sind für mich die Reaktionen in Deutschland. Die öffentliche Meinung hierzulande scheint sich grob in zwei Lager aufzuteilen: Der eine Teil verfolgt die Inszenierung – verstohlen auf Bildschirme schielend oder öffentlich an ihnen klebend –, um den Glamour und das Glitzern der Krone aufzusaugen. Insgeheim wünschen sich manche, es gäbe so etwas auch in Deutschland: Anführer mit Integrität, Rückgrat und Verlässlichkeit, die sich nicht im schmutzigen politischen Alltagsgeschäft besudeln und nicht dem Zeitgeist hinterherhechten, um in den Umfragen die Nase vorne zu haben. Diese stille Sehnsucht nach royalem Glanz ist in Deutschland ungebrochen; sie zeigt sich auch daran, dass die Klatschpresse weiterhin gut durch alle Krisen kommt. Häufig hat diese romantische Sehnsucht eine antidemokratische und auch offen reaktionäre Note.

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Christa Wallau | Fr., 16. September 2022 - 15:51

Sie beschreiben die Briten m. E. recht zutreffend.

Im Vergleich zum Durchschnittsdeutschen sind unsere Nachbarn von jenseits des Ärmelkanals viel debattenfreudiger und - vor allem - selbstbewußter. Sie kennen ihre Rechte, stehen zu ihrer Geschichte, äußern ihre Meinung freimütig, respektieren skurrile Außenseiter und gehen insgesamt lockerer miteinander um.

Einen besonderen Charakterzug möchte ich noch hinzufügen: Die Briten sind Realisten - durch und durch - trotz aller Königsseligkeit und
mancher privater Spinnereien!
Zu ihrem großen Vorteil und Glück gehen sie Ideologen niemals so leicht auf den Leim wie die Deutschen.

@Frau Wallau, überwiegend Zustimmung. Ideologen gehen die Engländer nicht auf den Leim, aber politischen Hasardeuren wie BJ durchaus. Und auch zur Rolle der Medien haben sie ein eher zwiespältiges Verhältnis - Diana Spencer war ein prominentes Opfer. Und das Verhalten der plötzlich hochgelobten Mitglieder des (deutschstämmigen) Hauses Windsor dabei ist ebenso zu hinterfragen.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 16. September 2022 - 17:08

Das hatten wir schon mehrfach und wir wissen alle wohin uns das geführt hat. Der letzte Anführer war eine Frau -gerne von der Presse Mutti- genannt, die ihre Kinder -das Volk- ein übles Erbe hinterlassen hat. Ein Führungsgremium mit Sachverstand ohne Parteipolitik bräuchte es mit unmittelbarer Kontrolle durch den Souverän, dass sachthematisch entscheidet und ideologiefrei agiert. Wir sollten die Queen bzw. den King nicht als politischen Führer verwechseln. Dieses royale Amt ist die Brücke zwischen Tradition, Vergangenheit hin zur Moderne, der Gegenwart. Man kann das eine mögen und das andere mit Sachverstand anstreben. Beides kann nebeneinander existieren. Uns hat man nach dem Krieg die Identität, den Stolz und das nationale Selbstwertgefühl genommen. Wo uns das hingebracht hat, kann jeder heute für sich selbst beurteilen. Ich wünsche mir deshalb, dass uns aus der geistigen Welt ein Weg gezeigt wird, auch diese Zeit ohne Angst und Panik, mit Zuversicht und Vertrauen zu bewältigen.

Walter Bühler | Fr., 16. September 2022 - 19:06

Ich möchte nur etwas ergänzen:: Der Alltag ist stärker von Höflichkeit geprägt, und die Achtung vor dem "Volkseigentum" und das aktive Engagement für das "Gemeineigentum" ist meinem Eindruck nach deutlich größer als bei uns. Sonst sind es einfach Menschen wie Du und ich.
Ich für meine Person vermisse sie in der EU, vor allem wenn ich Frau von der Leyen vor dem EU-Parlament beobachten muss.. Aber na ja, auch in England gibt es Politiker ohne Sinn für Würde, Stil und Ernsthaftigkeit.

David Johnson | Sa., 17. September 2022 - 00:06

Danke für diesen schönen, und zuweilen schmeichelhaften Lobgesang auf die britische Traditionskultur.
Ebenso wie Ihnen, erschließt sich mir nicht die Existenzberechtigung einer Monarchie.
Allerdings in den letzten Tagen ist mir ihre Identitätsstiftende Bedeutung für das britische Selbstverständnis klar geworden - wenigstens bei den meisten Engländern.
Mittelfristig wird sie sich wohl an die schwedischen oder spanischen Modellen anpassen müssen, und eine wesentlich untergeordnetere Rolle im gesellschaftlichen Leben einnehmen.
Zu Brexit: Meine deutschen Freunde haben nie begriffen, dass die Briten (naja, eine dünne Mehrheit davon) die EU nie als eine "Schicksalsgemeinschaft" wahrgenommen haben, auch nicht unreconstructed Remainers wie ich.
Mit wenigen Ausnahmen wird das Land medial in Deutschland dafür bestraft.
Und Broken Britain liefert zur Zeit allen Grund dazu.
Nach dieser opulenten und für mich manchmal bewegenden Trauerfeier kehrt eine bittere und kalte Alltagsrealität zurück.

Peter Rosenstein | Sa., 17. September 2022 - 06:05

Ich bin bei den meisten Ihrer Punkte mitgegangen, hätte sie gerne um Ironie und Selbstironie ergänzt, die prägenden Eigenschaften des britischen Nationalcharakters, der den Deutschen mehrheitlich komplett abgeht. Allerdings bin ich beim „kritischen Umgang mit der Geschichte“ hängen geblieben. Nein, das stimmt nicht. Es gibt außer den Spaniern kein europäisches Land mit derart viel Dreck am kolonialen Stecken und kein Land, das mit derart nonchalanten Achselzucken seit Jahrzehnten über die Gräuel hinweggeht.

Gabriele Bondzio | Sa., 17. September 2022 - 08:26

mit der Einteilung in zwei deutsche Lager, werter HerrHeitmann.
Aber ihre Schlüsse teile ich.
Geschichte besonders Englische Geschicht war schon immer mein Steckenferd.

Dazu gehören jede Menge Monarchen. Und auch hier interessieren mich hauptsächlich die menschlichen Aspekte ihres Wirkens und dabei entstandene kulturhistorische Schätze.

Und wenn ich königliche Beerdigung schauen möchte, schaue ich sie.
Bin aber derzeit sehr mit der trationellen Haltbarmachung von Gartenprodukten (einkochen) befasst.

Und so habe ich ...was verpasst?
Das kommt bestimmt noch X-Mal im Fernsehen.

Han Hube | Sa., 17. September 2022 - 10:27

Nun, der in meinen Augen wesentliche Vorteil Grossbritanniens liegt im Wahlsystem, welches, obwohl formal konstitutionelle Monarchie, die Idee der repräsentativen parlamentarischen Demokratie lebt - im Gegensatz zu D, wo die Führungsspitzen der Parteien bestimmen und die Abgeordneten - abgesehen von den wenigen Direktmandaten, deren Zahl auch noch reduziert werden soll - jederzeit ‚zittern‘, ob sie wieder aufgestellt werden.
„Das Unterhaus (House of Commons) besteht aus 650 Abgeordneten. Das Land ist in 650 Wahlkreise unterteilt, die von der Boundary Commission festgelegt werden und in denen je ein Abgeordneter nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt wird.“ Wikipedia
Ist auch nicht immer vor Klüngelei sicher, aber garantiert, dass eine respektable Anzahl von Abgeordneten die cojones haben (dürfen), sich auch gegen die Parteispitzen zu positionieren. Bestes Beispiel das Theater um den Brexit. So geht Demokratie …