Rentner in der chinesischen Provinz Yunnan
Rentner in der chinesischen Provinz Yunnan / picture alliance / imageBROKER | Bernd Bieder

Chinas demographische Krise - Peking sucht nach einem neuen Wirtschaftsmodell

Chinas Bevölkerung schrumpft und ist überaltert. Das ist eine schlechte Grundlage für konsumgetriebenes Wachstum. Doch auch das derzeitige exportorientierte Modell ist nicht mehr tragfähig.

Autoreninfo

Victoria Laura Herczegh, die fließend Mandarin, Spanisch, Französisch und Englisch spricht, ist Analystin bei Geopolitical Futures und Doktorandin für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Corvinus-Universität in Budapest.

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China wandelt sich von einer export- und investitionsorientierten Ökonomie zu einer Wirtschaft, die sich auf den Binnenkonsum stützt. Der Grund dafür sind die anhaltende wirtschaftliche Stagnation und das wachsende Risiko, dass das Land seine Wachstumsziele verfehlt. In der Vergangenheit konnte sich China auf seine große und stetig wachsende Bevölkerung als Grundlage für den wirtschaftlichen Fortschritt stützen, doch jetzt altert die Bevölkerung und schrumpft rasch. Ein vollständiger Übergang zu einem konsumbasierten Modell scheint vorerst außer Reichweite zu sein, was teilweise auf den demografischen Rückgang zurückzuführen ist. Tatsächlich hat sich der Verbrauch in den vergangenen Jahrzehnten in die entgegengesetzte Richtung entwickelt und ist von mehr als 63 Prozent im Jahr 2000 auf 53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 gesunken. Angesichts der sich verschärfenden Handelsspannungen und des Rückgangs der ausländischen Direktinvestitionen ist die Ankurbelung des Konsums jedoch die einzige praktikable Alternative zu Chinas dysfunktionalem, investitionsgetriebenem Modell.

Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes ist die Bevölkerung Chinas in den zurückliegenden drei Jahren jeweils erheblich geschrumpft: um 850.000 Personen im Jahr 2022, 2,08 Millionen im Jahr 2023 und 1,39 Millionen im Jahr 2024. Dieser Rückgang ermöglichte es Indien, China als bevölkerungsreichstes Land der Welt zu überholen, und Anfang 2025 wird die Bevölkerung Chinas bei 1,4 Milliarden liegen. Trotz staatlicher Subventionen und Anreize sind nur flüchtige Verbesserungen zu beobachten. China läuft nun Gefahr, alt zu werden, bevor es reich wird, was schwerwiegende Folgen für die gesamte Gesellschaft und insbesondere für die Wirtschaft haben wird.

Historisch gesehen hat China schon immer eine große Bevölkerung gehabt. Unter Mao Zedong lehnte die Kommunistische Partei die Familienplanung ab und verfolgte ein schnelles Bevölkerungswachstum als Quelle nationaler Stärke. Von 1949 bis 1976 verdoppelte sich die Bevölkerung nahezu und stieg von 540 Millionen auf 940 Millionen. Nach der Kulturrevolution und in Maos letzten Lebensjahren Anfang bis Mitte der 1970er Jahre machte sich die chinesische Führung jedoch Sorgen über die Fähigkeit der Nation, die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Es wurden Maßnahmen zur Bevölkerungskontrolle eingeführt. Die erste dieser Initiativen mit dem Titel „Später, länger, weniger“ hob das gesetzliche Heiratsalter für Frauen auf 23 und für Männer auf 25 Jahre an, forderte einen Mindestabstand von drei Jahren zwischen den Geburten und begrenzte die Zahl der Kinder in Familien auf zwei. Die Regierung richtete Geburtenplanungsbüros ein, die mit den lokalen Behörden zusammenarbeiteten, um die Nichteinhaltung der Vorschriften zu sanktionieren.

Eine weitere Hinterlassenschaft der Ein-Kind-Politik ist das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern

Die Kampagne, die im Laufe der Zeit immer strenger wurde, führte zu einem drastischen Rückgang der Fruchtbarkeit: von 6,1 Kindern pro Frau im Jahr 1970 auf 2,7 im Jahr 1980. Im Jahr 1980 folgte die berüchtigte Ein-Kind-Politik, die städtische Paare auf ein Kind beschränkte und zu zahlreichen Zwangsabtreibungen und Sterilisationen führte. Obwohl die Politik ursprünglich als vorübergehend gedacht war, wurde sie erst 2015 gelockert, als Paare zwei Kinder bekommen durften. Seitdem wurden alle Beschränkungen aufgehoben, doch die langfristigen Schäden sind nur schwer rückgängig zu machen. Im Jahr 2050 wird ein Drittel der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein, gegenüber 12 Prozent im Jahr 2010 – China hätte damit die älteste Bevölkerung der Welt. Diese demografische Verschiebung wird die Sozialsysteme belasten, die Zahl der Arbeitskräfte verringern, die Binnennachfrage und das Wirtschaftswachstum schwächen und die regionale Ungleichheit verschärfen.

Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in China schrumpft bereits. Im Jahr 2023 wird es 857,98 Millionen Menschen im Alter von 15 bis 59 Jahren geben – 77 Millionen weniger als 2013. Hinzu kommt, dass sich die jüngeren Arbeitskräfte in wohlhabenden Küstenstädten und -provinzen wie Shanghai, Peking, Tianjin und Guangdong konzentrieren, während zentrale und westliche Provinzen wie Sichuan, Hunan und Heilongjiang mit der Abwanderung junger Menschen und sinkenden Geburtenraten zu kämpfen haben. Dieser Trend wird die langfristigen Ungleichheiten zwischen den Küsten- und den Binnenprovinzen wahrscheinlich noch verschärfen. Die Regionen im Landesinneren sind mit Arbeitskräftemangel und sinkender Produktivität konfrontiert – beides sind historische Vorläufer von Unruhen.

Eine weitere Hinterlassenschaft der Ein-Kind-Politik ist das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern. Aufgrund der weit verbreiteten geschlechtsselektiven Abtreibungen zugunsten männlicher Nachkommen gibt es heute einen Überschuss von etwa 35 Millionen Männern. Dieses Ungleichgewicht ist in den weniger entwickelten ländlichen Gebieten besonders ausgeprägt. Infolgedessen haben viele Männer auf dem Land Schwierigkeiten, eine Partnerin zu finden; Prognosen zufolge wird bis 2027 jeder sechste junge chinesische Mann nicht in der Lage sein, zu heiraten. Einige suchen im Ausland, etwa in Russland, Vietnam und Kambodscha, aber der „Import von Bräuten“ ist nach wie vor umstritten und zu ungewohnt, um eine nennenswerte Wirkung zu erzielen.

Die Regierung hat versucht, den Rückgang umzukehren. Die Gemeinden bieten nun Anreize für die Geburt und Wohnbeihilfen an. Hohhot, die Hauptstadt der Inneren Mongolei, zahlt beispielsweise 10.000 Yuan (rund 1200 Euro) für das erste Kind, 50.000 Yuan für das zweite und 100.000 Yuan für das dritte. In den ärmsten Regionen wie der Inneren Mongolei oder Tibet mögen solche Anreize zwar Früchte tragen, doch werden sie dem regionalen Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt nicht gerecht. Junge Menschen werden weiterhin in den wohlhabenderen Regionen Arbeit suchen und die alternde Bevölkerung zurücklassen. Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass Geburtenanreize in wohlhabenden Gebieten erfolgreich sein werden, da sich dort die Wertvorstellungen geändert haben: Frauen haben mehr Karrieremöglichkeiten, und junge Eltern ziehen es oft vor, weniger Kinder zu haben und mehr in deren Ausbildung zu investieren.

Die chinesische Führung gibt oberflächlichen Korrekturen Vorrang vor Strukturreformen 

Bislang hat die Zentralregierung tiefer liegende strukturelle Probleme ignoriert, darunter die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern bei der Entlohnung und den Chancen (auch wenn die jüngsten Maßnahmen wie gleiche Entlohnung und verlängerter Mutterschaftsurlaub vielversprechend sind), die hohen Lebenshaltungskosten und die allgegenwärtige Unsicherheit, mit der die jüngere Generation angesichts des Handelskriegs mit den USA und der schleppenden Binnenwirtschaft konfrontiert ist. Trotz eines leichten Geburtenanstiegs im Jahr 2024 – der auf das verheißungsvolle Jahr des Drachen zurückgeführt wird – altert die Bevölkerung weiterhin schnell. Ungefähr 22 Prozent der Bevölkerung (mehr als 310 Millionen Menschen) sind 60 Jahre oder älter. Bis 2035 könnte diese Zahl 30 Prozent übersteigen. Neben dem Arbeitskräftemangel und den regionalen Unterschieden werden auch die steigenden Gesundheits- und Rentenkosten im Zuge der Alterung der Bevölkerung das Wirtschaftswachstum und den Wettbewerb behindern.

Ein weiterer einschränkender Faktor ist das Ausgabeverhalten der verschiedenen Kohorten. Ältere Menschen neigen dazu, weniger auszugeben und konservativ zu investieren. Doch angesichts hoher Lebenshaltungskosten, stagnierender Löhne, unsicherer Arbeitsplätze und eines schwachen sozialen Sicherungsnetzes ziehen es auch jüngere Stadtbewohner aus der Arbeiterklasse vor, zu sparen. Sogar unter der gebildeten Jugend ist Sparen aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit, der begrenzten Jobaussichten und der insgesamt düsteren Wirtschaftsaussichten jetzt häufiger anzutreffen. Die Ein-Kind-Politik hat auch die „4-2-1“-Familienstruktur gefestigt, in der ein junger Erwachsener zwei Eltern und vier Großeltern unterstützt, was zu finanziellem Konservatismus zwingt.

Seit der Gründung der Volksrepublik hat die chinesische Führung oft oberflächlichen Korrekturen Vorrang vor Strukturreformen gegeben. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die gegenwärtigen Trends kurzfristig wesentlich verbessern werden, sodass ein vollständiger Übergang zu einer konsumbasierten Wirtschaft vorerst nicht möglich ist. Doch auch das derzeitige export- und investitionsorientierte Modell ist angesichts sinkender Renditen bei Infrastruktur und Immobilien, der extrem hohen Verschuldung der Kommunen und der Marktsättigung nicht mehr tragfähig. Von allen möglichen Reformen ist die Ankurbelung des Konsums nach wie vor der gangbarste Weg zur wirtschaftlichen Erholung. Der demografische Rückgang und die Alterung der Bevölkerung schränken diese Bemühungen jedoch stark ein und belasten zudem das Gesamtwachstum stark. Strukturreformen zur Verbesserung der Einkommensverteilung und der sozialen Sicherheit könnten den Verbrauch allmählich ankurbeln, aber eine Umkehr des Bevölkerungsrückgangs ist kurzfristig nicht zu erreichen. In Anbetracht der engen Verflechtung zwischen diesen beiden Herausforderungen wird der Weg, den Chinas Führung vor sich hat, beschwerlich sein.

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Christoph Kuhlmann | Mo., 26. Mai 2025 - 20:16

ist auch ein Problem der sozialen Absicherung von Müttern. In einer durchkapitalisierten Welt wo jeder Handschlag sozialversicherungspflichtig ist, soll ausgerechnet die biologische Reproduktion unbezahlt erfolgen. Sozialisiert Kinder sind wertvoll. Sie werden Wirtschaftswachstum erzeugen und Renten und Steuern bezahlen ohne schon in jungen Jahren Sozialleistungen zu benötigen, wie viele Migranten. China verfügt nicht einmal über eine ausreichende staatliche Rentenversicherung. Gerade ältere Frauen, die Kinder groß gezogen haben und berufstätig waren, leben in bitterer Armut. Die einzige Möglichkeit sich für das Alter abzusichern, bestand für viele Chinesen im Erwerb mehrerer Wohnungen um sie zu vermieten. Durch die Immobilienkrise, die sich inzwischen zu einer Krise des gesamten Finanzsektors ausweitete ist diese Form der Absicherung ebenfalls infrage gestellt. Die KP in China muss erst einmal die Werktätigen absichern, wie in Europa. Das wurde vor lauter Ideologie versäumt.