
- Droht China das Schicksal der Sowjetunion?
Die autoritäre Führung Chinas durch Xi Jinping scheint unangefochten – doch spätestens seit der Corona-Krise wird immer deutlicher, dass die Machtbasis der Kommunistischen Partei erodiert. Ihr stehen dramatische Veränderungen bevor.
Mit der Machtübernahme durch Xi Jinping im Jahre 2012 wurde in China der kollektive Führungsstil durch die Herrschaft des starken Mannes ersetzt. Das Regime, das vor Xi Jinping das Land regierte, hatte sich stets durch hohe ideologische Flexibilität und großen politischen Pragmatismus ausgezeichnet. Durch konsensorientierte Entscheidungsprozesse, die auch die Meinungen rivalisierender Lager berücksichtigten und für den Ausgleich einander widersprechender Interessen sorgten, konnten Fehler vermieden werden. Die Kommunistische Partei ging ausländischen Konflikten, etwa im Nahen Osten, aus dem Weg und verzichtete auf alles, was die vitalen nationalen Interessen der USA berühren konnte. Im eigenen Land sorgte die Führungselite für Frieden, indem sie andere von den Vorteilen ihrer Herrschaft profitieren ließ. Das Regime war damit keinesfalls perfekt. Die Korruption war allgegenwärtig, wichtige Entscheidungen wurden häufig zu spät getroffen und große Chancen verpasst. Doch das Regime bot den großen Vorteil, dass es eine inhärente Tendenz zu Pragmatismus und Vorsicht gab.
In den vergangenen sieben Jahren zerfiel dieses System und wurde durch eine Herrschaftsform mit anderen Eigenschaften ersetzt: ideologische Starre, Sanktionen gegenüber ethnischen Minderheiten und Dissidenten sowie eine offensive Außenpolitik, wie sie etwa in der Belt and Road Initiative (BRI) zum Ausdruck kommt, dem billionenschweren, wirtschaftlich zweifelhaften Infrastrukturprojekt der Neuen Seidenstraße, dem der Westen mit starkem Misstrauen begegnet. Die Machtkonzentration, die unter Xi Jinping stattfand, hat neue Schwachstellen erzeugt und die Partei vermehrten Risiken ausgesetzt. Eine Herrschaft des starken Mannes mag bei schwierigen Fragen die Entscheidungsfindung beschleunigen, doch sie erhöht gleichzeitig die Gefahr kostspieliger Fehlentschlüsse. Der konsensorientierte Entscheidungsprozess früherer Zeiten war vielleicht langsam und ineffizient, verhinderte aber, dass radikale oder riskante Meinungen in reale Politik gegossen wurden.