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Arndt Freytag von Loringhoven wird wahrscheinlich keine leichte Amtszeit haben / dpa

Deutscher Botschafter in Polen - Die Nazi-Keule

Arndt Freytag von Loringhoven sollte bereits im Juli Deutschlands neuer Botschafter in Polen werden. Nun wurde er es im September. Ein Beispiel dafür, wie die Nationalkonservativen in Polen mit Geschichte Innenpolitik machen. Mit leichter Unterstützung Deutschlands.

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Witold Waszczykowski ist seit Januar 2018 nicht mehr polnischer Außenminister. Doch der heutige PiS-Europaabgeordnete, der während seiner Amtszeit in einem Interview mit der Bild Radfahrer und Vegetarier als den „traditionellen, polnischen Werten“ ferne Gruppe bezeichnete oder gar Verhandlungen mit dem imaginären Staat San Escobar geführt haben will, erlebt in den letzten Tagen in den polnischen Medien eine Renaissance. Und das nicht nur in derjenigen Presse, die aus ihrer Nähe zu der PiS kein Geheimnis macht. 

Der Grund für diese neuerliche Präsenz des ehemaligen polnischen Chefdiplomaten heißt Arndt Freytag von Loringhoven. Seit dem 1. September Deutschlands neuer Botschafter in Warschau, dessen Ernennung zu einer Belastung für das deutsch-polnische Verhältnis wurde. Für diejenigen, die dies nicht mitbekommen haben sollten: Mit dem Agrément, wie auf diplomatischer Ebene die Zustimmung des Gastgeberlandes für den Gesandten heißt, hat sich Polen drei Monate Zeit gelassen.

„Hitlers Adjutant“

Laut polnischer Medienberichte soll sich der allmächtige PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński persönlich gegen den deutschen Spitzendiplomaten ausgesprochen haben, da sein Vater Bernd Freytag von Loringhoven vom Juli 1944 bis zum 30. April 1945 Adjutant des Generalstabschefs Heinz Guderian und somit auch Teilnehmer an den militärischen Lagebesprechungen im Führerbunker war. Was dazu führte, dass man ihn in den letzten Wochen in Polen schlicht und historisch verfälscht zu „Hitlers Adjutanten“ machte.  

„Ich wollte nicht daran erinnern, aber in dem Fall würde sich Deutschland nicht so etwas erlauben“, antwortete Waszczykowski in einem nun am Dienstag erschienen Interview für die Tageszeitung Dziennik Gazeta Prawna auf die Frage, ob Deutschland einen Diplomaten mit solch einem familiären Hintergrund auch zum Botschafter in Israel machen würde. Dass Polen hier nun nachgegeben hat, erklärte sich Waszczykowski nur durch deutschen „Druck“, wenn nicht gar „Erpressung“. Mögliche Themenfelder, mit denen Berlin nach Meinung des PiS-Politikers Warschau hätte erpressen können, wären der EU-Haushalt, die Energiepolitik und die engen Wirtschaftsbeziehungen.  

Ein entlarvender Satz

Waszczykowskis Meinung ist nicht stellvertretend für das gesamte nationalkonservative Lager. Sein Nachfolger Jacek Czaputowicz, der am 20. August zurückgetreten ist, bedauerte jüngst in einem Interview, dass sich die Akkreditierung für den deutschen Diplomaten so in die Länge gezogen hat. Und Marcin Przydacz, Staatssekretär im Außenministerium, widersprach gar vor Millionen von Fernsehzuschauern Waszczykowskis Erpressungs-Vorwürfen gegenüber Deutschland.

Dafür gab dieser einen anderen entlarvenden Satz von sich: „Es war ein langer Prozess, der ein Ziel hatte und darüber haben wir gesprochen. Es ging um die Sensibilisierung des neuen Botschafters bezüglich historischer Themen, auch bezüglich seiner Familiengeschichte, dass die Geschichtsthematik für Polen wichtig ist, und dass diesbezüglich die polnische Empfindsamkeit beachtet werden muss. Es scheint, als ob dies erreicht wurde“, so der Staatssekretär. 

 

Auch wenn die Nationalkonservativen es offiziell verneinen, doch der Verweis auf die „Familiengeschichte“ bedeutet nichts anderes als Sippenhaft. Für den Vertreter eines demokratischen Staates, der elf Jahre nach dem Untergang des Dritten Reichs das Licht der Welt erblickte. Eine Sippenhaft, die Arndt Freytag von Loringhoven auch sein Amt in Polen erschwert, wie bereits seine ersten Tage an der Weichsel zeigten.

„Papi (der kleine Arndt saß auf den Knien des Vaters), wie war das im Bunker von Onkel Adolf?“, twitterte der Journalist Maciej Świrski. Ausgerechnet als Reaktion auf von Loringhovens Besuch im Museum des Warschauer Aufstands, bei dem er sich von der Ausstellung und dem dort dokumentierten Leid berührt zeigte. Und Świrski ist nicht irgendwer. Die Projekte der „Liga für den guten Namen Polens“, welcher dieser vorsteht, werden vom polnischen Staat gefördert.  

Antideutsche Rhetorik

Und Sprüche dieser Art gehören seit dem Amtsantritt von Arndt Freytag von Loringhoven in den sozialen Netzwerken zum Alltag. Selbst das PiS-nahe Wochenmagazin „Sieci“ widmete ihm noch diese Woche seine Titelseite. „Der Kampf um den Botschafter Deutschlands“, ist auf dem Cover des Blattes zu lesen, das Polen auch gleich zum Sieger in diesem „Kampf“ erklärt hat. Der Grund: Man habe nicht nur Polens Standpunkt wegen historischer Fragen klargestellt, sondern Arndt Freytag von Loringhoven so geschwächt, dass er alles tun wird, was die polnische Seite möchte. 

Es ist eine nach innen (wie immer bei der PiS), im Wahlkampf erprobte antideutsche Rhetorik, die noch ein anderes Element der nationalkonservativen Politik offenbart: die Geschichte. Keine andere Partei in Polen trägt diese so sehr auf ihrem Schild, wie die PiS. Diese schwarz-weiße Geschichtspolitik führt dazu, dass mittlerweile selbst der umstrittenen „Heiligkreuz Brigade“ ein Denkmal errichtet werden soll. Ausgerechnet der einzigen Gruppierung, die während des Zweiten Weltkriegs mit den deutschen Besatzern kollaborierte. Für die Nationalkonservativen, in deren Welt es keine polnischen Mittäter gab, sind auch sie Helden.  

Deutschland schafft es nicht

Für diesen nach innen gerichteten Opfermythos ist die PiS auch bereit, außenpolitische Beziehungen zu belasten. Schon das „Holocaust-Gesetz“ von 2018 führte zu enormen diplomatischen Spannungen zwischen Polen und Israel. Doch im Fall von Arndt Freytag von Loringhoven wäre es zu einfach, mit dem Finger nur auf Polen zu zeigen. Die nationalkonservative Geschichtspolitik funktioniert auch deshalb, weil man in Deutschland es bis heute nicht schafft, an das schreckliche Leid der Polen, ebenso wie der anderen Osteuropäer, während des Zweiten Weltkriegs zu erinnern.

Und dies zeigt eindrucksvoll die seit Jahren andauernde und in Polen genau beobachtete Debatte um ein mögliches Polen-Denkmal in Berlin. Bei den Überresten des Anhalter Bahnhofs, wo dieses laut den Initiatoren und Stimmen aus der Politik ursprünglich entstehen sollte, wird nun zuerst ein Exil-Museum errichtet. Dieses soll an die rund 500.000 Exilanten erinnern, die während der NS-Zeit Deutschland verlassen haben. Während des Zweiten Weltkriegs starben sechs Millionen polnischer Staatsbürger. Davon waren die Hälfte Juden. 

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Dieter Erkelenz | Mo., 14. September 2020 - 07:28

Als ich kurz nach der Wende nach Polen reiste, um in Danzig an einem Vortrag von Lech Walensa teil-
zunehmen, organisiert von der FdP, bemerkte ich unterwegs durch die ehemalige DDR bei meinen dortigen Landsleuten, erhebliche Vorbehalte gegen
Polen. Sie gipfelten in dem Ausdruck "polnische Misswirtschaft". Beim Überschreiten der Grenze
und zur Fahrt nach Danzig stellte ich zu meinem Erstaunen im Gegensatz zum Osten Deutschlands
dort blühende Dörfer , Landschaften und Städte fest.
Es könnte vermutlich wahrscheinlich sein, dass bei unserer Bundeskanzlerin noch gewisse Vorbehalte gegen Polen vorhanden sind. Anders ist die Bestellung des jetzigen Botschafters hinsichtlich der Historie Deutschland-Polen meines Erachtens nicht zu verstehen.
Zur selben Zeit hatte ich hier im Westen in der Folgezeit verschieden Gäste, Professoren der weltlichen Universität Lublin (im Austausch der hiesigen Uni), zu Gast und musste in intensiven Gesprächen und Diskussionen bei vielen einen ...

Gerhard Lenz | Mo., 14. September 2020 - 11:30

Antwort auf von Dieter Erkelenz

Da gehört doch ein Kaczynski, neben Typen wie Orban und natürlich Putin, wegen seiner rechtskatholisch-nationalistischen Ausrichtung eigentlich zu den Helden der deutschen Rechtspopulisten.

Die sich ja ständig über "Schuldkult" und "Nazi-Keule"echauffieren.

Und ausgerechnet einer ihrer "Helden" macht jetzt davon Gebrauch?

Peinlich, peinlich.

Ich kann mich noch an die Jubelchöre anlässlich der polnischen Präsidentschaftswahlen in diesem Forum erinnern. Da wurden Kaczynski und dessen Präsidenten-Gehilfe ordentlich bejubelt.

Peinlich, peinlich.

helmut armbruster | Mo., 14. September 2020 - 07:57

es ist nämlich einfach absurd jemand wegen seines "Hintergrundes" (was für ein scheußliches Modewort!) zu diskriminieren.
Jeder hat schließlich irgendeinen Hintergrund, für welchen er persönlich nichts kann. Jeder hat auch einen genetischen Hintergrund, für welchen er erst recht nichts kann. All diese Hintergründe muss man einfach nur tolerieren. Sie dürfen nicht instrumentalisiert werden.
Richtig unangenehm wird es, wenn die Politik, anstatt mit sachlichen Argumenten ihre Position zu vertreten, aus den vielen vorhandenen Hintergründen sich den für sie passenden aussucht und emotional und ideologisch aufläd und für Diskriminierung nutzt.
Also Finger weg von solchen Machenschaften. Niemand ist dafür verantwortlich, was seine Vorfahren getan oder nicht getan haben. Man kann ihm das nicht persönlich zum Vorwurf machen.
Jeder ist nur für sich selbst verantwortlich und nur daran muss er sich messen lassen.

Das sind doch alles immer mal wiederkehrende Provokationen, kleine Nadelstiche, mal sehen, wie die Gegenseite reagiert.
Sippenhaft geht gar nicht.
"Also Finger weg von solchen Machenschaften. Niemand ist dafür verantwortlich, was seine Vorfahren getan oder nicht getan haben."
Wir hier im Forum sind nicht verantwortlich, kein Mensch ist dafür verantwortlich, was "unsere" Vorfahren getan oder nicht getan haben.
Hier soll wieder der deutsche "Schuldkomplex" gekitzelt werden. Da sollten niemand mehr lachen.

...für sie passenden aussucht... um ihre Position zu vertreten!-
nie war doch das anders. Zum jetzigen Zeitpunkt. Und das Weltweit.
„Und das nicht nur in derjenigen Presse, die aus ihrer Nähe zu der PiS kein Geheimnis macht.“ Wem gehört also die Presse?- Die Frage ist leicht zu beantworten: Die große Mehrheit der Presse gehört deutschen Verlegern. Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern ist in Polen derzeit eine Konzentration des Medienmarktes zu beobachten...“
www.bpb.de/internationales/europa/polen/40796/wem-gehoeren-die-medien
„...allmächtige PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński persönlich gegen den deutschen Spitzendiplomaten ausgesprochen haben..“, na ja,
Denk ich an Polen in der Nacht:
„Wer Rachsucht in seinem Herzen birgt, gleicht dem,
der eine Schlange am Busen nährt.“ so
Ephräm der Syrer (um 306 – 373).

Martina Moritz | Mo., 14. September 2020 - 11:27

Die Besetzung des Botschafterpostens mit F. v. Loringhoven zeigt einmal mehr anschaulich, dass es der deutschen Politik zuweilen einwenig an Fingerspitzengefühl zu hapern scheint, insbesondere in der Justierung der Außenpolitik. Sie scheint stets nach dem geeigneten Maß zu suchen, wann es sinnvoll erscheint, die histiorischen Aspekte Deutscher Politik auch in der gegenwärtigen politischen Interaktion zu berücksichtigen oder als historischen Bestandteil der Landesbiografie ruhen zu lassen; gemessen an den Jahren, die seither verhgangen sind. - dabei wäre ein empatisches Einfühlen recht einfach, wenn die Haltung eingenommen würde, die beiden Staaten Polen und Deutschland als Soziale Personen wahrzunehmen, welche eine gemeinsame Biografie teilen. Dies unter dem Aspekt einer erlittenen Verletzung, welche durch Vernarbung niemals gänzlich in Vergessenheit geraten wird und dennoch ein erneutes Miteiander ermöglicht; (beidseitige) Empathiekompetenz vorausgesetzt.

Heidemarie Heim | Mo., 14. September 2020 - 11:47

Tatsächlich war mir diese Episode deutsch-polnischer Freundschaft wie die lgbtq-Problematik nicht bekannt. Doch ist sie ein Beispiel dafür, das sich ganz rechts wie ganz links nichts schenken wenn es darum geht "alte Rechnungen" zu begleichen, Vergangenheit, Historie hinzubiegen und dabei nicht scheut, Verstorbene, Denkmäler,Bauten,Gedichte,Musik einschließlich möglicher Nachfahren nach Bedarf für seine Zwecke,Ziele einzusetzen. Nicht umsonst gilt Politik seit jeher als schmutziges Geschäft bis hin zu Vergleichen mit dem ältesten Gewerbe der Welt.
Mit anderen Worten, die Nazi-Keule scheint eine Universal-Waffe für Jedermann und erfüllt zuverlässig weiterhin ihren Zweck. Da hilft auch keine diplomatische Immunität wie man sieht.
Wie andererseits die deutsche Diplomatie und das "Gedächtnis" bisweilen versagt zeigt das genannte Beispiel des Umgangs mit dem Anspruch der Polen auf Gedenken, die ihrerseits wiederum die Rolle damaliger Kollaborateure negieren und verklären.
Danke Hr.Dudek!

Fritz Alte | Mo., 14. September 2020 - 16:18

Wir sollten den Botschafter jetzt nicht hinschicken und die Stelle unbesetzt lassen. Die Arbeit kann ja, wo sie denn unbedingt nötig ist, hilfsweise irgendein untergeordneter Mitarbeiter übernehmen. So etwas, was die Polen gemacht haben, geht einfach nicht. Was wollen wir überhaupt dort? Vernünftig reden können wir nicht mit ihnen, der Botschafter würde also eh nichts erreichen. Bei der nächsten Gelegenheit sollten wir den polnischen Botschafter nachhause schicken und das war es dann gewesen.

Detlev Bargatzky | Di., 15. September 2020 - 10:08

... mit der Geißel traktiert, ständig auf den Knien rumrutscht und anderen sein Verhalten mit der Vergangenheit seiner Großeltern begründet, sollte sich nicht wirklich wundern, wenn Interessenvertreter, und nichts anderes sind Politiker, bei passenden Gelegenheiten diese Argumente aufgreifen und zum eigenen bzw. zum Nutzen des eigenen Landes einsetzt.