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Bridgegate-Affäre - Chris Christie - Gouverneur als Serienheld

In Amerika gibt es nicht nur die unterhaltsameren Fernsehserien, sondern auch die unterhaltsameren Politiker und die besseren Skandale. Politiker Berlins, schaut auf New Jerseys Gouverneur Chris Christie!

Autoreninfo

Til Knipper leitet das Cicero-Ressort Kapital. Vorher arbeitete er als Finanzredakteur beim Handelsblatt.

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Wenn man, wie ich, in der Reihe der herausragenden Kollegen hier auf Cicero Online erst am Ende der Woche seinen Kolumnenbeitrag leisten darf, hat man oft das Problem, dass die Kollegen die nahe liegende Themenwiese schon abgegrast haben. Für die Leser, die nicht die Zeit hatten, alles zu lesen, fasse ich sehr kurz zusammen: Der Kollege Seils ist Pofalla-Fan, der Chef outet sich trotz Hitzlspergers Coming-out zum wiederholten Male als Nicht-Fußballfan und Anhänger des Angelsports, der Kollege Kissler bekennt sich, Überraschung, im Zusammenhang mit der europäischen Freizügigkeit, zum Stammtisch.

Was bleibt da noch für mich? Wozu kann ich mich bekennen? Zu meiner Liebe zu den USA!

Wie viel Tony Soprano steckt in Chris Christie?


Das ist keine Ironie, ich meine das vollkommen ernst, auch wenn ich im antiamerikanischen Deutschland damit zu einer verschwindend kleinen Minderheit gehöre. Aber muss man, also ich, ein Land nicht lieben, das Politiker wie Chris Christie hervorbringt, den Gouverneur des pittoresken Bundesstaats New Jersey?

Für alle, die noch nie von ihm gehört haben: Christie sieht aus wie eine schlechte Kopie von Tony Soprano, dem Mafiaboss aus der Fernsehserie "The Sopranos" - übrigens auch ein, wenn gleich fiktiver Sohn des Garden States, wie Liebhaber das weitgehend zubetonierte New Jersey gerne nennen.

Christie ist dabei auch nicht irgendein unwichtiger US-Provinzfürst, sondern war bisher einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner 2016. 

Seit dieser Woche rätselt die Welt aber darüber, wie viel von Tony Soprano in Chris Christie steckt. Am Mittwoch nämlich gelangte eine E-Mail an die Öffentlichkeit, geschrieben im vergangenen August von Christies stellvertretender Stabschefin Bridget Kelly. Empfänger der Mail: David Wildstein, nach Medienberichten ein alter Schulfreund des Gouverneurs, laut Christies Darstellung, Stand Donnerstag, eher ein Typ, der zufällig auf derselben Highschool war wie er. Wildstein arbeitete in leitender Funktion für die "Port Authority", eine gemeinsame Behörde der Staaten New Jersey und New York. Der Behörde untersteht unter anderem die George Washington Bridge, eine von drei Straßenverbindungen zwischen Manhattan und New Jersey und immerhin die meistbefahrene Brücke der USA.

Aber was stand nun in Bridget Kelly's Mail? "Zeit für ein paar Verkehrsprobleme." Wildsteins Antwort: "Verstanden."

Ein Ort wird zum Stau - wegen einer "Verkehrsstudie"


Ab dem 9. September ließ Wildstein daher zwei von drei Spuren auf der Zufahrt Richtung Manhattan sperren - für mehrere Tage. Offizielle Begründung: eine Verkehrsstudie. Fort Lee, der Ort am Fuße der Brücke, verwandelte sich in einen einzigen Verkehrsstau. Vier Stunden brauchten die Autos bis sie die Brücke passieren konnten, darunter auch Schulbusse mit kleinen Kindern.

Aber warum diese Schikane, fragen Sie? Nach der Logik des Christie-Lagers war der Bürgermeister von Fort Lee, Mark Sokolich schuld. Sokolich, Mitglied der Demokraten, mithin nicht einmal ein Parteifreund Christies, hatte trotz dessen Bitte, nicht zur Wiederwahl des auch bei Demokraten recht populären Gouverneurs aufgerufen.

Also alles nur ein billiger Racheakt?

 

Ja.

Glauben Sie nicht? Spricht aber alles dafür, denn nachdem sich Sokolich am 10. September an die "Port Authority" mit der Bitte wendet, den Wahnsinn zu beenden, gibt es einen Mailwechsel zwischen Wildstein und einem weiteren Christie-Vertrauten in der Behörde: "Ist es falsch, dass ich jetzt lächeln muss?" - "Nein" - "Mir tun die Kinder leid, glaube ich" - "Es sind die Kinder von Buono-Wählern", antwortet der andere, Bezug nehmend auf Christie demokratische Herausforderin Barbara Buono.

Christie mimt den Unwissenden


Wow, denkt man und ahnt, dass es Pofalla in New Jersey nicht mal zum Schaffner gebracht hätte. Wie aber reagiert Gouverneur Christie? In einer zweistündigen Rede, getarnt als Pressekonferenz, teilt er mit, dass er die Verantwortlichen gefeuert habe, entschuldigt sich bei jedem, der nicht bei drei auf der Washington Bridge ist und behauptet steif und fest, dass er von der ganzen Sache erst am Mittwochmorgen erfahren habe, als er nach seinem morgendlichen Workout aus der Dusche stieg - zwei Sachen, die bei man sich bei dem stark übergewichtigen Christie nur ungern bildlich vorstellen möchte.

Die Frage eines Journalisten, ob er an Rücktritt denke, ruft bei Christie nur kurzes Erstaunen hervor, seine Antwort: "Sind Sie verrückt?"

New Jerseys Tradition der dreisten Politiker


In seinem Heimatstaat wird der Skandal für Christie wahrscheinlich keine Konsequenzen haben. Hier sind sie einiges von ihren Politikern gewöhnt.

Eine Legende in New Jersey ist der ehemalige demokratische Abgeordnete Kenny Gewertz, der in den Siebziger Jahren immer in gelben Anzügen ins Parlament kam und einmal völlig außer sich die Polizei rief, weil ihm eine Prostituierte seine 8000-Dollar-Uhr geklaut hatte. Wenn er von seinen republikanischen Gegnern genervt war, mietete er einen Helikopter, um deren Parteipicknick im wahrsten Sinne des Wortes etwas aufzuwirbeln.

Das berichtet die New York Times im Zusammenhang mit der Christie-Affäre in einer Art Best-Of der politischen Skandal des Garden States. Ein Republikaner namens Turner versuchte daraufhin Drogen in Gewertz Haus zu platzieren. Die Sache flog auf, Turner wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Aber nicht ohne vorher noch schnell die Vorwahlen der Republikaner in New Jersey zu gewinnen.

"House of Cards" hat dokumentarischen Charakter


Ich dachte ja bisher immer, dass meine aktuelle Lieblings-US-Fernsehserie "House Of Cards", in dem Kevin Spacey einen skrupellosen US-Abgeordneten namens Frank Underwood spielt, an einigen Stellen doch etwas übertrieben ist. Vielleicht ist es aber doch eher ein gelungenes Doku-Drama.

Was für weiter Schikanen wir noch von Gouverneur Christie zu erwarten haben, dazu hat sich der von mir hier auch schon mehrfach gelobte Illustrator Christoph Niemand für den New Yorker seine Gedanken gemacht.

Schönes Wochenende!

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