Cover der Cicero-Ausgabe Juni 2025
Cicero-Ausgabe Juni 2025 „Im freien Fall“ / Titelbild: Davide Bonazzi/Salzman International

Cicero im Juni - Epochenbruch

Eine Welt in Aufruhr: Der einst unerschütterliche Westen wankt. Die Weltordnung des 21. Jahrhunderts nimmt Form an, während die potenziellen Verlierer nach Orientierung suchen. Deutschland muss die geopolitische Realität anerkennen – sonst bestimmen andere.

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es geschieht nicht oft, dass man ein Ereignis live im Fernsehen verfolgen kann und einem sofort klar wird: Hier passiert gerade Weltgeschichte. Der Einsturz der New Yorker Twin Towers nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 war so ein Moment, ebenso der Fall der Berliner Mauer zwölf Jahre zuvor. Die Séance mit Wolodymyr Selenkyj, Donald Trump und J.D. Vance am 28. Februar im Oval Office markiert zweifelsfrei den jüngsten historischen Wendepunkt, dessen Tragweite derzeit noch gar nicht abgeschätzt werden kann. Sicher ist nur: Während der Konfrontation zwischen dem ukrainischen und dem amerikanischen Präsidenten sowie dessen Stellvertreter wurden die letzten Reste eines Projekts geschleift, welches viele Jahrzehnte lang als „Der Westen“ so unverbrüchlich schien, dass es kaum je hinterfragt wurde.

Deutschland muss sich der Wirklichkeit stellen

Natürlich deutet sich schon seit längerem an, dass die vermeintliche Wertegemeinschaft westlicher Demokratien unter Einschluss der Nato-Partner keine Ewigkeits​garantie besitzt. Aber dass es nach dem Regierungswechsel in Washington dann doch so schnell und brutal ablaufen würde, hat selbst abgebrühten Realisten den Atem stocken lassen – und in der deutschen Parteienlandschaft als Vorwand dafür gedient, sich noch schnell von der Schuldenbremse zu verabschieden. Doch letzteres ist allenfalls eine Fußnote wert, auch wenn mitunter so getan wird, als wäre die „Schwarze Null“ ein bundesrepublikanisches Erfolgsversprechen.

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In Wahrheit geht es natürlich um viel mehr. Der westliche „Werte-Goldstandard“, an dem der „Rest“ gemessen werden sollte, hat nämlich seine Bedeutung eingebüßt. So formuliert es Marc Saxer in der Titelgeschichte dieser Ausgabe. Und Saxer ist kein Beobachter aus dem Elfenbeinturm, sondern als Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Asien Bewohner des „Globalen Südens“ – und bekommt somit ganz direkt und ungefiltert mit, wie unsere neuen Konkurrenten ticken. Seine Beobachtung aus der Ferne: „In Deutschland ist dieser Epochenbruch noch nicht verstanden.“ Als wäre nichts geschehen, würden die geopolitischen Kämpfe um die neue globale Machtverteilung weiterhin als Systemrivalität zwischen Demokratien und Autokratien gedeutet. Aber wer die Zukunft mitgestalten will, sollte sich der neuen Wirklichkeit stellen – so unangenehm sie auch sein mag.

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Christoph Kuhlmann | Do., 22. Mai 2025 - 08:09

Trump stimmt mit Russland beim Recht des Stärkeren überein. Das hat nicht nur die SPD-Fraktion noch nicht kapiert sondern die Führer Europas, in welchem Format auch immer. Stärke gibt Recht, so das alte russische Sprichwort. Das interessante daran ist, das Russland dabei ziemlich schwach ausschaut. Es hätte auch in einem konventionellem Konflikt gegen den europäischen Teil der NATO keine Chance. (Deswegen posiert Medwedew so gerne vor Atompilzen.) Das Problem ist die Trump Administration. Sie denkt ebenfalls in den Bahnen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wir erinnern uns, zwei Weltkriege waren das Ergebnis dieser Logik. Was dem einen seine Ukraine ist, ist dem anderen Kanada und Grönland. Wer glaubt hier noch an Werte, wenn die Führungsmacht der NATO über die Annexion von NATO-Partnern fabuliert. Ich bin es leid, Trump irgendeine Logik oder Strategie zu unterstellen. Die USA sind Pleite und Trump und einige Milliardäre ziehen die Diktatur der Demokratie vor.

Hans Jürgen Wienroth | Do., 22. Mai 2025 - 08:37

„Der Westen“ hat Stärke versucht durch Moral zu ersetzen und ist damit grandios gescheitert. Man wollte und will Kriege „menschlich“ führen, während Terroristen auf Menschenleben keine Rücksicht nehmen. Man beruft sich auf Völker- oder Menschenrechte, die von den Gegnern nicht anerkannt werden.
„Der Westen“ hofiert China wegen der Absatzmärkte und übersieht dabei, dass dieses Land nur das techn. Know-how importieren wollte. Dabei werden rücksichtslos Produkte „kopiert“, durch Senkung von „Standards“ und Manipulation von Währungskursen die Märkte überschwemmt, Konkurrenz ausgeschaltet.
Statt den Partner (USA) zu unterstützen fällt man ihm in den Rücken.

Chris Groll | Do., 22. Mai 2025 - 08:44

Sehr geehrter Herr Marguier. In Deutschland ist in den letzten Jahren gar nichts verstanden worden. Selbst viele Bürger haben nichts verstanden und begriffen.
Habe heute morgen eine kurze Rede von Helmut Schmidt gehört. Es ging ums Klima. Von diesen Erkenntnissen sind unsere heutigen Politiker - Ausnahme die der AfD - weit entfernt. Das gilt auch für die Migration.
Wir sind in allem abehängt. Selbst in der Ökonomie, unsere frühere Stärke.
Der schlimmste Epochenbruch begann mit den LINKSGRÜNENWOKEN. Es ist zu hoffen, daß der jetzige Epochenbruch wieder die alten Grundlagen und Werte zurückbringt. Dazu gehören wirtschaflticher Verstand, Humanität und nicht nur Fernstenliebe, sondern auch Liebe zur eigenen Bevölkerung. Dieser "Wertewesten" und diese "unsere Demokratie" haben mir persönlich nichts mehr zu geben.
Gesellschaften, die Familien zerstören und den Glauben an Gott negieren, werden irgendwann untergehen. Ich hoffe, daß das bald geschieht.

Ernst-Günther Konrad | Do., 22. Mai 2025 - 11:40

Antwort auf von Chris Groll

Ich kann Ihre Resignation gut verstehen. Ich habe manchmal auch Depri-Phasen. Aber dann ist es meine Frau, die Kinder oder einfach nur nette Menschen um einen, die mich wieder zurück holen und mich immer wieder an das Sprichwort erinnern: Und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her. Und dieses Lichtlein ist in uns selbst, wir müssen es nur zum Leuchten bringen. Alles Gute für Sie persönlich und die Mitforisten.

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 22. Mai 2025 - 10:03

Herr Marguier.
So, wie man sich beim Papst die Frage stellen kann, wieviele Legionen braucht er, so würde ich für die letzten Jahrzehnte/Jahrhunderte mit einigen Ausnahmen die Frage auch für die Bundesrepublik/Deutschland stellen.
Ich bin deshalb sehr nachdenklich geworden.
Ich kann nicht sagen, dass ich das so erwartet hätte, aber auf ein Ereignis universalen Ranges hatte ich schon gewartet, für den Fall, dass sich manche Leute fragen, was ich u.a. so mache.
Wie auch immer, ich "befürchte", dass Europa diese Kraft besitzt.
Sehe bitte jeder selbst, wie er* sich dazu stellt, nach dem 2. Weltkrieg auch besonders in Deutschland.
Ich habe diese Problematik m.E. immer mal angedeutet und sie gedanklich, aber auch praktisch meinen Einschätzungen "zugrundegelegt", mein Handeln "daran" orientiert.
Ich bin immer sehr froh, wenn andere Sichtweisen dazu formuliert werden.
In meinen Augen heisst es die Realität verkennen, wenn man das nicht sehen könnte.
Hoffentlich irre ich mich.
Liebe Grüße

Sabine Lehmann | Fr., 23. Mai 2025 - 02:19

Eine Gesellschaft, eine Politik, eine Kultur u. eine Presse, die die eigenen Werte täglich beerdigt, in einem so atemberaubenden Tempo, dass man kaum noch hinterher kommt, hat sich von der Teilnahme auf der Weltbühne doch schon längst verabschiedet.
Begleitet von jammernden XX-Chromsomenträger*innen u. ebenso laut lamentierenden Wasserträgern, die ihre XY-Chromosomen zuletzt im Biologieunterricht der Oberstufe betrachtet haben, wird jeden Tag einer Zeremonie gleich, ein Stück unserer Identität mit der Klospülung heruntergespült. Übrig bleibt eine Gesellschaft von gelangweilten, abgestumpften und gänzlich ungebildeten Work-Life-Balance-Apologeten, die sich am besten darin gefallen, den Mammon der Andersartigkeit anzubeten. Bei Ausübung dieser neu erfundenen woken "Religion" drauf zu gehen, ist Teil des neuen Life-Style. Easy going: Kollateralschäden einer gänzlich degenerierten Epoche, die in die Geschichtsbücher eingehen wird als die Ära der Bekloppten & Bescheuerten: Cancel yourself!