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US-Bildungsmisere - Amerika droht die Zweitklassigkeit

Im Land, in dem die Möglichkeiten unbegrenzt sein wollen, ist es die Bildung nicht. Die soziale Herkunft bestimmt auch hier den Schulerfolg. Zunehmende Armut leistet der Konkurrenz aus China Vorschub. Nicht zuletzt steht Amerikas Status als Weltmacht auf dem Spiel

Gunnar Heinsohn

Autoreninfo

Gunnar Heinsohn lehrt Militärdemografie am NATO Defense College in Rom und Eigentumsökonomie am Management-Zentrum St. Gallen. 

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In den USA hatten 2013 laut dem National Institute on Retirement Security drei von vier afrikanischen und vier von fünf Latino-Haushalten mit Familienoberhäuptern im aktiven Alter weniger als 10.000 Dollar Ersparnisse für das Alter. Wenn die ohnehin knappen Renten einmal nicht reichen, ist der Weg in die Sozialhilfe unvermeidlich. Für das Jahr 2060 werden in den USA 62 Millionen Afrikaner, 130 Millionen Latinos und rund 27 Millionen mit „two or more races“ veranschlagt. Diesen knapp 220 Millionen werden sich 170 Millionen Weiße und 34 Millionen Asiaten zugesellen. Von dieser gut 200 Millionen starken Minderheit wird erwartet, dass sie der Mehrheit auch dann ein finanziell akzeptables Auskommen garantiert, wenn dort die Ersparnisse verbraucht sind. Leicht wird das nicht, weil 2013 selbst von den Weißen nur jeder zweite Haushalt (mit Erwachsenen im Arbeitsalter) mehr als 10.000 Dollar auf der hohen Kante hat.

Da kann nicht überraschen, dass – so eine Gallup-Umfrage - zwischen 2001 und 2015 der Anteil der sich zur Oberschicht zählenden Amerikaner von drei auf ein Prozent fällt. In der oberen und unteren Mittelschicht geht es von 63 Prozent auf 51 Prozent herunter. Von 33 auf wuchtige 48 Prozent springt dagegen der Anteil der Amerikaner, die sich als Arbeiter oder – zumeist öffentlich versorgte – Unterschichtsangehörige einstufen.

Armut als Erklärung für Schulversagen
 

Zeitgleich mit dieser dramatischen Umwälzung fällt keine andere Wirtschaftsnation weiter hinter die Kompetenzfestungen (Ostasiaten, Schweizer, Skandinavier sowie übrige Anglo-Staaten) zurück als die USA. Nirgendwo nämlich liegen die von den Lehrern wahrgenommenen Schülerkompetenzen tiefer unter dem in US-Dollar gemessenen Wohlstand ihrer Eltern. Nach Vermögen und Einkommen gelten rund 13 % der Amerikaner als sozial benachteiligt bzw. arm. „Social disadvantage“ wird dabei als Kurzformel für die Erklärung schlechter Mathematiknoten verwendet, weil sie hitzige Kontroversen über andere Ursachen des Versagens vermeidet. Und in der Tat gibt es in vielen Ländern einen deutlichen Gleichlauf zwischen Geldmitteln der Eltern und Schulleistungen der Kinder. Dabei bleibt ausgeblendet, ob die verfügbaren Kompetenzen die Einkommenshöhe bestimmen oder geringe Einkommen auch für geringe Kompetenzen sorgen.

Eine OECD-Studie vom Juli 2014 zeigt, dass - aufgrund der verheerenden Noten - Mathematiklehrer an US-Mittelschulen nicht nur die erwarteten 13 Prozent real Armen, sondern 64,5 % ihrer Schüler für sozial benachteiligt halten.

Chinas sozial Benachteiligte sind schlauer als Amerikas Mittelschichtskinder
 

Der Niedergang der amerikanischen Mittelschicht läuft parallel mit einem Einkommensanstieg um den Faktor 2,5 in der chinesischen Unterschicht. Mit China tritt also – wie zuvor mit Japan, Singapur, Taiwan oder Süd-Korea – eine weitere Nation auf die globalen Arbeits- und Talentmärkte, deren „sozial Benachteiligte“ höhere schulische Kompetenzen besitzen als der Nachwuchs der „sozial privilegierten“ amerikanischen Mittelschichten. Das unterstreicht auch eine OECD-Studie vom Mai 2015, die im 2030er Welt-Pool an Ingenieur- und Naturwissenschaftlern 37 Prozent Chinesen, aber nur 4,2 Prozent Amerikaner sieht.

Bis 2030 wird Amerikas Bevölkerung 25,7 Prozent der chinesischen (360 Milllionen gegen 1,4 Mrd.) erreichen (mehr als je zuvor). Sein Naturwissenschaftler-Pool wird aber nur 11,4 Prozent des chinesischen ausmachen. Will die Weltmacht ihren Status verteidigen, muss sie beim jährlichen Zugewinn an „skilled immigrants“ nicht nur die globale Nummer Eins bleiben, sondern bei der Menge neugewonnener Talente mindestens noch einmal um den Faktor zwei zulegen. Fast alle verfügbaren Könner, die eine neue Heimat suchen, müssten dafür nach Amerika drängen.

Mehr noch als die USA suchen andere OECD-Länder hoch qualifizierte Neubürger. Australien, Kanada und Neuseeland wollen bis 2050 von heute rund 60 auf über 80 Millionen zulegen. Die 20 Millionen Neuen sollen mit ihrer „Kreativität, Energie und Produktivität das Wirtschaftswachstum“ die neue Heimat vorantreiben. Die EU muss allein für die jährlich rund zwei Millionen fehlenden Geburten bis 2050 rund 70 Millionen Asse anwerben.

Bereits für 2020 sollen allein in den OECD-Staaten 85 Millionen Könner fehlen, gleichzeitig aber 93 Millionen gering Qualifizierte nicht mehr vermittelbar sein. In keinem Land fehlen Abgeschlagene, überall aber tobt der „war for foreign talent“.

Nirgendwo wird mehr in Bildung investiert als zwischen Texas und Alaska
 

Amerikas angestammte Siegerposition bei dieser gegenseitigen Kannibalisierung könnte verloren gehen, wenn potenziell Interessierten die absehbaren Versorgungslasten unerbringbar erscheinen. Wenn einmal eine wachsende Mehrheit einer schrumpfenden Minderheit wie ein Mühlstein um den Hals hängt, suchen sie auf der Weltkarte attraktivere Wirtshäuser. Demokratische Verhältnisse und rote Teppiche finden sie in den Kompetenz-Festungen auch. Die sorgen durch das Qualifikationsprofil ihrer Bevölkerung überdies dafür, dass bürgerkriegsähnliche Zustände à la Baltimore oder Detroit unwahrscheinlich bleiben.

Schon bei PISA 2012 schnitten 51 Prozent aller amerikanischen Kinder in Mathematik mangelhaft, ungenügend oder noch schlechter ab, obwohl seit einem halben Jahrhundert nirgendwo mehr Geld pro Schüler eingesetzt wird als zwischen Texas und Alaska. Bei doch immer nur steigenden Anforderungen ist dieses Fiasko eine ungeheure Hypothek. Niemand weiß bisher, wie man die abtragen könnte. In Deutschland landen in ähnlichen Leistungsminima bisher nur Migrantenkinder, die momentan aber lediglich ein Drittel des Nachwuchses stellen. Bei den Alteingesessenen scheitern „nur“ 30 Prozent.

Schulversager müssen auch dann menschenwürdig und zur Not ein Leben lang bezahlt werden, wenn man sie auf den Arbeitsmärkten nicht mehr sucht. Sobald wanderungswillige Asse – vor allem die wegen geringster Geburtenraten besonders knappen, aber leistungsmäßig immer an der Spitze landenden Ostasiaten – diese noble Bürde nicht mehr tragen wollen, könnte aus dem immer noch unangefochtenen Traumland USA ein Albtraum werden. Kann Amerika diese Perspektive nicht mehr umkehren, landet der demokratische Gigant in der Zweitklassigkeit.

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