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Autoritärer Kapitalismus in Ungarn? - Wie Viktor Orbán Sozialhilfeempfänger zur Arbeit zwingt

Der ungarische Premier Viktor Orbán verspricht bis 2018 Vollbeschäftigung. Sein Mittel: Arbeitslose werden zur Arbeit gezwungen, sonst werden Sozialleistungen gestrichen. „Közmunka“ heißt dieses Beschäftigungsprogramm – es ist Teil von Orbáns Konzept der „illiberalen Demokratie“

Autoreninfo

Philipp Daum ist Schüler an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München. Vorher hat er Politik, Geschichte und Jura in München und Santiago de Compostela studiert. Er schreibt für Cicero Online.

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Viktor Orbán ist auf dem Höhepunkt seiner Macht. Drei Jahre entfernt von der nächsten Wahl hat er immer noch eine satte Parlamentsmehrheit im Rücken. Er spielt russische und europäische Interessen gegeneinander aus, die Wirtschaft brummt – und jetzt auch noch das: Bis 2018 soll die Arbeitslosigkeit in Ungarn auf drei Prozent oder weniger sinken. Drei Prozent. Volkswirtschaftlich gesehen heißt das: Vollbeschäftigung.

Erreichen will Orbán dieses Ziel, indem öffentliche Beschäftigungsprogramme ausgeweitet werden, sogenannte Közmunka-Programme. Was verbirgt sich dahinter?

Die regierende Fidesz-Partei baute den ungarischen Wohlfahrtsstaat um. Sie kürzte die Laufzeit des Arbeitslosengeldes von neun auf drei Monate. Danach wird Sozialhilfe gezahlt; momentan etwas weniger als 100 Euro im Monat, das reicht auch in Ungarn kaum zum Leben. Közmunka bedeutet nun, dass auch dieses wenige Geld erst verdient werden muss. Seit 2012 müssen Sozialhilfeempfänger an den kommunalen Beschäftigungsprogrammen teilnehmen, um ihren Anspruch auf Sozialhilfe nicht zu verlieren. Meist sind das einfache Arbeiten wie Schnee schippen oder Gärtnern. Befreit ist nur, wer nachweisen kann, nicht arbeitsfähig zu sein. Wer das nicht kann und trotzdem nicht arbeitet, dem wird das Sozialgeld gekürzt oder gestrichen. Wer in der Közmunka arbeitet, bekommt vom Staat einen Zuschlag auf sein Sozialgeld. Die Idee hinter dem Projekt ist, dass Arbeitslose von den Beschäftigungsprogrammen in reguläre Jobs wechseln.

Közmunka spielt der rechtsextremen Jobbik in die Hände
 

Doch Közmunka ist umstritten. Kritiker sprechen von Zwangsarbeit, es ist von rassistischen Schikanen die Rede, vor allem gegen Roma. So zitierte die Budapester Online-Tageszeitung „Pesterlloyd“ aus einem Bericht des ehemaligen Ombudsmann für Minderheitenrechte, Ernö Kallai. Im kleinen Dorf Gyöngyöspata würden die Roma des Ortes vom Bürgermeister, der Mitglied der rechtsextremen Jobbik-Partei ist, mit sinnlosen und anstrengenden Tätigkeiten beauftragt, überwacht von „magyarischen“ Sozialhilfeempfängern. Teilweise müsse mit bloßen Händen gearbeitet werden, es gebe keine Toiletten, die Arbeiter hätten die vier Kilometer lange Strecke zum Arbeitsort zweimal täglich laufen müssen. Die Umsetzung des Programms sende eine „deutliche Message“ an die Roma, dass sie sich unterordnen müssten, so Kallai.

Közmunka ist aber nicht nur ein Beschäftigungsprogramm. Es ist ein Baustein in Orbáns Politik, die ungarische Gesellschaft umzubauen. Der Premier inszenierte das Land immer wieder als Gegenmodell zur liberalen Gesellschaftsordnung des Westens. Und die Wirtschaftspolitik spielt darin eine ideologische Rolle.

Das wurde an einer Rede deutlich, die Orbán im Juli 2014 vor Studenten einer Sommerakademie hielt. Orbán zufolge offenbarten sich in der Finanzkrise von 2008 die Schwächen der liberalen Demokratien – und die Stärken anderer Systeme, die die Krise besser überstanden: Länder wie Singapur, China, Indien, Russland und die Türkei: alles erfolgreiche, aber nicht liberale Systeme. In seiner Rede sagte der ungarische Premier einen entscheidenden Satz: „Wir versuchen, eine Form der Gesellschaftsordnung zu finden, den neuen ungarischen Staat, der in der Lage ist, unsere Gemeinschaft auf Jahrzehnte hin wettbewerbsfähig für den globalen Wettlauf zu machen.“ Dieser „neue Staat” sei zwar demokratisch, so Orbán, aber „illiberal.“ Und dieser Staat basiere auf dem Prinzip der Arbeit: „Wir wollen eine auf Arbeit aufbauende Gesellschaft errichten.“

Orbáns Kampf gegen Medien, Obdachlose und Homosexuelle
 

Die Rede fand einige Beachtung im Ausland – und Orbán einen sehr prominenten Kritiker: Der amerikanische Expräsident Bill Clinton nannte ihn in einem Interview mit der „Daily Show“ einen Bewunderer des „autoritären Kapitalismus“

Einige Wochen nach Orbáns Rede führte die Fidesz-Regierung Razzien gegen unliebsame NGOs durch – Orbán hatte sie zuvor als „vom Ausland bezahlte politische Aktivisten“ bezeichnet. Auch davor schon war die ungarische Regierung durch autoritäre Maßnahmen in die Schlagzeilen geraten. Sie verbot Obdachlosen, sich an öffentlichen Plätzen aufzuhalten; sie beschnitt die Pressefreiheit durch drastische Steuern. Und Orbáns Sonderbeauftragter für Kulturfragen, Imre Kerényi, rief schon mal zum Kampf gegen die „Lobby der Schwuchteln“ auf.

Driftet Ungarn also in Richtung eines autoritären Kapitalismus ab? Experten sind skeptisch. Für Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist Viktor Orbán eher eine „originelle Kombination aus Che Guevara, Charles de Gaulle und Ludwig Erhard“. Die revolutionäre Rhetorik, die den Westen herausfordert, habe er von Guevara; von de Gaulle borge er sich die dirigistischen Elemente, mit denen der Staat zum Nutzen des nationalen Wohls in die Wirtschaft eingreife. Und Elemente von Ludwig Erhard fänden sich in einem gesellschaftlichen und politischen Leitbild, das kooperatives Miteinander, weniger Konflikt und Konkurrenz betone.

Tatsächlich verfolgt Orbán laut eigenem Bekunden eine „unorthodoxe Wirtschaftspolitik“. Dort finden sich wirtschaftsliberale Elemente wie die „Flat Tax“ von 16 Prozent, die 2011 eingeführt wurde und die vor allem den Reichen zugute kommt; außerdem liberalisierte die Fidesz-Partei den Arbeitsmarkt. Auf der anderen Seite zahlen Banken mittlerweile vier mal so viele Steuern wie vor Orbáns Amtsantritt 2010; auch internationale Supermarktketten, Energiekonzerne und Telekommunikationsfirmen müssen Sondersteuern entrichten. Die Mehrwertsteuer wiederum liegt in Ungarn bei 27 Prozent – Spitze in Europa.

„Orbán will einen nationalen Mittelstand aufbauen“
 

„Orbán will einen nationalen Kapitalismus aufbauen“, sagt Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang: Einen Staat mit einer starken industriellen Produktionsbasis, einigen wenigen ausländischen Investoren vor allem im realwirtschaftlichen Bereich (zum Beispiel deutsche Automobilkonzerne); aber wenig Sympathie für das Dienstleistungswesen und (ausländische) Banken. Orbán setze auf kleine mittelständische Unternehmen – er wolle einen „nationalen Mittelstand“ aufbauen, der sich den Leitnormen Familie, Religion, Nation und Arbeit verpflichtet fühle.

Das Közmunka-Programm passt perfekt in diesen Eklektizismus: Es ist wirtschaftsliberal und autoritär zugleich. Es ist liberal, weil es die Leistungen des Sozialstaates kürzt bzw. an Arbeit koppelt. Und gleichzeitig spricht es den ordnungsliebenden ungarischen Kleinbürger an. „Die Botschaft ist populistisch und lautet: ‚Wir, die wir jeden Tag arbeiten, formen eine Gesellschaft, wo auch die Faulenzer arbeiten müssen.‘ Und dann klatschen alle Beifall“, sagt Wolfgang Klotz von der Heinrich-Böll-Stiftung.

Unter anderem deswegen ist Viktor Orbán beliebt. Aber wie erfolgreich ist seine Wirtschaftspolitik? Das ungarische Bruttoinlandsprodukt ist zuletzt um 3,6 Prozent gewachsen. Das ist der höchste Wert in der EU. Allerdings wurden in diesem Jahr auch EU-Gelder ausgezahlt, die in die Zahl einfließen. Die Arbeitslosigkeit sank in den vergangenen vier Jahren, in denen Orbán regiert, von 11,2 auf 7,7 Prozent – das liegt auch daran, dass die in Közmunka-Programmen Beschäftigten aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen.

„Das Ziel des Közmunka-Programms wurde nicht erreicht“
 

2018 wird in Ungarn gewählt. Für 2018 hat Orbán Vollbeschäftigung versprochen, auch durch die Ausweitung von Közmunka. Sein Problem ist, dass es nicht unendlich viel gemeinnützige Arbeit gibt – das Programm hat also natürliche Grenzen. Der Ökonom Sándor Richter vom Wiener Institut für vergleichende Wirtschaftsforschung meint: „Das Ziel des Közmunka-Programms wurde nicht erreicht.“ Untersuchungen zeigten, dass nur sehr wenige Leute von der gemeinnützigen Arbeit auf den regulären Arbeitsmarkt überwechseln könnten. Ein weiterer Kritikpunkt: Klamme Kommunen nutzten das Beschäftigungsprogramm, um ihre Ausgaben zu senken. „Es gab schon Beispiele von Gemeinden, die Angestellte entließen, um sie durch Arbeitslose zu ersetzen“, so der ungarische Ökonom.

Wie realistisch ist also eine Vollbeschäftigung in drei Jahren? Richter glaubt nicht daran. Dafür müsse die ungarische Wirtschaft jedes Jahr um vier bis fünf Prozent wachsen. Er prognostiziert eher eine mittelfristige Wachstumsrate von zwei Prozent.

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Thomas Lamm | So., 27. August 2017 - 09:20

Fehlt bei uns auch .Dann wurden halb so viele Arbeitslose rum laufen.Es kann nicht sein das ein Arbeiter mit 2 Kindern weniger Geld kriegt wie ein Sozi.