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Die Straßen und Parks sind in Paris wie leergefegt / dpa

Paris in Zeiten von Corona - Diese nie gekannte Ruhe

Die Pariser sind normalerweise stolz darauf, dass sie Regeln weitgehend für Schnickschnack halten. Ganz nach dem Motto: Toll, dass es sie gibt, aber sich dran halten? Gott bewahre. Das erklärt die drastische Rhetorik von Präsident Emmanuel Macron.

Kay Walter

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Kay Walter arbeitet als freier Journalist in Frankreich

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Nach der TV-Ansprache von Präsident Macron Montag Abend, in der er seine eigene These Frankreich sei im Krieg gegen das Virus gleich fünf Mal wiederholte, konnte man kurze Zeit den Eindruck gewinnen, etwas sei in Paris in Zeiten von Covid-19 anders. Regeln – das sind in Frankreich, insbesondere in Paris für viel Menschen meist eher Orientierungen, an die man sich ungern halten will.

Aber ab Dienstag Mittag, waren die Straßen der französischen Hauptstadt dann tatsächlich wie leergefegt, kein Restaurant geöffnet, die Bistros mit hochgestellten Stühlen verrammelt, kaum Privatwagen auf den Boulevards, dafür Kleintransporter im Lieferverkehr.

Risse in der Disziplin der Pariser

Die Stadt ungekannt still. Die Menschen in ihren Wohnungen. Alles komplett entschleunigt. Pausenmodus. Kein Mensch zu sehen auf den Champs-Élysees oder der riesigen Freifläche des Trocadéro vor dem Eiffelturm - abgesehen von diversen Kamerateams, die den historischen Moment festhalten wollten, nur um dabei von Polizeitrupps kontrolliert zu werden, ob sie die dafür notwendige Sondergenehmigung auch wirklich bei sich tragen.

Denn das ist das erstaunlichste: Der Staat hat nicht nur Regeln aufgestellt, er pocht auch auf deren Einhaltung. Saftige Strafgelder von 135 Euro für unbefugten Aufenthalt im öffentlichen Raum wurden nicht nur angedroht (wie etwa im Verkehr), sondern auch verhängt (sehr anders als im Verkehr). Genauso unfassbar, wie die nie gekannte Ruhe dieser Tage in Paris.

Es ist Frühling in Paris. Die Sonne scheint, 19 Grad, strahlend blauer Himmel, ein Traum. Und schon zeigen sich, keine drei Tage später, Risse in der Disziplin der Pariser. Bürgermeisterin Anne Hidalgo, im ersten Wahlgang der Kommunalwahlen vom Wochenende mit 30 Prozent der Stimmen und  überraschend großem Vorsprung eingekommen, beschwert sich zusammen mit Polizeipräsident Didier Lallement: „Einige Bereiche der Stadt werden auch weiterhin erheblich zu viel von Spaziergängern und Joggern frequentiert, insbesondere die Seine-Ufer, Champ-de Mars und die Stadtwälder Bois de Boulogne und Bois de Vincennes.“ Sie kündigt an, die Kontrollen zu intensivieren, ebenso wie das Aussprechen von Bußgeldern.

Die Pariser berufen sich darauf, der Präsident habe doch gesagt, den Hund auszuführen und ein bisschen Sport sei ausdrücklich erlaubt. Was kümmert da die Ansteckungsgefahr.

Blockierte Supermärkte in den Urlaubsorten

So erklären französische Freunde denn auch die für deutsche Ohren extrem martialische Rhetorik des Präsidenten. Nur so seien die Franzosen – und sie meinen damit vor allem die Pariser – davon zu überzeugen, das Allgemeinwohl vor ihr Eigeninteresse zu stellen. Klingt ziemlich verwegen, aber ein Blick in die Regionalzeitungen des Südens oder der Atlantikküste belehrt eines Besseren. Die Bürgermeister am Mittelmeer lassen die Strände sperren, weil zu viele Pariser die staatlich verordnete Ausgangssperre, als zusätzlichen Urlaub missverstehen. Und wirklich; die Reichen Pariser Familien verlassen die Stadt. Nicht nur einzelne Appartements in den wohlhabenden Vierteln stehen zur Zeit leer.

Wer ein Haus auf dem Land, am besten im Süden oder gar einer Insel hat, der ist weg. Ausgangssperre hin und Reiseverbot her. Ein Zweitwohnsitz machts möglich. Die Einheimischen auf der Île de Ré oder der Île d'Oléron fluchen, die Besitzer von Urlaubsdomizilen seien in Scharen eingefallen, blockierten Supermärkte und Straßen, nutzen das Frühlingswetter zum Strandurlaub und schleppten zu allem Überfluss noch das Corona-Virus auf den bislang kaum befallenen Inseln ein.

Eine Frage der Brieftasche

Solidarität, Respekt und gutes Benehmen sind auch in Frankreich manchmal eine Frage des Standpunkts. Oder der Brieftasche.

Keine Frage des Standpunkts ist allerdings, wie unterschiedlich das Risiko in Frankreich und Deutschland – um nur ein Beispiel zu nehmen – für all diejenigen ist, die sich mit dem Virus angesteckt haben. Die Fallzahlen sind in Deutschland mit rund 20.000 Infizierten höher als in Frankreich (12.000 Infizierte). Aber während Frankreich bereits 450 Tote zu beklagen hat, sind es in Deutschland gerade 70 (alle Zahlen laut John Hopkins University). Das liegt nicht an der Qualität des medizinischen Personals, und auch nur zum Teil an der Anzahl der verfügbaren Betten mit voller Ausstattung; es liegt auch daran, wie sehr die Menschen die Vorsichtsmaßnahmen ernst nehmen und real einhalten.

So gesehen, wird die unterschiedliche Rhetorik von Merkel und Macron nachvollziehbarer.

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